NEGER QUÄLEN ODER: DIE KUNST DES WEISSELNS

■ Eine Pressekonferenz fürs Leben

Die ostafrikanische Republik Victoria hat als Abschluß eines offiziellen Staatsbesuchs der befreundeten Bundesrepublik zu einer Pressekonferenz in Berlin gebeten. Ich hatte eine persönliche Einladung erhalten. Der Premier höchstselbst ist angekündigt, begleitet von zwei Ministern und seinem Bonner Botschafter. Höflich und formvollendet begrüßt der Presseattache die Anwesenden in Englisch; stellt uns die Politiker vor, entledigt sich der obligatorischen Verbeugungen: „Wir freuen uns... voller Dank... Ihr schönes Land... so erfolgreich... gemeinsam Frieden und Stabilität... herzlicher Empfang...“ und bittet die Journalisten um erste Fragen.

Besonders gut vorbereitet bin ich nicht, blättere das magere Pressematerial durch, das aus einem Porträt des Dr.Steve Biko und einer Stichwort-Information zur Republik Victoria besteht. Alles klingt wunderbar: Der Premier hat nach dem Studium an der Landesuniversität gelehrt, wurde dann Generalsekretär der allgemeinen Volkspartei und schließlich erster Mann des Staates; offenbar bis in die zivilisierte Kinderzahl hinein - ein Junge, ein Mädchen! vorbildlich. Dem Land - bis 1960 britische Kronkolonie und jetzt eine parlamentarische Demokratie - scheint die Quadratur des Kreises gelungen zu sein: Victoria, eine gedeihende afrikanische Republik. 60 Prozent Einwohner können lesen und schreiben, 80 Prozent sind Christen, die wirtschaftliche Wachstumsrate beträgt 3,5 Prozent. Das Land lebt von Agrarwirtschaft, handelt mit der EG, mit Japan und den USA. Ungenutzt sind bislang die wertvollen Bodenschätze

-Diamanten, Gold, Bauxit, Kupfer. Eine blühende Insel inmitten des von Weißen hingerichteten Kontinents.

Und so sehen seine Vertreter auch aus. Außer dem Pressesprecher mit hellerer Gesichtsfarbe und glattem schwarzen Haar allesamt strahlende, junge, dunkelhäutige Männer mit Kinnbärten und Schnauzern. Gekleidet sind sie sehr unterschiedlich, wobei mir unklar ist, was wohl nach victorianischer Ansicht als modern gilt: die Anzüge, hellblau bzw. makellos schwarz, oder die ethnische Tracht. Der Premier trägt eine Art legeren Hausanzug, in kräftigen Tönen großgemustert, dazu ein knappes Käppi; sein Finanzminister einen edlen weißen, goldgerandeten, fußlangen Kaftan.

Eine ältere Kollegin eröffnet die Fragerunde: Was denn nun bei dem Staatsbesuch herausgekommen sei? Die Zusage technischer und finanzieller Hilfe, hören wir. Victoria erhält einen 30-Millionen-Kredit und zusätzlich 50 Millionen DM Subvention von der Bundesrepublik. Ob das Land Schulden bei der Weltbank habe, fragt der Mann vom Deutschlandsender. Nein, man habe insgesamt nur 1,5 Milliarden Auslandsschulden und versuche zur Zeit, die Inflation in den Griff zu kriegen. Ich schaue nochmal in die Unterlagen. Da steht: Inflationsrate 50 Prozent. Auch die anderen sind über die Zahl gestolpert. Nun haben wir Journalisten das Musterland am Haken. Wieso 50 Prozent? Da kann es der Bevölkerung gar nicht so gut gehen wie behauptet. Mr.Kapari, der Finanzminister, dankt für die interessante Frage und wiegelt ab. Es handle sich um ein rein fiskalisches Problem, „der Staat druckt einfach zuviel Geld, um das Defizit auszugleichen“. Vor meinem inneren Auge taucht Dagobert Duck auf, wie er in Entenhausen/Victoria selber an der Prägemaschine steht.

