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Arbeitslose dürfen Gewissen haben

Sozialgericht ließ die Ablehnung eines Arbeitsangebots durch einen Arbeitslosen aus Gewissensgründen zu / Richter betonen: Keine Grundsatzentscheidung  ■  Aus Bremen Birgitt Rambalski

Auch Gewissensgründe können darüber mitentscheiden, ob ein arbeitsloser Arbeitnehmer mit Sperrfrist seiner Bezüge belegt wird oder nicht. Das Sozialgericht in Bremen entschied im Fall des Landschaftsplaners GerdS. gegen die Bundesanstalt für Arbeit. Die Kammer gestand dem Arbeitslosen zu, daß es „Lebenssachverhalte gibt, die eine Aufgabe der Arbeit oder die Nichtannahme eines Arbeitsangebots als gerechtfertigt erscheinen lassen“.

GerdS. ist Diplomingenieur mit Schwerpunkt Landespflege und dreijähriger Gärtnerlehre. Nach drei Jahren Berufstätigkeit als Landschaftsgärtner war ihm ab Oktober 1985 Arbeitslosengeld und anschließend -hilfe bewilligt worden. Ende März 1987 ging S. zum Fachvermittlungsdienst, um die Möglichkeit einer ABM-Stelle bei der Bremer Volkshochschule ab dem 1.Mai anzumelden.

Der zuständige Fachvermittler hatte unterdessen ebenfalls ein Arbeitsangebot aufgetan: eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim Roten Kreuz. Dort sollte GerdS. als Gartenbauingenieur in einer Kinder- und Jugendfarm arbeiten. S. Lehnte dieses Angebot ab.

Der Grund: Just gegen dieses Jugendprojekt hatte sich GerdS. zwei Jahre vorher in einer Bürgerinitiative vehement zur Wehr gesetzt. Er lehnte es angesichts seines alternativen Arbeitsangebots bei der VHS ab, nun für das einst bekämpfte Projekt zu arbeiten. S. wurde mit acht Wochen Sperrfrist belegt, gegen die er vor dem Sozialgericht erfolgreich klagte.

Der gelernte Landespfleger hielt schon in der Planungsphase den Standort für die Kinder-und Jugendfarm, die Stadtkindern die Natur näherbringen soll, für denkbar ungeeignet: Die Farm mit Tieren liegt zwischen Gewerbegebiet, einer zentralen Ausfallstraße und dem Autobahnzubringer, noch dazu unter der Einflugschneise des Bremer Flughafens. Außerdem sei die Farm für Kinder aus dem knapp zwei Kilometer entfernten sozialen Brennpunkt Kattenturm nur schwer zu erreichen.

Nachdem S. dem Gericht sein früheres Engagement gegen das Projekt schlüssig dargelegt hatte, stellte die Kammer fest: „Der Kläger beruft sich berechtigt darauf, daß die Tätigkeit in der Kinder- und Jugendfarm in unzumutbarer Weise sein Gewissen belastet.“ Dies allein sei jedoch nicht ein „wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes“. Kumulativ sei mitentscheidend, daß Gerd S. sich gleichzeitig mit seiner Ablehnung des Arbeitsangebots auf eine selbst gesuchte Arbeitsmöglichkeit bezog.

Die Zulassung der Gewissensgründe von Gerd S. ist jedoch eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, stellten die Richter fest.

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