GREETINGS FROM ASBURY PARK, USA

■ Vom verblichenen Charme eines Badeortes der Jahrhundertwende

Nacht, 42nd Street, New York City. Vierzig Minuten südlich des nächtlichen Elends am Port Authority Bus Terminal steige ich in einer Kleinstadt in New Jersey aus.

Heiß, feucht, Zikadenlärm. Allein auf der Hauptstraße einer Südstaaten-Illusion. Bewegung in den Schatten. Die sich aus dem Dunkel lösenden Gestalten passen nicht in meinen Margaret-Mitchell-Traum. Langsam näher kommend, spottet eine junge Schwarze leise und gedehnt: „Lost? You mustn't be scared...“ Meine mitteleuropäische Kleinstadtskepsis läßt sich nicht beruhigen und erkauft sich den Weg ins nächste billige Motel mit drei Bucks.

Morgens. Im Sonnenlicht bleibt nur noch Unruhe. Immer noch hazy, hot and humid. Vorbei am einsamen Strand zum Kaffeetrinken. Nach zwei Refills die Frage nach dem „Woher“. Die Antwort „Germany“ weckt Mißtrauen. Was ich denn, um Himmels willen, hier in Asbury Park vorhätte. Erst die Erklärung, Autokauf für einen US-Trip, glättet die Neugier in den Gesichtern, und ich erfahre, daß die letzten Touristen nach dem „Medical Waste„-Skandal ganz ausgeblieben wären. Die Verunreinigung der Jersey Shores mit Krankenhausabfällen aus New York hätte, vor allem im Zuge der Aids-Hysterie, zur Schließung der Strände geführt. Nur noch vereinzelt ziehen Unverzagte über den Sandstrand. Der beliebte Freizeitsport Treasure Hunting spürt Kronkorken und verlorene Nickel auf und hält die Hoffnung wach.

Ein Spaziergang über die hölzerne Strandpromenade zeigt noch etwas von dem Glanz eines Badeortes der Jahrhundertwende. Aber es ist der Charme des Verfalls. Das Kasino ist geschlossen, die meisten Jugendstilfenster sind zerbrochen, nur ein paar Arbeitslose und Rentner sitzen in den Arkaden des einstigen Vergnügungspalastes. Überflüssig gewordene Dekorationen sind die letzten der kleinen Strandläden. Zwei Süßwarenlädchen mit den ehemals beliebten Mitbringseln Salty Tuffs und allen Arten von Fudge, ein Kinder-Go-Kart, eine Wurfbude mit entsetzlich echten Gummihühnern und das luxuriöse Holzpferdchen-Karussell. Die Hilfe der Wahrsagerin Madame Marie wird nicht mehr in Anspruch genommen. Was stünde in ihrer Kristallkugel?

Vielleicht, ob der erneute Plan der Stadtverwaltung, jetzt und heute den Niedergang aufzuhalten - schon in den dreißiger und fünfziger Jahren versucht - Erfolg haben wird. Ein neues Kasino wird gebaut, die touristische Infrastruktur soll verbessert werden, und es gibt Wohlfahrts- und Selbsthilfeprogramme für die Einwohner.

Nach Meinung dieser, hauptsächlich Schwarzer, viel zu spät. Sie sehen das Vorbild des weiter südlich an der Jersey-Küste gelegenen Atlantic City. Diese Spieler-Stadt funktioniert vordergründig ganz gut. Die Geschäfte des Sieben-Meilen -Boardwalks mit seinen großen Kasino-Hotels laufen prächtig. Hinter dieser Filmkulisse wohnt der Großteil der schwarzen Bevölkerung in heruntergekommenen Holzhäusern.

Die Einheimischen von Asbury Park rechnen nicht mit großartigen Verbesserungen ihrer Lebensumstände. Sie träumen von Florida, Kalifornien und auch West-Germany, begehrenswert wegen seiner Autos'dem Gesundheitssystem und des vermeintlichen Reichtums. So hat sich das gelobte Land ozeanweit verschoben.

„The angels have lost their desire for us, this boardwalk life for me is through“, singt Bruce Springsteen, der in der Gegend geboren wurde und hier seine Karriere begann, auf seiner ersten LP Greetings from Asbury Park. Einer von uns, sagen schwarze Jugendliche, die musikalisch eher auf Michael Jackson abfahren.

Ein Gebrauchtwagenhändler aus dem wohlhabenderen Nachbarort: „Wo sind Sie untergebracht?... Da müssen Sie schnellstens raus!“

Maggie Thieme