Ich melde mich: In einer Reportage hätte ich jüngst über die besonders elende Lage der Frauen in Victoria gelesen. „Die Männer verlassen ihre Familien, gehen in die Städte; die Frauen müssen die Kinder allein großziehen und gleichzeitig das wenige, karge Land beackern, das ihnen privat noch geblieben ist; teils um Schulden abzuzahlen, teils zur eigenen Ernährung; von ihren Männer hören sie häufig nie mehr.“

Auch jetzt übernimmt der Premier persönlich die Beantwortung. Er ist nicht nur gut informiert, sondern ebenso eloquent in seinen Antwort-Manövern. Die Frauen Victorias, sagt er, seien „in keiner Weise unterprivilegiert. Ihnen stehen dieselben Möglichkeiten offen wie den Männern. Allerdings hat Victoria eine Gesellschaftsform, in der immer noch der Mann als Familienoberhaupt gilt; in der Öffentlichkeit dominiert er.“ Wenn die Männer fortgingen, dann nur, um Geld für ihre Familie zu verdienen. „Jeden Pfennig schicken sie nach Hause.“ Er erregt sich, wird lauter und wiederholt noch einmal: „Unsere Frauen sind in keiner Weise unterprivilegiert, und sie sind nicht“ - da verspricht er sich, sagt „depressed“ statt „suppressed“, - sie seien nicht niedergeschlagen. Den Artikel findet er sehr unfair und beschließt seine kleine Männerrede für die Frauen nahezu genial: „Wie auch die Lage in unserem Land sein mag, sie wird von beiden geteilt, von Männern und Frauen!“

Wir Journalisten geraten in Jagdfieber, sind, im natürlichen Bewußtsein unserer Erstwelt-Überlegenheit, unzufrieden, suchen weiter nach blinden Flecken im goldenen Schwarzafrika-Porträt. Da haben wir ein offenbar durch und durch korruptes, den westlichen Industrienationen höriges Land waidgerecht vor uns und können nun in sauberster Gesinnung unsere Fragen stellen, die den Politikern dieses Landes endlich die Augen öffnen sollen für ihre eigene Verrottetheit. „Was denn, bitteschön, hat Victoria als Gegenleistung versprechen müssen für die beträchtlichen Geldsummen? Dürfen etwa deutsche Firmen jetzt die Bodenschätze ausbeuten?“ Ungerührt kontert der ehrenwerte Mr.Biko auch diese Frage sowie unseren selbstgefälligen Spott mit einem verbindlichen Lächeln, ehe er ausholt: „Wie ich schon sagte, unsere beiden Länder pflegen gemeinsame Beziehungen... selbstverständlich wollen wir nichts umsonst... in voller gegenseitiger Übereinstimmung... Ihr Land hat Interesse an unseren Mineralien... wir sind angewiesen auf Expertenwissen... Unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen sind hervorragend... Wir sind dankbar für private Investitionen“ usw. usf...

So ähnlich haben wir es in tausend und einer Fernsehnachricht von unseren eigenen Politikern gehört, wenn sie von ihren notorisch erfolgreichen Auslandsreisen zurückkehrten. Und was dieselben Journalisten dem heimischen Staatsmann selten antun mögen - nämlich widersprechen, hartnäckig nachfragen, lästig sein - hier praktizieren wir es, hier sind wir die Helden der westlichen Welt und keine „Nickneger“, wie in meiner Kinderzeit die schwarzen, bei Geldeinwurf sich verbeugenden Köpfe auf den Spendenbüchsen hießen. Wir setzen den schwarzen Männern nur zu ihrem eigenen Besten hart zu - Missionare im neuen Gewand.

