Das Cabinet des Erich Pommer

■ Hans-Michael Bock und Ute T.Schneider ist ein liebevolles Porträt des außergewöhnlichen Produzenten gelungen - Montag, 23 Uhr, ARD

Auch heutzutage gibt es niemanden, der Erich Pommer den Titel als bedeutendster und legendärster Produzent der deutschen Filmgeschichte streitg machen könnte. Ein Artur Brauner oder Bernd Eichinger mögen ihm an Popularität bei Publikum und Fachpresse in nichts nachstehen (die sich allenthalben in Fernsehshows ins rechte Licht rücken), ein solch integraler Bestandtteil der Filmhistorie werden sie indessen niemals werden.

Pommers Karriere ging einher mit dem Aufstieg der Ufa zur marktherrschenden Produktionsgesellschaft; als Gründer der Decla und Produktionschef der Ufa zeichnet er verantwortlich für rund zweihundert Filme, darunter fast sämtliche Meisterwerke des deutsch-dämonischen Stummfilms, ja, des Films vor 1933 insgesamt.

Hans Michal Bock und Ute T.Schneider haben ihrem Fernsehporträt den gleichen Untertitel gegeben, den auch Wolfgang Jacobsen für seine skrupulös recherchierte Pommer -Monographie wählte: „Ein Produzent macht Filmgeschichte.“

Die Autoren nahmen diesen Untertitel ernst, zeichneten die Stationen von Pommers Karriere nach (ohne dabei in das Hasten von einer zur nächsten station zu verfallen) und entwarfen ein Panorama deutscher und internationaler Kinogeschichte.

Es gelang ihnen zu verdeutlichen, daß für Pommer der Widerspruch von Kunst und Kommerz nicht immer ein unauflösbarer war; seinen Geldgebern und den Ansprüchen und Intentionen der Regisseure und Autoren gleichermaßen verpflichtet zu sein, bedeutete für diesen Produzenten kein Dilemma.

Die Sendung dokumentierte dementsprechend auch nicht nur die großen künstlerischen oder kommerziellen Erfolge, sie gab auch Beispiele für Pommers Konzeption des ambitionierten Unterhaltungsfilms.

Ebenso wie Wolfgang Jacobsen ging es den Autoren darum, die landläufige Definition der Aufgaben eines Filmproduzenten (jemand, der ein Gespür für kommerzielle Stoffe hat, der Schauspieler entdeckt und zu Stars macht, der Regisseuren Arbeitsmöglichkeiten und Freiheiten schafft - oder einschränkt) zu erweitern.

Pommers wahre Leistung mag darin gelegen haben, das Filmemachen als kollektiven Akt begriffen zu haben, und die Autoren spürten seinen Einfluß auf alle Phasen der Filmproduktion nach: seinem Faible für technische Innovationen, seinem unermüdlichen Arbeitstemperament bei Drehbuchkonferenzen, seinem Sinn für Publicity.

Das Filmmaterial, mit dem Hans-Michael Bock und Ute T.Schneider ihre Sendung illustriert haben, ist liebevoll ausgewählt und sorgfältig recherchiert: seltene Aufnahmen von Dreharbeiten und Vertragsabschlüsen, Originalton von Pommer selbst, ein letzter Fernsehauftritt des an den Rollstuhl gefesselten Produzenten, der nichts weniger als anrührend war.

Selbst die Dokumentaraufnahmen des alten Berlin, sonst immer nur Pflichtübung und Fremdkörper in Dokumentationen dieser Art, sind wunderbar integriert: Es gibt einen Schwenk über den Potsdamer Platz, nach dem man sofort einen Schnitt auf Pommers Büro erwartet.

Vor allem konnten sich die Autoren der Redlichkeit ihrer Interviewpartner anvertrauen, ohne Gefahr zu laufen, allzu große Konzessionen an den Mythos zu machen, der sich um diese außergewöhnliche Produzentengestalt gebildet hat.

Pommers Sohn und seine Nichte erinnerten sich des Privatmenschen. Der Autor Curt Siodmak beschrieb das distanzierte Verhältnis, das Pommer zu seinen Mitarbeitern haben konnte: Er sei „streng“ gewesen, sehr „deutsch“, aber vor den Eingriffen der Ufa hätte er ihre Arbeit geschützt.

Die Interviewpassagen waren erfreulich wenig aufs Anekdotische reduziert; nur eine Anekdote erzählte Curt Siodmak, und die war gleich wundervoll: Pommer pflegte bei Drehbuchkonferenzen in seiner luxuriösen Wannsee-Villa eine Mark in Pfennigstücken auf den Tisch zu legen und den Autoren für jede gute Idee fünf Pfennig zu geben.

Natürlich gab es ständig Streit darüber, wie gut eine Idee wirklich war, und jeder, der mehr als dreißig Pfennig am Ende des Tages mit nach Hause nahm, konnte sich glücklich schätzen: „Auf diese Weise bekam Pommer ein gutes Manuskript für eine Mark!“

Gerhard Midding