Revanchistische Dokumentation

Papier der Bundesregierung über „offene deutsche Frage“ glänzt durch geschichtsklitternde Auslassungen  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Wieder geht in der Bundeshauptstadt der Revanchismus um diesmal allerdings auf ganz leisen Sohlen. Die polnische Westgrenze wird in Frage gestellt - diesmal von der Bundesregierung, genauer: von ihrem Sprecher Hans Klein. „Von Teheran bis zum Grundlagenvertrag. Eine Dokumentation über die offene deutsche Frage“, so lautet ein 20 Seiten starkes Papier, das Klein letzte Woche an einige Journalisten schickte. Nicht nur wird allein mit dieser Zustellung die längst entschiedene Frage um die endgültigen deutschen Grenzen unter dem Vorwand der noch offenen Rechtslage wieder hochgekocht. In der „Dokumentation“ wird das Potsdamer Abkommen von 1945 so selektiv und unvollständig zitiert, daß der Eindruck entsteht, die Frage der polnischen Westgrenze sei von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs bewußt offengelassen worden, um sie später eventuell doch noch zugunsten Deutschlands entscheiden zu können. Was die „Argumentationshilfe für Journalisten mit Aufkärungsbedarf“, so nennt ein Sprecher Kleins das Papier, aufführt: Die Regierungschefs Großbritanniens, der USA und der UdSSR - Roosevelt, Churchill und Stalin - hatten in dem Abkommen von 1945 einen Vorschlag der sowjetischen Regierung geprüft, “...daß vorbehaltlich der endgültigen Bestimmung der territorialen Fragen bei der Friedensregelung derjenige Abschnitt der Westgrenze der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der an die Ostsee grenzt, von einem Punkt an der östlichen Grenze der Danziger Bucht in östlicher Richtung nördlich von Braunsberg-Goldap und von da zu dem Schnittpunkt der Grenzen Litauens, der Polnischen Republik und Ostpreußens verlaufen soll“. Den entscheidenden sich anschließenden Abschnitt unterschlägt die „Dokumentatin“: Fortsetzung auf Seite 2

FORTSETZUNG VON SEITE 1

Dieser legt nämlich fest, daß sowohl Königsberg als auch weite Teile Ostpreußens der UdSSR zufallen. Von einem weiteren Kapitel wird nur erwähnt, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße (jene also, die Vertriebenverbände und rechte Unionisten noch heute zu Deutschland zählen) “... unter polnische Verwaltung gestellt werden“.

Hier fehlt ebenfalls der zentrale folgende Satz, in dem von diesen Gebieten als den „früheren deutsche(n) Gebiete(n)“ die Rede ist. Aus dem Londoner Protokoll der europäischen Beratungskommission von 1944 wird ein Halbsatz herausgepickt und in Fettschrift gedruckt „Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 waren...“

Der Rest des Satzes, in dem man die Aufteilung in drei Zonen beschließt,

ist wieder normal gedruckt. Mit keiner Silbe findet im weiteren die historisch nahezu unumstrittene Tatsache Erwähnung, daß die Formulierung „Deutschland in den Grenzen von 1937“ sowohl in diesem Protokoll als auch in den folgenden Beschlüssen der Alliierten keineswegs deutsche Ansprüche auf seine Gebiete von 1937 festschreiben sollte. Sie war lediglich eine Diskussionsgrundlage, eine Verlegenheitslösung als Antwort auf die damals völlig unklare Frage was Deutschland überhaupt war.

Der für das Papier zuständige Referent aus dem Presseamt des Ministers Hans Klein glaubt dennoch nicht, Entscheidendes ausgelassen zu haben: „Um diese Stellen, die Sie anführen, ging's uns nicht. Wir wollten lediglich aufzeigen, daß die originären Rechte der vier Siegermächte für Deutschland als Ganzes, und das heißt in den Grenzen von 1937 fortbestehen. Nur um die fortbestehenden Rechte der Alliierten ging's uns.“ Und auch darum: „Die deutsche Frage ist offen.“