Wie der Deutschlandsender-Kollege zum Beispiel. Sein Spezialgebiet ist Afrika. Und nun zieht er seinen Trumpf aus der Tasche. „Ich habe, Herr Außenminister, vor zwei Tagen im 'Financial Observer‘ gelesen, Ihr Land verkaufe an Kriegsgebiete.“ Mr.Damba, Außenminister im hellblauen Anzug, ist noch nicht gefordert worden; er schreckt hoch, räuspert sich und sagt, als beherzige er eine Grundregel der Kommunikationslehre: Zeit gewinnen durch strukturierendes Wiederholen der Frage: „Ihre Frage besteht aus zwei Teilen, richtig?“ Da müssen plötzlich alle lauthals lachen: der naseweise schwarze Lümmel, seine Geschwister und die stolzen weißen Eltern ebenso. Mr.Damba redet sich warm. „Wir sind ein sehr junger Staat, gehören, verglichen mit kriegsführenden Staaten, eher in die Gruppe der Entwicklungsländer. Und deshalb“ - jetzt schreit er fast „kann ich mir gar nicht vorstellen, daß unser Land Waffen verkauft. Im Gegenteil!“ - seine Stimme überschlägt sich „Wir führen selber Waffen ein.“ Alle halten den Atem an: Wird er in seine eigene Falle laufen? Aber er fährt fort, „zum Schutze unserer inneren Integrität.“ Man lacht anerkennend, genießt die diplomatische Spitzenleistung.

Nun möchten wir aber auch eine Niederlage erleben. Was zum Beispiel ist mit Victorias Militär? Wie bitte? 300.000 Mann in Waffen bei acht Millionen Einwohnern! Und das, wo Victoria angeblich beste Beziehungen zu seinen Nachbarn unterhält? Mr.Biko lächelt; die Kosten fürs Militär fallen gar nicht ins Gewicht, und überhaupt, die Männer seien nicht ständig in Uniform. „Aber verdammt“, sagt die Frau von Associated Press. „Sie haben Panzer, eine Luftwaffe and God knows what! Das kostet doch. Ich möchte Zahlen hören.“ Da behauptet Mr.Kapari frech, der Militärhaushalt mache nur zwei Prozent des Staatsbudgets aus. Das ist nun wirklich ein bißchen dick aufgetragen, finden nicht nur wir Journalisten. Auch die übrigen Zuhörer lachen respektlos den Minister aus. Ein Hörfunkjournalist meldet sich zu Wort und wendet sich ausdrücklich an den Botschafter. Mr.Akieme: Er habe von einer Berliner Exilgruppe politischer Flüchtlinge aus Victoria gehört, die nicht nur in ihrem Heimatland, sondern selbst hier um ihr Leben fürchten müßten. Könne Mr.Akieme sich bitte zu diesem Gerücht äußern.

Der Botschafter hat, das ist kaum zu übersehen, ein bißchen vor sich hin gedöst. Er setzt sich aufrecht, dankt für die „interessante Frage“ und beginnt in leicht stockendem Englisch vorsichtig mit deren Beantwortung. Es handele sich, sagt er, bei diesen Personen hauptsächlich um ehemalige Studenten. Die meisten dieser „sogenannten Flüchtlinge“ hätten aber vor allem persönliche Probleme. Es gehe ihnen schlecht. Mr.Akieme hebt seine Stimme: „Wissen Sie, fünf Jahre Bundesrepublik sind einfach zuviel für einen Victorianer. Diese sogenannten politischen Flüchtlinge sind doch gar keine politischen Flüchtlinge; das sind doch alles Wirtschaftsflüchtlinge!“ Alle halten die Luft an, und dann braust ein Lachsturm los: Der „ehrenwerte“ Premier von Victoria, Mr.Steve Biko, sein Finanz- und sein Außenminister, sämtliche Journalisten und die übrigen Zuhörer - alle lachen laut heraus. Fast geht der Rest der Antwort im anhaltenden Gelächter unter. „Wir betreiben“, fährt der Botschafter fort, selber noch lachend, dann aber seine Züge glättend und mit einem Griff an seine Krawattennadel, „eine Rückholungspolitik. Niemand hat etwas zu befürchten bei uns. Nur eines sei diesen Leuten gesagt. Bei uns in Victoria muß jeder aus eigener Kraft für sein Leben sorgen. Schmarotzer gibt es bei uns nicht.“ Das Lachen schwillt noch einmal an.

