: Gleich zweimal schlug Lamberti zu
Thriller-Atmosphäre an Bonner Gewässern / Die 4x200 Meter Freistil: Höhepunkt der Schwimm-EM ■ Aus Bonn Martin Krauß
Zweihundert Meter Schwimmen ist eine Leistung, die gemeinhin fürs Sportabzeichen reicht. Wenn sich aber vier junge Leute verabreden, diese läppische Distanz hintereinander runterkraulen, neben anderen, die das Gleiche machen, kann daraus ein wahrer Krimi entstehen.
So zum Beispiel die 4*200-Meter-Freistil-Staffel der Männer am Mittwochabend im Bonner Römerbad. In einem atemberaubenden, Rennen gewann schließlich die italienische Staffel in 7:15,39 die Goldmedaille bei dieser Europameisterschaft, fast exakt zwei Sekunden vor der zweitplazierten BRD (7:17,38). Ganz knapp dahinter schlug das DDR-Quartett an, nach 7:17,79 Minuten.
Vom Start weg hatten die Schweden, am Schluß Vierte, für die richtige Thrilleratmosphäre gesorgt. Deren Startschwimmer Anders Holmertz, Dritter im Einzelrennen, hatte eine unglaubliche Geschwindigkeit vorgelegt, nach 100 Metern in 51 Sekunden und bei 150 Metern in 1:18 Minuten gewendet, konnte aber dann sein weltrekordverdächtiges Tempo nicht mehr halten. Die anderen bestraften Holmertz‘ Kamikaze -Strategie, sie kamen ihm immer näher.
Schon nach zwei Schwimmern hatte die italienische Staffel die Führung übernommen, und dann kam Giulio Lamberti. Der war bereits am Vortag im Einzelfinale mit 1:46,69 Minuten Weltrekord geschwommen. Mit 50,80 Sekunden ging er die ersten 100 Meter an, schneller als der bundesdeutsche Meister dieses Jahres über die Kurzstrecke. Mit der bisher nicht für möglich gehaltenen Zeit von 1:45,53 Minuten - kein Weltrekord, weil in der Staffel geschwommen - schickte er den Schlußschwimmer Stefano Battistelli, der nur zwanzig Minuten vorher Bronze über 400 Meter Lagen geholt hatte, ins Wasser. Das Lagen-Rennen habe ihn für die Staffel nicht behindert, erzählte dieser später, Lamberti habe ihm ja genügend Vorsprung mitgegeben, so daß er die Staffel in Ruhe nach Hause schwimmen konnte.
Lamberti hat sich mit seinem Weltrekord und seiner Leistung in der Staffel bereits zum Star dieser EM gemacht. Der Sohn eines norditalienischen Gewerkschafters war letztes Jahr bei den Olympischen Spielen als Favorit schon im Vorlauf gescheitert und hat jetzt - in den Worten des 'Bild'- und ZDF-Reporters Michael Groß - „Wiedergutmachung“ geleistet.
So spannend wie bei den Männern war es im 4x200 Meter -Kraulfinale der Frauen am Dienstag nicht. Unter dem outfitmäßig sehr nach Parteitagslosung aussehenden Transparent „Die DDR ist zwar nicht groß, doch unsere Schwimmer sind famos“, schwamm die DDR dem Rest Europas davon. Vormittags hatte es ein Ausschwimmen um den vierten Staffelplatz zwischen Astrid Strauß und Dagmar Hase gegeben. Verliererin Hase war mit 2:01,11 Minuten immer noch deutlich schneller als jede Schwimmerin des DSV-Quartetts, das den sechsten Platz belegte.
Frauen-Bundestrainer Niels Bouws hatte die Staffelbesetzung kurzfristig umgestellt, da sich die bundesdeutsche Vizemeisterin über 100 und 200 Meter Kraul, Heike Holler aus Berlin, völlig außer Form vorgestellt hatte. Für sie rückte die 28jährige Sprinterin Marion Aisporz in die Staffel, die mit neuen Trainingsmethoden nach langer Karriere noch mal ganz nach oben kam. Sie ging sehr schnell an, konnte das Tempo aber nicht halten. Die Schlußschwimmerin Birgit Lohberg lieferte ein hervorragendes Rennen, hatte aber Pech, was die Optik betraf. Die anderen Staffeln setzten ihre Spitzenleute auch zum Schluß ein, und gegen die Weltrekordhalterin Heike Friedrich (DDR) sowie die dänische Bronzemedaillengewinnerin im 200-Meter-Einzelrennen, Mette Jacobsen, konnte sie nur schlecht aussehen.
Viele Aktive, die bei den Deutschen Meisterschaften vor sechs Wochen in Dortmund hervorragend waren, blieben bei der EM deutlich unter ihren Möglichkeiten, ein Phänomen, das mit dem bundesdeutschen Qualifikationsmodus zusammenhängt. Wer zur EM wollte, trainierte auf die Deutschen Meisterschaften als Saisonhöhepunkt hin. Für diesen Tag wurde eine Formzuspitzung durch systematische Reduzierung des Trainings vorgenommen. Danach war die Form erstmal futsch, und die folgenden sechs Wochen reichten für ein Aufbautraining nicht aus. So war man zwar im Besitz einer EM-Fahrkarte, aber ohne die einer solchen Veranstaltung entsprechende Form.
Nur die Schwimmer und Schwimmerinnen, deren Qualifikation unbestritten war, konnten die EM wirklich als Saisonhöhepunkt nützen. Daran knüpft ein von Stephan Pfeiffer - nach der Staffel noch ziemlich aus der Puste vorgebrachter Vorschlag an. Der 400- und 1.500 Meter-Meister regte nach dem Erfolg der 4x200 Meter-Staffel an, die Konkurrenz bei den Deutschen Meisterschaften zugunsten gemeinsamen Trainings aller Spitzenschwimmer- und schwimmerinnen aufzugeben. Diese sollen - so der „beim Abendbrot“ entwickelte Vorschlag - sich voll auf internationale Meisterschaften konzentrieren und die internen Kämpfe hinter sich lassen.
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