Plastik-Eintrittskarten nach Israel

■ Zu Tausenden brauchen jetzt Palästinenser aus dem besetzten Gaza-Streifen maschinenlesbare Ausweise / Initifada-Aktivisten kassieren Dokumente und legen Archive an / Bericht über desolates Gesundheitswesen: Für 700.000 Menschen gibt es ganze 500 Ärzte

Gaza (afp/taz) - Zu Tausenden stehen die Palästinenser aus dem besetzten Gaza-Streifen diese Woche vor dem Gebäude der israelischen Zivilverwaltung in der Stadt Gaza Schlange. Sie alle brauchen eine kleine Plastikkarte mit maschinenlesbarem Magnetstreifen - die Eintrittskarte ins gelobte Land. Wer in Israel arbeiten will, muß diese Karte ab kommendem Freitag haben.

Rein äußerlich sieht die Karte banal aus: ein Foto und ein Name. Wird die Karte jedoch beim Grenzübertritt nach Israel in den Computer gesteckt, erscheinen auf dem Bildschirm die Steuerdaten des Betroffenen, der Zivilstand und sein Strafregister. Wer somit einem Aufruf der Untergrundführung des Aufstands gefolgt ist und seine Steuern nicht bezahlt hat oder sich weigerte, die häufig willkürlich festgesetzten Summen zu entrichten, muß jetzt mit Problemen rechnen. „Nach 21 Monaten Intifada können wir uns nicht in eine Debatte über Datenschutz und Freiheit stürzen“, meint Schmuel Goren, Mitarbeiter des Koordinators der israelischen Aktivitäten in den besetzten Gebieten. Nach seinen Angaben wurden bereits 60.000 Karten ausgestellt. Von kommender Woche an soll der Ausweis statt bisher 20 Mark bereits 80 Mark kosten.

Auf seiten der Palästinenser wird über diese Behauptung nur gelächelt. „In Wirklichkeit sind es die palästinensischen Kommandotrupps, die ihren Willen durchgesetzt haben“, meint Dschumaa aus dem Flüchtlingslager Khan Junis. Vor zwei Wochen hätten vier maskierte Männer seinem Nachbarn, der entgegen den Anordnungen der Vereinigten Führung des Volksaufstandes eine Karte beantragt hatte, mit einer Rasierklinge die Ohrläppchen aufgeschlitzt. Normalerweise seien die palästinensischen Aktivisten jedoch nicht so brutal.

Am Anfang hätten die Chabab - die jungen Demonstranten Karten, die sie entdeckten, einfach zerstört. Heute seien sie aber besser organisiert. Sie errichteten Straßensperren oder machten Hausdurchsuchungen, um die Karten einzusammeln. Diese werden jetzt aufbewahrt und archiviert - eingedenk der bitteren Realität des Gaza-Streifens. Braucht ein Palästinenser etwa medizinische Behandlung in Israel, erhält er seine Karte zurück. Auf die Frage, ob es kein Risiko sei, die Karte mit sich zu führen, entgegnet Dschumaa nur, es gebe schließlich auch eine wirtschaftliche Realität. 60.000 Palästinenser reisen täglich nach Israel, um dort zu arbeiten, und tragen so ganz beträchtlich zu den Einnahmen im Gaza-Streifen bei. Was die medizinische Versorgung im Gaza-Streifen anbelangt, so hat jetzt eine Gruppe von Ärzten einen Bericht über den desolaten Zustand des Gesundheitswesens in diesem von Überbevölkerung und Armut geprägten Flecken vorgelegt. Die „Vereinigung israelischer und palästinensischer Ärzte für Menschenrechte“ erklärte am Mittwoch in Jerusalem, die einzige psychiatrische Abteilung für die 700.000 Palästinenser im von Israel besetzten Gazastreifen habe keine Psychiater, und die einzige Krebsabteilung werde nicht von einem Onkologen, sondern von einem Blutspezialisten geleitet. Für jede einzelne Bestrahlung müsse der Krebskranke seine Sonderbewilligung der Militärbehörden einholen. Reihenbehandlungen in israelischen Krankenhäusern sind den Bewohnern des Gaza -Streifens nicht gestattet. Ein Krebskranker, der in Israel behandelt wird, muß daher morgens hin- und abends wieder zurückfahren.

Im Gaza-Streifen gibt es für eine Bevölkerung von rund 700.000 ganze 500 Ärzte, einer für 1.400 Palästinenser, während das Verhältnis in Israel bei 1:400 liegt. Das Shifa -Krankenhaus, das größte in Gaza, funktioniert ohne elemantare Ausrüstung, die für Diagnostik und Behandlung unverzichtbar sind.

In ihrem Bericht warfen die Ärzte außerdem den israelischen Truppen vor, sie behinderten die Behandlung von verwundeten Palästinensern. Seit Beginn des Aufstandes der Palästinenser in den besetzten Gebieten hätten die israelischen Truppen eine neue Taktik entwickelt: „den Einsatz der Medizin als zusätzliches Mittel zur Unterdrückung der Bevölkerung“.

b.s.