Dieses Gespräch hat genauso stattgefunden. Und doch ist in Wirklichkeit alles ganz anders. Die schwarzen Herren sind zwar echt. Auch wir Journalisten und Journalistinnen sind es. Aber Victoria, die wundersame Republik im Osten Afrikas, dieses strahlende Land mit seinen glänzenden Machtträgern, Victoria ist durch und durch Fiktion. Wir alle wußten es. Berliner Journalisten sollten an einer simulierten Pressekonferenz teilnehmen, die zu einem Ausbildungsprogramm von Diplomaten der „Dritten Welt“ gehört. Zweimal im Jahr führt die regierungsnahe „Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung“ (DSE) seit 1982 einen viereinhalbmonatigen Kurs durch. Zu den Themen gehören Vorträge und Arbeitsgruppen: über die Bundesrepublik und das Schuldenproblem, über die Weltbank und das Kreditwesen, über die UNO, die Nato, über wirtschaftliche Entwicklung und private Investitionen. Und Lektionen über Benehmen, gutes und schlechtes. Die heißen im Programm „Diplomatische Arbeitstechniken„; und darunter fallen das diplomatische Protokoll, „wirkungsvolle öffentliche Rede“, Verhandlungspraktiken und eben auch der Umgang mit der Presse.

Das Kulturprogramm der Kurse, sonst Damensache - aber Diplomaten sind ja in gewisser Weise Damen mit Damenprogramm -, ist ausgewogen, unverbindlich überraschungslos und gibt den auswärtigen Damen und Herren gute Gelegenheit, sich in den westweltweit herrschenden Standard einzugewöhnen. Von Holiday on Ice über Kammerkonzerte, einen Senatsempfang, Museumsbegehungen, Ballett-Vorführungen, Festspiele, den nie versagenden Ostberlinschock bis zum Besuch einer Disco ist höchst erstweltlich für sämtliche Sinnestötergenüsse gesorgt.

„Neger quälen“ hieß die Veranstaltung schon im voraus bei mir. Das Absurde war dann allerdings, daß uns allen der Sprung ins Absurde so gut gelang. Vielleicht sind wir aber überhaupt nie gesprungen. Hat man erst einmal sozusagen kopflos Platz genommen im Szenario, escheint alles monströs normal.

So auch die anschließende Kritik der vorgeführten Simulation. Der Lehrer für den Bereich Presse trifft in einem geradezu lächerlichen Ausmaß meine literarisch genährten Vorstellungen von einem englischen Kolonialbeamten des 19.Jahrhunderts: schlank, grauhaarig, vornehm, über edelstes Inselenglisch verfügend. Zunächst einmal lobt er freundlich, was zu loben ist. Alle, besonders aber der „Premier“, haben sich hervorragend geschlagen. Es folgen die Fehler: Insgesamt hätte man einen zu positiven Eindruck von Victoria gegeben - „too rosy a picture“. Da weckt man nur den Schnüffelinstinkt der Journalisten. Ein paar Fakten seien einfach zu unrealistisch, einige Angaben zu vage gewesen. Die Presse will „Fleisch sehen„; und mehrmals sei die Delegation ernstlich in „hot water“ geraten, in Teufels Küche. Bei den Fragen nach der Inflation nämlich, dem Militär und den politischen Flüchtlingen. Er verrät eine diplomatische Faustregel: Man muß immer ein paar Schwierigkeiten zugeben, das erhöht die allgemeine Akzeptanz.

Und nun zur Frage des Waffenverkaufs; die ist vollkommen falsch beantwortet worden, bemängelt er. Wer sagt: Ich kann mir nicht vorstellen, daß..., hat doch etwas zu verbergen. Da muß man ganz entschieden leugnen. Am überzeugendsten wirke es, wenn man sich persönlich verbürgt dafür. Er wird es wissen!

