Katholik mit Traumkarriere

Tadeusz Mazowiecki brachte es vom politischen Häftling zum Kandidaten für das Amt des polnischen Ministerpräsidenten / Er zählt zum engsten Beraterkreis der Opposition  ■ P O R T R A I T

Berlin (taz) - Als er an jenem Morgen in der Redaktion der gerade wieder eröffneten oppositionellen Wochenzeitung 'Tygodnik Solidarnosc‘ im Warschauer Zentrum auftauchte, war er völlig übermüdet vom Verhandlungsmarathon der vorangegangenen Nacht. Chefredakteur Tadeusz Mazowiecki gehörte seit der innenpolitischen Öffnung in Polen im Januar dieses Jahres zum engsten Unterhändlerkreis der Opposition. Bei allen wesentlichen Verhandlungen sowohl am runden Tisch als auch bei den Debatten hinter verschlossenen Türen im Warschauer Magdalinka-Schlösschen, von denen eine gemeinsame Gruppe aus Vertretern der Staatsmacht und der Opposition aufgetretene Hemmnisse überwand, war Mazowiecki dabei.

An jenem Morgen war es der Gruppe in einer Nachtsitzung gelungen, sich auf eine Lösung zu verständigen, nachdem die Landesliste der Staatsführung bei den Wahlen durchgefallen war. Ein Bündnis zwischen gemäßigter Opposition und Reformerflügel der Partei schloß Mazowiecki damals noch aus. Auf die Frage, wem er denn nun näher stehe, dem liberalen Politbüromitglied Janosz Reykowski oder dem radikalen Solidarnosc-Dissidenten Andrzej Gwiazda, meinte Mazowiecki: „Im Bereich der Werte sicher Gwiazda, auch wenn ich seine Politik ablehne.“ Mazowiecki nämlich ist Katholik. Er steht der polnischen katholischen Kirche nahe, auch im politischen Alltag. Als im Mai letzten Jahres die Streikwelle in Danzig und Krakau eine innenpolitische Konfrontation zwischen Arbeitern und Staatsmacht herauf beschwor, schickte das Episkopat eine Vermittlungsdelegation in die Betriebe. Mazowiecki und der Warschauer Anwalt Sila-Nowicki erschienen in der Danziger Lenin Werft. Als Vermittler, so fand anschließend ein Kommentator der 'Polytika‘, sei Mazowiecki eigentlich nicht geeignet gewesen, stünde er doch eindeutig auf der anderen Seite.

In der Tat gehört der 62jährige Publizist im Grunde bereits seit 1955 zur polnischen Opposition. Schon damals, im Vorfeld des Posener Arbeiteraufstandes und der Tauwetterperiode unter Gomulka, war Mazowiecki aus der Tax, der von der Staatsmacht gegründeten Katholikenorganisation zur Spaltung der katholischen Kirche ausgetreten. Zusammen mit dem Publizisten Stefan Kisielewski, Professor Stomma und deren Kollegen reaktivierte er nach 1956 die Znak-Gruppe, benannt nach dem gleichnamigen Krakauer Verlag. In den 60er und 70er Jahren hatte die Znak-Gruppe dann auch eine handvoll unabhängiger Abgeordneter im polnischen Parlament. 1968 war Mazowiecki dabei, als Znak in einer für die Staatsmacht unerhörten Offenheit vor dem Parlament die Übergriffe der Polizei gegen demonstrierende Studenten brandmarkte. Bei den nächsten Wahlen 1972 stand Mazowiecki dann schon nicht mehr auf der Einheitsliste. In den 70er und 80er Jahren war er Chefredakteur der katholischen Monatszeitschrift 'Wiez‘. Den Kontakt zur sich organisierenden politischen Opposition der Gierek-Zeit verlor er dabei nicht, und als im August 1980 die Arbeiter in Polen streikten, fuhr Mazowiecki wie viele andere Intellektuelle in bestreikte Betriebe und fungierte als Berater der Streikenden bei deren Verhandlungen mit der Regierung. Innerhalb der Gewerkschaft Solidarität galt er stets als gemäßigter. Vor seiner Internierung 1981, nach Ausrufung des Kriegsrechts, schützte ihn das nicht. Damit hat der Journalist eine einmalige Karriere gemacht. Der Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung 'Tygodnik Solidarnosc‘, die mit seiner Internierung 1981 verboten wurde, konnte er acht Jahre später nicht nur seine Zeitung wieder aufmachen, aus dem politischen Häftling ist nun sogar Polens neuer Premier geworden.

Immerhin: Der gemäßigte Katholik dürfte für alle politischen Kräfte am ehesten annehmbar sein. Für die katholische Kirche ist der Katholik Mazowiecki allemal akzeptabler als die linken Atheisten Kuron und Geremek, die von Lech Walesa ebenfalls Jaruzelski vorgeschlagen wurden; für die Kommunisten ist der moderate Journalist annehmbarer als die beiden, die sie noch bis Ende letzten Jahres als Abenteurer und Staatsfeinde hinstellten. In der Oppositionsfraktion ist Mazowiecki ebenfalls konsensfähiger als der Warschauer Professor und der Altkommunist Kuron.