Im Wald, da sind die Schützen

■ Försterhaus Dreilinden steht seit zwei Jahren leer / Der Revierförster würde gerne einziehen, doch der Lärm des US-Schießplatzes Rose Range ist zu groß / Schallschutz-Maßnahmen lassen auf sich warten / Unter Umständen muß das Forsthaus abgerissen werden

Das Försterhaus der Revierförsterei Dreilinden sieht aus, wie ein Försterhaus aussehen soll. Mitten im Wald steht das spitzgiebelige Häuschen, umgeben von einer grünen Wiese, umschlossen von einem hölzernen Jägerzaun. Eins allerdings fehlt dem Forsthaus Dreilinden: der Förster und die Förstersfrau. Heinrich Kieso, der seit dem 1.April als Revierförster amtiert, wäre zwar „sehr gerne eingezogen“. „Aber hier kann man nicht leben“, hat der Förster erkannt. Schuld daran ist der nächste Nachbar der Revierförsterei, der amerikanische Schießplatz Rose Range. Kieso muß keine 200 Meter laufen, dann steht er vor dem Zaun des Sperrgebietes. Von hier donnert die ganze Woche über das Knallen von Schüssen herüber; wenn an den Werktagen die Soldaten üben, kommt noch der Lärm explodierender Handgranaten hinzu.

Zuweilen erreicht der Schieß- und Sprenglärm den ohrenbetäubenden Wert von 90 Dezibel, manchmal knallt es sogar noch lauter. Der Lärmexperte Detlef Bramigk vergleicht das mit der Durchschlagskraft eines Preßlufthammers. Der Schießlärm strapaziere die Nerven allerdings noch zusätzlich durch seinen „Überraschungseffekt“, erläuterte der Lärmexperte. Förster Kieso müßte deshalb, so Bramigk, mit einer „erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung rechnen“, wenn er hier wohnen und arbeiten würde. Besonders für die beiden kleinen Söhne des Försters, einer drei Jahre, der andere nur drei Wochen alt, sei der Schießlärm „nicht verträglich“, urteilte der Lärmschützer. Kiesos Vorgesetzter, der Forstamtsleiter Uwe Meierjürgen, teilt diese Bedenken. „Gesundheitsschäden sind offenbar nicht auszuschließen“, bestätigt er. Wenn nicht „innerhalb eines halben Jahres klar erkennbar“ sei, daß „massive Schallschutzmaßnahmen“ auf dem Schießplatz greifen, dann will Meierjürgen das Försterhaus lieber leerstehen lassen.

Eigentlich haben die zwölf Berliner Revierförster eine „Präsenzpflicht“. Sie müssen in ihrem Waldgebiet wohnen, um „für die Bevölkerung ansprechbar zu sein“, erläutert Meierjürgen. Kieso, den die Forstverwaltung samt Familie zur Zeit ersatzweise im Kilometer entfernten Forstamt Grunewald untergebracht hat, kennt viele Gründe, im Revier zu wohnen. Herrscht Brandgefahr oder Sturm, ist der Förster ebenso unentbehrlich wie bei Problemen „mit dem Vieh“ - in den Ställen der Revierförsterei Dreilinden stehen vier Pferde für Waldarbeiten. „Wo Tiere sind, muß einer sein“, weiß Kieso.

Obwohl Meierjürgen die Präsenzpflicht als „Grundsatz“ bezeichnet, „der nicht durchbrochen werden sollte“, ist das Försterhaus Dreilinden nun schon seit dem Spätsommer 1987 verwaist. Kiesos Vorgänger in Dreilinden ließ sich damals nach zweieinhalb Jahren in den Innendienst versetzen. Bei seinen zwei Kindern hatte er bereits Schlafstörungen festgestellt. Seitdem suchte die Forstverwaltung vergeblich einen Nachfolger. Auch Kieso nahm die Arbeit im April nur deshalb auf, weil Senat und US-Army versprochen hatten, den Schießlärm nun rasch einzustellen.

Doch gemeinsam mit den anderen Anwohnern des Schießplatzes wartete Kieso der Förster bisher vergeblich. „Wir hatten uns alle schon ganz furchtbar gefreut“, erinnert sich eine Anwohnerin. Denn im Mai hatte der Zehlendorfer Bürgermeister Klemann (CDU) verkündet, die Schießstände würden „zur Zeit“ renoviert und modernisiert; dies bringe eine „Lärmminderung“. Heute muß die Senatsumweltverwaltung, sowohl für die Försterei wie für den Lärmschutz zuständig, Klemanns Verheißungen korrigieren. Die geplanten Renovierungsarbeiten an den Schießständen, die zum Teil für die Nazi-Olympiade 1936 gebaut und seitdem kaum erneuert wurden, dienten in erster Linie der Standfestigkeit der Anlagen, nicht dem Lärmschutz. Selbst diese Arbeiten beginnen jedoch erst im Oktober; das bestätigt auch die US -Army. Ein Gutachter prüft noch bis Ende August, ob die Schießstände mit schallschluckenden Kassettendecken ausgestattet werden könnten, wie es nach bundesdeutschen Vorschriften Pflicht ist.

„Die Schallschutzdecke soll kommen“, verspricht Dolf Straub, der Sprecher der AL-nahen Umweltsenatorin Schreyer. Die Senatorin will zunächst das Gutachten abwarten; einen „genauen Zeitraum“ für die Schallschutzarbeiten kann Straub deshalb nicht angeben. Immerhin: Weil sich das Verhältnis zwischen Senat und US-Army „in Umweltfragen sehr entspannt“ habe, sei es nicht ausgeschlossen, daß die Yankees sich an den Kosten beteiligen - ein großes Zugeständnis. Förster Kieso kann damit freilich nicht geholfen werden. Ihn belästigen vor allem die Übungen mit Handgranaten und das Tontaubenschießen - beides geschieht nur gut 200 Meter von der Försterei entfernt, und beides kann definitionsgemäß nur unter freiem Himmel stattfinden. Schallschutzdecken helfen folglich nichts. „Das ist in der Tat das Problem“, bestätigt der Sprecher der Umweltsenatorin. Schreyer will nun „prüfen“, was da zu machen ist.

Gerade am Wochenende - für Anwohner besonders nervig - sind es zu allem Überdruß nicht einmal die Besatzersoldaten, die sich aufführen wie die Axt im Wald, sondern deutsche Sportschützen, die mit Bleischrot auf Tontauben feuern. „Dagegen können wir nichts machen“, behauptet der Schreyer -Sprecher. Eingeladen werden die deutschen Sportschützen nämlich vom „US Rod and Gun Club“. Verzichten die deutschen Sportschützen nicht freiwillig auf die Kracherei, dann bleibt für Forstamtsleiter Uwe Meierjürgen unter Umständen nur eins: „Das Försterhaus muß geschleift werden.“ Auf deutsch heißt das: Abriß.

hmt