Am Schluß fragt der „Premier“, ob es eigentlich gut gewesen sei, daß er selber fast alle Fragen beantwortet hat. „Am I fired?“ - Muß ich abdanken? Der Pressekenner ist offen: „Erst habe ich gezögert, aber insgesamt wirkt es positiv, wenn der Staatschef nicht den Eindruck erweckt, daß er keine Ahnung hat.“ Wir lachen alle einverständig, die Simulier -Victorianer, die übrigen Kursteilnehmer, die Ausbilder und wir Journalisten. Gemeinsam haben wir mit List ein gelungenes Stück inszeniert.

Ganz abgeschlossen jedoch ist das Spiel noch nicht. Zu einer anständigen Pressekonferenz gehört ein Empfang. Beim gemeinsamen Stehplaudern im Foyer des DSE-Gebäudes gleiten wir sanft aus der dritten Wirklichkeit in die zweite hinüber. Denn echt finde ich mich und meine Umgebung längst noch nicht. Wie könnte auch irgend etwas bei diesem globalen Zombietreffen real sein! Da sind aus 19 Ländern - von Benin und der Elfenbeinküste über Honduras, Hoffnungsträger ihrer Nationen hergeschickt worden, um westlichen Schliff zu erhalten oder verpaßt zu bekommen. Nach der geltenden UNO -Klassifizierung sind in den Kursen Diplomaten aus Zweit und Drittklasseländern vertreten, wobei ich lerne, daß man die dritte Klasse nicht mehr als LDC-Länder, „least developed countries“, bezeichnet, sondern im Zuge der weltweit grassierenden Verbalhumanisierung als „most seriously affected countries“, als die am ärgsten Getroffenen. Die Bundesrepublik bietet also solchen armen und ärmsten Ländern, die selber über keine „effizienten“ Institute verfügen, ihre Zusatzausbildung an; und das, je nach Zahlungsmöglichkeit, mehr oder weniger umsonst. „Doch“, so lese ich in einem Präsidentenvorwort zu der Selbstdarstellungsbroschüre der DSE, „die 'Investition in Humankapital‘ ist einfach unverzichtbar“. Und wofür sie, wie dieser obszöne Satz es formuliert, „unverzichtbar“ ist, dürfen wir während eben dieser Vorführung erleben. (wer glaubt denn, daß die brd oder ein anderes industrieland ein ernsthaftes interesse daran hat, „dritte welt„-länder mit fähigkeiten auszustatten, die den interessen der „ersten welt“ entgegenlaufen? d. s-in)

Das Sektglas in der Hand, frage ich einen der dunkleren Herren - die Schwarzafrikaner sind in der Überzahl und auch plauderlustiger: „Wie sind Sie eigentlich zu dem Beruf gekommen? Haben Ihre Eltern Sie dazu bestimmt?“ Er hatte einen Onkel, der dem Knaben sehr imponierte mit seinen stattlichen Autos, dem luxoriösen Reiseleben. Da hat er beschlossen, so will er auch leben, solche Autos will er auch fahren. Und ist Diplomat geworden.

Gibt es Differenzen zwischen Asiaten und Afrikanern? „Nein“, sagt mein Nachbar aus Kenia, „die gibt es nicht; wir verstehen uns alle gut.“ „Aber sicher gibt es die“, sagt die wunderschöne Diplomatin von Trinidad und Tobago. Er wisse es doch ganz genau und solle nicht leugnen, elender Harmonisierer, der er sei. Sie muß nur ihre Augen aufmachen, um zu begreifen, was in der Gruppe los ist. „Es kommt nämlich nicht darauf an, was die Leute sagen, sondern wie sie sich verhalten.“ Aus dem diplomatischen Kodex stammt diese Erkenntnis allerdings nicht. Da schlagen eher noch Reste nicht abgerichteter Unbefangenheit bei ihr durch. Sie selber kennt keine Schwierigkeiten. Zu Hause leben Chinesen, Weiße, Afrikaner, Inder, Juden und Mischlinge miteinander. Und, frage ich, haben die Weißen die besten Jobs? Nein, nicht einmal.

