„Offenere“ Türen im Strafvollzug

■ Gestern morgen veranstaltete Justizsenatorin Jutta Limbach zum ersten Mal einen „Tag der offenen Tür“ in einer Haftanstalt des offenen Vollzuges

„Glasnost“ im Berliner Strafvollzug: Zum ersten Mal bekamen Pressevertreter gestern die Gelegenheit, einen Blick hinter den Maschendraht des offenen Strafvollzugs zu werfen. Anlaß für den „Tag der offenen Tür“ im Spandauer Freigängerhaus waren die „oft unklaren Vorstellungen über den offenen Vollzug in der Bevölkerung“ - so Justizsenatorin Limbach Freigänger, Gruppenbetreuer sowie Sozialarbeiter standen bei einem Rundgang durch die Anstalt denn auch Rede und Antwort.

„Schließer sind wir nicht und Animateure erst recht nicht“, klärte ein Gruppenbetreuer die Presse auf. Jeder der momentan 144 Freigänger habe seinen eigenen Zimmerschlüssel, der Drahtzaun um das Gelände stelle die einzige Abgrenzung „nach draußen“ dar. Mindestens acht Stunden täglich müsse ein Freigänger in der Anstalt verbringen. „Die meisten schlafen nur hier und arbeiten tagsüber in einer Firma ihrer Wahl“, so der Vollzugsbeamte, der rund 20 bis 25 Freigänger zu betreuen hat. Seine Kritik: das noch immer fehlende Berufsbild für die Arbeit im offenen Vollzug. „Oft kommen die Beamten aus geschlossenen Anstalten und haben keine Ahnung, was hier anders ist.“ Eine intensivere psychologische Schulung hält er dringend vonnöten. Sozialarbeiterin Maria Echtermeyer bemängelte, daß der persönliche Kontakt mit jedem einzelnen Häftling kaum möglich sei. 80 Freigänger hat sie zu betreuen - die meisten kennt die Sozialarbeiterin nur aus der Akte. „Wer eine zehnjährige Haftstrafe hinter sich hat und in den offenen Vollzug verlegt wird, hat häufig Probleme, sich draußen zurechtzufinden“, so Echtermeyer.

„Das schwierigste ist das selbstständige Handeln, das plötzlich wieder verlangt wird“, bestätigt ein Häftling. Im geschlossenen Vollzug werde einem jede Entscheidung abgenommen, woran man sich sehr schnell gewöhne. „Wenn du dann plötzlich wieder selber eine Arbeit suchen mußt, ist das schon fast eine Überforderung.“ Wer täglich acht bis zehn Stunden arbeitet und dann noch Familie und Freunde sehen will, lebt im ständigen Wettlauf mit der Zeit. „Da hast du für eine halbe Stunde deinen Sohn auf dem Knie, und schon mußte wieder weg.“ Bei wiederholter Unpünktlichkeit droht der geschlossene Vollzug.

„Mit der Arbeitssuche haben nur wenige Freigänger Probleme“, behauptet ein weiterer Gruppenbetreuer. Fast jede Arbeit würde angenommen, da daß Leistungsbedürfnis sehr groß sei. Der Lohn werde nicht dem Freigänger, sondern der Strafanstalt ausbezahlt. „340 Mark behalten wir für Miete und Essen ein“, so der Vollzugsbeamte. 110 Mark pro Woche bleiben dem Häftling. Mit dem Restgeld würden oft vorhandene Schulden getilgt.

„Die Miete ist schon verdammt hoch, wenn man diese Klitsche betrachtet“, beschwerte sich ein Freigänger. Zwei Häftlinge teilen sich jeweils ein etwa 15 Quadratmeter großes Zimmer. Jedes der acht Holzhäuser auf dem Gelände hat eine eigene Küche, in der sich die Bewohner selber verpflegen können. „Wir sind froh, daß diese Buden hier überhaupt noch halten“, erklärte ein Vollzugsbeamter und beschwerte sich, daß die CDU/FDP-Regierung in den offenen Vollzug kaum investiert habe. Laut Koalitionsvereinbarungen mußte sich das ändern: Demnach soll der offene Vollzug Regelvollzug werden.

cb