ANTIFA AUS FREUDE AM LEBEN

■ Konkurrenz um Faschismustagung

Privater Krach, der bekanntlich in den besten Familien vorkommt, wird von diesen gerne hinter der geschlossenen Haustür gehalten. Nach außen wird gemeinsam gelächelt. Nicht so jedoch, wenn befreundete Institutionen plötzlich miteinander in Clinch geraten. Da gibt die eine Seite vielmehr flammende Presseerklärungen an die Öffentlichkeit, die andere sieht sich genötigt, ebenso zu reagieren, und droht mit juristischen Gegendarstellungen an die Öffentlichkeit. Die nun wieder weiß gar nicht, wie ihr geschieht, und versteht überhaupt nichts.

Die Kontrahenten im aktuellen Fall - und der scheint über die Maßen wirr - sind der Schriftstellerverband Berlin in der IG Medien (VS) und die Neue Gesellschaft für Literatur (NGL). Und Gegenstand der Auseinandersetzung sind die diesjährigen 15.Autorentage in Berlin. Bislang wurden die immer von beiden Gruppierungen gemeinsam veranstaltet. Diesmal nun, sagt der VS in Person seiner brandneuen (seit 7.7.89) Vorsitzenden Christiane Binder-Gasper sei er 1. „nicht ausreichend bei den Vorbereitungen berücksichtigt“ worden und 2. nicht einverstanden mit der Gestaltung der Tage respektive des Themas.

Und das ist dann auch der heikle Punkt. Es soll nämlich, vom 5.-9.12. im Literaturhaus, um Texte und Thesen zur Gegenwart des Faschismus gehen. Der VS bzw. Binder-Gasper äußert starke Bedenken gegenüber dem Konzept, das „Workshopcharakter“ (NGL) vorsieht. Und das heißt u.a., daß in Arbeitsgruppen getagt wird und, vor allem, daß alle Interessierten eigene Texte zum Thema verfertigen und einreichen können. Autorentage als „Selbsterfahrungsgruppe“, zumal bei dem Thema, hält die Vorsitzende für total verfehlt.

Soweit klingt der Sachverhalt noch halbwegs vernünftig. In einem direkten Gespräch mit Binder-Gasper ergibt sich dann allerdings ein merkwürdiger Wust von Unterstellungen, Vermutungen, Vorwürfen - alle im Gestus ernstester Besorgnis vorgetragen.

Da ist einmal der Berufs- und Geniestolz der echten Dichter gegenüber den liebhabernden Laien. In den VS kommt man nämlich als Mitglied nur mit einem echten eigenen Buch in der Tasche (Ursprung des sog. Taschenbuchs?), während die NGL sich vor allem aus interessierten Dilettanten zusammensetzt. Als Beispiel für solche Un-Dichter müssen dann immer die beliebten Bibliothekarinnen, Lehrer und Buchhändler herhalten. Nur daß sicher auch die LiteraturfunktionärInnen des VS, mag sein notgedrungen, eher als Verbandswiesel denn als fruchtbare Wortringer glänzen. Außerdem, so die Vorsitzende weiter, sei der VS regelrecht ausgeschlossen worden. Bei Bewerbungen um Arbeitsgruppen habe es gleich zu Anfang schon geheißen: geschlossen. Woraus die Vorsitzende schließt, daß Autoren gar nicht erwünscht gewesen seien, die fünf Projektplaner der NGL vielmehr alles unter sich abhandeln wollten. Um die Güte der einzuschickenden Literatur macht sie sich dann doch auch wieder Sorgen, wenn jeder darf, der nicht kann. Wo ist die Jury? Und überhaupt gebe es von unseren großen Dichtern genug Texte zum Faschismus, die reichlich Diskussionsstoff böten. Des Selbstgestrickten bedürfe es gerade bei dem Thema nicht.

Die eigentliche Gefahr aber drohe von rechts: Die NGL werde peu a peu von Infiltrierten infiltriert: Faschisten hätten den Verein unterwandert, die die Faschismusfaszination gesellschaftsfähig machten. Die Sprache des Programmpapiers mache ihr regelrecht Angst. Die ganze Veranstaltung sei im Kern nichts anderes als eine unverdächtige Gelegenheit zur Selbstdarstellung dieser neuen Ästheto-Faschisten. Und unsere ahnungslos jungen ungebildeten Menschen wären leider nicht in der Lage, das zu durchschauen.

