Moskau: Bahn frei für Solidarnosc

■ Walesa besänftigt Moskaus Befürchtungen - Kreml akzeptiert / Schlüsselressorts für die Kommunisten

Warschau (ap/dpa/taz) - Auch eine von Solidarnosc geführte Regierung wird den Kommunisten die Schlüsselpositionen Inneres und Verteidigung zugestehen und die Bündnisverpflichtungen Polens respektieren. Mit dieser Erklärung konnte Gewerkschaftschef Lech Walesa gestern Moskauer Befürchtungen einer Destabilisierung Polens besänftigen und zugleich den Weg für eine Allparteienkoalition ebnen.

Der Sprecher des Moskauer Außenministeriums Gremizkich begrüßte Walesas Äußerung, daß eine Solidarnosc-Regierung „keine Gefahr für den Warschauer Pakt darstellt“. Er habe den Eindruck, so Gremizkich, „die Erklärung von Herrn Walesa war sehr vernünftig“.

Anders schätzt der Chef der PVAP, Rakowski die aktuelle Situation in Polen ein. Er beschuldigte Walesa am Rande der Parlamentssitzung, mit seinem Koalitionsangebot an die bisherigen Partner der Kommunisten das politische Kräfteverhältnis in Polen zu untergraben und einen offenen Kampf um die Macht zu beginnen. Es drohe ein Bruch der Vereinbarungen am runden Tisch.

Trotz dieser harten Worte, läuft in Polen derzeit alles auf eine Allparteienkoalition hinaus. Nachdem Walesa mit seiner jüngsten Ankündigung von seiner ursprünglichen Position einer Koalition ohne Kommunisten abgerückt ist, wird die PVAP sein Angebot der Schlüsselressorts kaum ausschlagen vor allem, da die Fraktionen der Bauern- und der Demokratischen Partei einer Zusammenarbeit mit Solidarnosc zugestimmt haben. Bei den Kommunisten erwartet man offenbar, daß Solidarität und ihre möglichen neuen Koalitionspartner noch in einem Punkt nachgeben sollen. Fortsetzung auf Seite 2

Dabei geht es wahrscheinlich um die Person des Regierungschefs. Walesa hatte sich selbst für diese Posi

tion ins Spiel gebracht, wenn die polnische Gesellschaft dies wünsche. Zugleich hatte er geäußert, er könne sich einen geeigneteren Kandidaten vorstellen. Namen nannte er nicht.

Die vom gescheiterten Regierungschef Kiszczak vorgeschlagene Kandidatur von Bauernparteichef Malinowski gilt unter politischen Beobachtern mittlerweile als aussichtslos.

Unterdessen scheint sich die Bevölkerung kaum mehr für das Tauziehen um die Regierungsbildung zu interessieren. Hauptgespräch in den Schlangen vor den Geschäften sind die ständig steigenden Preise und der Mangel an Waren. Radio Warschau meldete, ab heute werde Brot um 200 Prozent teurer. Auch der Butterpreis ist erneut gestiegen. Nach der viertägigen Feiertagspause wurde wieder in vielen Betrieben gestreikt. In Stettin und Oberschlesien fanden einstündige Warnstreiks statt, zu denen die örtliche Solidarität-Führung aufgerufen hatte.

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