Wir kommen auf Männer und Frauen zu sprechen. „In Afrika“, sagt die Trinidad- und Tobago-Frau mit Blick auf die kraushaarigen Herren neben uns, „herrscht ausgesprochener Machismo“. Der Kenianer widerspricht sofort. Es stimme zwar, Männer mischen sich bei ihnen nicht in die Hausarbeit ein. Sie sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, die es so gelernt hat. „Die Frau ist zu Hause, der Mann arbeitet.“ Jetzt beginne man jedoch in Kenia mit einem neuen Erziehungsprogramm: Auch die Jungen lernen nun Kochen und Nähen.

Zu Hause heißt für ihn: bei seiner Mutter auf dem Land. Zu ihr fährt er in den Ferien; da streift er umher, pflückt er die frischen Früchte von den Feldern. Er mag dann immer gar nicht wieder fort. Bei der Abreise sagt er nicht: Ich fahre nach Hause, sondern: Ich fahre in die Stadt, zum Job. In seiner Kinderzeit waren alle in seinem Dorf wie eine einzige Familie. Jetzt sei alles anders geworden. Jede Familie lebt für sich, auch auf dem Land. Jetzt müssen die Kinder sich „verabreden“ und zum Essen nach Hause kommen.

„Ist das denn nicht ein Verlust für Sie?“ „Ach“, sagt er, sie seien den Weißen dankbar für alle Verbesserungen: „Jetzt haben wir Straßen, Städte, können uns bewegen... Das ist doch besser.“ „War es aber nicht schöner, wie Sie als Junge gelebt haben?“ „Ich kann reisen“, sagt er. „Mein Großvater ist in seinem ganzen Leben nie über die Distriktgrenzen hinausgekommen.“ Und dann äußert er den Satz aller Sätze zum „Nord-Süd-Dialog“ und darüber hinaus zu allen Aufklärungsglück- und -unglückbringern auf der ganzen Welt: „Wenn mein Großvater es anders gewußt hätte, hätte er es für sich auch anders gewünscht.“

In unserem kleinen irrealen Dialog rechtschaffener Simulanten frage ich reichlich allgemein und reichlich infam: „Haben die Europäer aber nicht doch Afrika zerstört?“ Erst nachträglich merke ich, daß ich „die“ und nicht „wir Europäer“ gesagt habe. „Nein“, antwortet er, „die Vorteile überwiegen. Und dafür sind wir dankbar.“ Natürlich wird er sich kein Eingeständnis leisten. Der Kursleiter mischt sich ein: „Ach ja, die Unterlegenheitssyndrome. Wir geben uns wirklich Mühe, sie davon zu befreien, und verstehen unser Ausbildungsprogramm auch als einen Beitrag dazu.“ Doch der Kenianer läßt sich nicht beirren. „Ihr könnt Autos bauen und zweistöckige Häuser, ihr sprecht mehrere Sprachen - und wir beherrschen noch nicht einmal unsere Muttersprache richtig! Wissen Sie, ohne Kolonialismus hätte es keine Demokratie gegeben. Nicht, daß wir schon eine wirkliche Demokratie hätten. Aber wir lernen.“

Und jenes Spiel, bei dem unserer politischen Bühne zum verschweigenden Wort verholfen wird, beherrschen wir Vertreter der freien Presse perfekt. Und doch ist es so, daß unser Mitmacheifer und unser Spott über den noch unvollkommen beherrschten Vaterjargon unserer Zöglinge andernteils, der lustvolle Blick also auf den verzerrenden Spiegel, auch das eigene tägliche Geschäft - gegen unsere Absicht freilich - bloßlegt. So trifft denn „Neger quälen“ den Sachverhalt nicht. Zeitgemäßer hieße dieses Geschäft wohl eher die Kunst des Weißelns.

Harriet Beecher-Stowe jr.