Liest man allerdings das gefährliche Papier, findet man wenig Belege für einen derartigen Faszinationsvirus. Eher fällt eine Art engagiert-betroffener Unschuldigkeit im Umgang mit dem Begriff Faschismus auf. „Ganz bewußt haben faschistische Regime und nicht zuletzt die Nazis ästhetische Mittel eingesetzt, die ihren Einfluß auf die Massen, aber auch auf zahlreiche Künstler... nicht verfehlten. Und der ästhetische Reiz, den noch heute Waffen ausüben, Autobahnkreuzungen, Atomkraftwerke, Computer, alles Künstliche und damit Menschenfeindliche, die Vergewaltigung der Natur, überhaupt jede Form der Vergewaltigung, - eine männliche Ästhetik?“ Und eine naive Zweck-Mittel-Vorstellung dazu. Obwohl der Verein gerade mit Naivität nichts zu schaffen haben will, aber offenbar viel für Natürlichkeit was immer das sei - übrig hat. Und dieser angeblichen Unmittelbarkeit entspringt dann auch ein schrecklich fröhlicher Motivationsregelungssatz: „Kein Agitprop, kein Historismus und keine hilflose Betroffenheit, - vielmehr Literatur, Antifaschismus aus Freude am Leben. Das Thema ist zu wichtig, als daß man es bloß ernst nehmen könnte.“

Die Gegenseite nun ist sehr viel weniger erregt, sondern beruft sich betont souverän auf Formalien. Der Geschäftsführer der NGL war im Urlaub und weiß von nichts; und Olaf Münzberg, der Vorsitzende, zitiert aus dem Wortlaut eines angeblich gemeinsam verfaßten Beschlusses: „Die Neue Gesellschaft für Literatur veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Schriftstellerverband und anderen Organisationen auch dieses Jahr wieder Autorentage.“ In Zusammenarbeit mit heiße dabei juristisch, daß man allein veranstalte. Und das eben bedürfe einer Gegendarstellung. Dann legt er aber doch noch eine persönliche Erkenntnis nahe: Auch Frauen betrieben ihre Machtspiele. Wie sollten sie auch nicht!

Damit ist der Knatsch nun auf die Ebene der Geschlechterfrage gehievt. Und man sucht Rat bei einer im Kultursumpf der lokalen Interessen bewanderten Dame. Und die hat vom Literaturverständnis der NGL nicht die allerhöchste Meinung. Da herrsche ein breiter Geist glücklichen Laientums, sagt sie. Dadurch nämlich, daß als einziges Kunstkriterium das der Kreativität gelte, sei halt alles schön, weil es einem gekommen sei. Breitensport der Literatur quasi werde da trainiert. Dieser Ökobegriff von Literatur könne durchaus zu faschistischen Affinitäten führen: Wenn der Naturfluß der Sprache in ihrer Direktgeschenktheit fließe, nimmt man es nicht mehr so genau mit dem Unterschied zwischen Gemeintem und Gesagtem. Rituell aufrechte Gesinnung und Alltagsunbewußtheiten schließen sich nicht aus.

Zuletzt erhofft man Erleuchtendes von der Leitung des Hauses, in dem die Veranstaltung stattfinden soll. Ernest Wiechner vom Literaturhaus ist überhaupt nicht gewillt, „Licht in das Dunkel zu bringen„; weil das überhaupt nicht gehe. Kurzgefaßt sei der Sachverhalt folgender: Die eine ist Vorsitzende des VS, gleichzeitig Mitglied in der NGL, der andere sei Vorsitzender der NGL und gleichzeitig 2. Vorsitzender des VS. Und wenn die beiden einander wechselseitig befehden, dann bleibe als einzig möglicher Schluß der allerprivatester Feindschaft übrig. Mehr möchte er nicht sagen.

Wie sich allerdings in diesem kläglichen Fall von Verwaltungsehrgeiz empfindlichste Themen mit empfindlichsten Menschen verquicken, scheint nicht von ungefähr. Das ist sogar vermutlich die eigentliche Virusgefahr des Faschismus: Wie garantiert in jedem Fall von noch so aufrecht getragener deutscher Beschäftigungssorge mit dem Nationalsozialismus dieser wie ein unheimlicher Wiedergänger alles Gutgewollte und alle Wohlmeinenden infiziert bzw. enttarnt. Kurzum: Das Private ist eben doch - trotz zunehmender Gegentendenzen immer noch hochpolitisch.

CD