SPD: „Bei uns ist für alle Platz“

Im hessischen Bischofsheim wundert sich kein Mensch über Wählerwanderungen von der SPD zu den „Republikanern“ / Rechtsradikales Gedankengut als Markenzeichen lokaler „sozialdemokratischer“ Gesinnung im SPD-Ortsverband  ■  Von Heide Platen

Frankfurt (taz) - Daß es in der Bundesrepublik tatsächlich führende Sozialdemokraten gibt, die sich ob der von den Wahlforschern belegten Wählerwanderung von der SPD hin zu den „Republikanern“ (REPs) überrascht die Augen gerieben haben, führt das Fraktionsmitglied der Grün-Alternativen Liste (GALB) in Bischofsheim/Südhessen, Dr. Gerhard Schneider, auf eine „erschreckende Distanz der SPD -Funktionäre zur eigenen Basis“ zurück. In der 12.000-Seelen -Gemeinde am Untermain, in der die Grünen seit 1985 die Kommunalpolitk mitgestalten, wundere sich kein Mensch über das Eindringen der REPs in das sozialdemokratische Wählerpotential. Den Boden dazu habe die SPD vor Ort selbst bereitet, denn deren Politik habe sich in Bischofsheim seit Gründung der Republik in der von dem stellvertretenden SPD -Ortsvereinsvorsitzenden und amtierenden Parlamentspräsidenten Hugo Berg geprägten, eigenwilligen Interpretation des Begriffs „Volkspartei“ erschöpft: „In der SPD ist für alle Platz.“

Doch „alle“ wollen spätestens bei den Kommunalwahlen vom März '89 diese Bischofsheimer SPD, die seit 40 Jahren die Kommune mit absoluten Mehrheiten regiert, nicht mehr wählen. Die seit den Kommunalwahlen '85 mit 7,8 Prozent im Gemeindeparlament vertretenen Grünen steigerten ihren Stimmenanteil in nur vier Jahren zwar auf 13 Prozent, doch die SPD konnte ihre absolute Mehrheit noch knapp (53 Prozent) retten. Die REPs oder andere rechtsradikale Parteien waren in Bischofsheim nicht angetreten.

Anders bei den Europawahlen: REPs und DVU nahmen der SPD in Bischofsheim rund 1.000 Wählerstimmen ab und drückten die Partei - erstmals in der Ortsgeschichte - weit unter die 50 -Prozent-Marke. Daß die Stimmen für die rechtsradikalen Parteien von ehemaligen SPD-Wählern kamen, steht außer Zweifel, denn GALB und CDU stabilisierten sich bei den Europawahlen auf dem Stimmenniveau der letzten Kommunalwahlen. Die erste Reaktion des neuen SPD -Fraktionsvorsitzenden Dr. Wolfgang Schneider am Tag nach den Europawahlen war entsprechend: Die REP-Wähler hätten das demokratische System mißbraucht und sich mit ihrer Gesinnung „feige“ in die Wahlkabinen geschlichen, anstatt in Bischofsheim offen aufzutreten.

Dieser Einschätzung widersprach GALB-Fraktionsmitglied Dr.Gerhard Schneider. Bei den Europawahlen hätten diese Leute nun erstmals die Chance gehabt, das „Orginal statt der Fälschung“ zu wählen. Der GALB-Mann warf im Gespräch mit der taz insbesondere dem „Führungstrio“ der Bischofsheimer SPD vor, rechtsradikales Gedankengut in den eigenen Reihen jahrelang toleriert zu haben. So habe der Bischofsheimer SPD -Vorsitzende Thomas Will einen Parteifreund, der im Parlament zur „Vergasung“ der GALB-Fraktion aufgerufen hatte, als „aufrechten Demokraten“ bezeichnet. Eine Aufarbeitung dieses Vorfalls hat nicht stattgefunden, im Gegenteil: Auf einer Mitgliederversammlung der Bischofsheimer SPD wurde der langjährige SPDler Jörg Baum, der den Parteiausschluß dieses Mannes forderte, aus der Partei gedrängt.

Genau ein Jahr später kam es im Bischofsheimer Gemeindeparlament zum nächsten Eklat. Während einer heftigen Debatte stand der SPD-Abgeordnete Georg Kunajew von seinem Sitz auf und rief laut und vernehmlich in den Saal des Bürgerhauses, daß es hier zugehe „wie in einer Judenschule“. In dem sich anschließenden parlamentarischen Tumult erteilte der damalige SPD-Parlamentspräsident Willi Nutz einem GALB -Abgeordneten einen Ordnungsruf. Kunajew dagegen blieb ungerügt, denn der Mann sei seit Jahren als „aufrechter Demokrat“ bekannt (SPD-Chef Will). Für seinen „demokratischen Einsatz“ wurde Kunajew von der Partei in der neuen Legislaturperiode mit einem Sitz im Gemeindevorstand belohnt. Die Aufforderung der SPD-Unterbezirksvorsitzenden Heidi Wieczorek-Zeul (MdB) an den Ortsverein vom Dezember '87, endlich „personelle Konsequenzen“ aus den Vorfällen zu ziehen, blieb bis heute folgenlos.

Die Bischofsheimer SPD will heute von den rechtsradikalen Sprüchen ihrer Fraktionsmitglieder in der vergangenen Legislaturperiode nichts mehr wissen. Das sei „Schnee von gestern“, meinte der neue Fraktionsvorsitzende Dr. Wolfgang Schneider, ehemaliger Juso-Chef der Mainspitzgemeinden Bischofsheim und Ginsheim-Gustavsburg. Doch was Schneider für „Vergangenheit“ hält, ist für die GALB „allgegenwärtig“. In der letzten Sitzung der Gemeindevertretung vor der Sommerpause nannte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Thomas Will ein GALB-Fraktionsmitglied einen „Ökofaschisten“.

Als Reaktion auf den Siegeszug der REPs und der DVU bei den Europawahlen griff die Bischofsheimer SPD vor Monatsfrist zu einem bewährten Mittel: Eine Vorlage des Gemeindevorstandes zum Bau von sechs Wohnungen für Aussiedlerfamilien wurde von der SPD-Fraktion mit einem Antrag so verändert, daß jetzt zwei der sechs Wohnungen für „richtige Deutsche“ (GALB) reserviert werden. Die Vorwürfe der Grünen, die SPD habe mit diesem Antrag vor den REPs und deren Propaganda gegen Aussiedler gekuscht, beantwortete SPD-Fraktionschef Dr. Wolfgang Schneider mit dem öffentlichen Auschluß der GALB aus dem „Konsens der Demokraten“.

Der Bischofsheimer SPD jedenfalls muß sich bei den Kommunalwahlen 1993 erstmals in der Nachkriegsgeschichte auf den Machtverlust gefaßt machen - falls es ihr nicht gelingt, die REP- und DVU-Wähler wieder an die SPD zu binden oder die GALB unter der Fünf-Prozent-Hürde zu halten. Für die GALB steht allerdings jetzt schon fest, daß die „Schönhubers“ bereits heute kräftig auch in den Kommunen mitregieren, in denen sie nicht in den Parlamenten vertreten sind.