Kohls Emissär verhandelt in Ost-Berlin

■ Kanzleramtsminister Seiters zu Verhandlungen nach Ost-Berlin / Honecker antwortet Kohl / Wachsender Flüchtlingsstrom aus Ungarn / Neues Aufnahmelager bei Münster / Lintner für Wirtschaftssanktionen

Bonn/Ost-Berlin/Budapest (dpa/ap/taz) - Die festgefahrene Situation der DDR-Flüchtlinge in den bundesdeutschen Missionen in Osteuropa kommt in Bewegung: Kanzleramtsminister Rudolf Seiters ist zu direkten Gesprächen mit dem stellvertretenden DDR-Außenminister Herbert Krolikowski in Ost-Berlin eingetroffen. Seiters wurde von Kohl beautragt, vor Ort über neue Lösungsmöglichkeiten zu verhandeln. Grünes Licht für diese Gespräche hatte offenbar SED-Chef Honecker selbst gegeben. Wie Regierungssprecher Schmülling mitteilte, war bereits am Donnerstag ein Brief Honeckers eingegangen. Damit antwortete der SED-Chef auf ein Schreiben Kohls vom vergangenen Montag. Über den Inhalt der Honecker-Botschaft schwieg sich Schmülling aus. Auch die Gespräche des Auswärtigen Amtes mit Ungarn und der CSSR würden auf verschiedenen politischen Ebenen fortgesetzt.

Der stellvertretende ungarische Außenminister Istvan Oszi hat gestern den Botschafter der DDR in Budapest, Vehres, ins Außenministerium bestellt. Oszi stellte klar, daß die ungarischen Behörden weiterhin versuchten, eine Lösung „im Geist der ungarischen politischen und gesetzlichen Praktiken und unter Beachtung internationaler Normen“ zu finden. Vehres betonte, die Lösung des Problems sei die Rückkehr der Flüchtlinge in die DDR.

Der Strom DDR-müder Flüchtlinge über die „grüne Grenze“ zwischen Ungarn und Österreich hielt unvermindert an. Vom 1. bis einschließlich 17.August haben sich bereits rund 1.100 DDR-Bürger bei der bundesdeutschen Botschaft in Wien gemeldet. In der zweiten Julihälfte waren es 300.

Vor der Botschaft in Budapest warten derzeit etwa 800 DDR -Aussteiger auf ihre Ausreise. Obwohl sie auf die Nutzlosigkeit hingewiesen worden sind, haben alle einen bundesdeutschen Paß beantragt und erhalten. Die Pässe können allerdings wegen des fehlenden ungarischen Einreisestempels nicht zur Ausreise benutzt werden.

In der Bundesrepublik reagierten die Behörden inzwischen auf den verstärkten Flüchtlingsstrom aus der DDR. In Gießen wurde für die nächste Woche die Aufstellung von Bürocontainern angekündigt. Damit soll eine Straffung des Anhörungsverfahrens in der völlig überfüllten Zentralen Aufnahmestelle erreicht werden. In einer Kasernenanlage in Schöppingen bei Münster wird ab nächste Woche ein zusätzliches Lager für DDR-Flüchtlinge mit Platz für maximal 1.000 Menschen eingerichtet.

Der Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Lintner hält eine DDR-Wirtschaftshilfe nur dann für sinnvoll, wenn Honecker dazu bereit wäre, Reformen durchzuführen. Wirtschaftssanktionen gegen die DDR wären unter Umständen ein Mittel die Reformbereitschaft voranzutreiben. Hildegard Hamm-Brücher (FDP) forderte die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, „daß keine DDR-Bürger mehr in die Vertretungen der Bundesrepublik einströmen können“. Sie hoffe, daß die DDR-Flüchtlinge „zunächst in die DDR zurückkehren und dabei Hoffnung haben können, bald ausreisen zu dürfen.

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