: Exotisches und Informatives aus aller Welt
■ Politische Konflikte können über Kurzwelle direkter verfolgt werden 40 Radiostationen bieten deutschsprachige Programme an
Da gibt es Leute, die sich die halbe Nacht um die Ohren schlagen, weil sie gegen 2.08 Uhr UTC (Universal Time Coordinated, das sind minus zwei Stunden mitteleuropäischer Sommerzeit) Radio Cultura do Para aus Brasilien hören wollen. Kurzwellenhörer auf der Jagd nach Empfangsbestätigungsberichten, unter Insidern QSL-Karte genannt. Der Kreis der Wellenjäger ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, wenn auch nicht die Zahl der Mitglieder in den diversen Hobbyvereinen.
Immer billigere und kleinere „Weltempfänger“, die die Leute bis ans hinterste Ende der Welt mitschleppen, sind schuld daran. Aber nicht nur zum Sammeln von QSL-Karten exotischer Sender, sondern zur Informationsbeschaffung und dem Einfangen heimatlicher Klänge der Deutschen Welle werden die Geräte benutzt. Trotzdem führt die Kurzwelle, obwohl sie eindeutig als der beste Weg zur Informationsbeschaffung aus erster Hand bezeichnet werden kann, neben dem Fernsehen und dem UKW-Radio ein bescheidenes Schattendasein.
Zu Unrecht. Fast 40 ausländische Stationen bieten Programme in deutscher Sprache an, mit denen sie die Hörer im hiesigen Sprachraum über die Ereignisse im Land aus eigener Sicht informieren wollen. Hinzu kommen noch einige Sender mit religiösem Programm. Das Spektrum reicht von Radio Japan über Moskau bis Radio Vatikan. Von plumper Propaganda bis zu gut gemachten Magazinsendungen ist alles dabei. Mit einem einigermaßen guten Gerät, meist ohne Zusatzantennen, kann man fast den ganzen Tag lang deutsche Programme hören.
Von London via Moskau
in den Persischen Golf
Spitzenreiter außerhalb des deutschsprachigen Raums, wenigstens in der Programmdauer, ist Radio Moskau mit täglich sechs Stunden Sendezeit. 1931 hat Moskau als erster Auslandssender mit deutschen Programmen begonnen, um als Sprachrohr der sowjetischen Politik zu dienen. Das hat der Kurzwellenstation auch jahrelang das Image eines langweiligen Verlautbarungssenders eingebracht. Mit Glasnost und Perestroika ist Bewegung in das Programm des Moskauer Rundfunks gekommen. Wer den Kongreß der Volksdeputierten im Mai dieses Jahres verfolgen wollte, hatte dazu bei Radio Moskau ausführlich Gelegenheit. Die Reden wurden in weiten Teilen übersetzt und ohne Kommentar übertragen.
BBC London liefert seit 1938 weltweit das beste Informationsprogramm in deutscher Sprache. Besonders im Zweiten Weltkrieg hatte die BBC durch ihre glaubhafte Berichterstattung in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert. Das heutige, über drei Stunden lange Tagesprogramm wird von 50 Mitarbeitern erstellt. Die Kurzwelle bietet die Möglichkeit, politische Konflikte hautnah zu beobachten. Der Krieg zwischen Irak und Iran war natürlich täglich Gegenstand der Sendungen von Radio Teheran und Radio Bagdad. Radio Teheran beginnt seine Sendungen mit dem Verlesen einer Sure aus dem Koran. Am Ende der Sendungen wurde zum Kampf bis zum endgültigen Sieg des Iran aufgerufen.
Während der chinesischen Studentenproteste in Peking im Mai dieses Jahres spiegelten sich die gegenläufigen Positionen der KP sogar in ein und derselben Nachrichtensendung wider. Zu Beginn wurde den Studenten Patriotismus bescheinigt, am Ende der Nachrichten von der Notwendigkeit eines harten Durchgreifens berichtet. Wer sich darüber „informieren“ will, wie das Leben im sozialistischen Rumänien stetigen Aufschwung nimmt, der schalte die beiden täglichen Sendungen von Radio Bukarest ein. Der Rundfunk befindet sich fest in der Hand der Hardliner des Landes. Die Abendsendung ist als Schlafmittel gut geeignet.
Der einzige Weg
zum wahren Kommunismus
Der Exot unter den europäischen UKW-Stationen ist sicherlich Radio Tirana. Mit einem sehr starken Sender, den die Chinesen den Albanern in den sechziger Jahren schenkten, versorgt Radio Tirana fast ganz Europa mit sechs halbstündigen Sendungen in Deutsch pro Tag. Schon immer gegen den orthodoxen Kommunismus in Moskau eingestellt, war Tirana lange Zeit das Sprachrohr des chinesischen Kommunismus. Nach dem Schwenk in China beansprucht Tirana zur Zeit den richtigen Weg zum Sozialismus für sich allein. Dies macht der Sender täglich mehr als deutlich: Die jüngste Politik in der Sowjetunion läuft unter dem Begriff Revisionismus. Ellenlange Zitate aus den Leitartikeln der albanischen Zeitungen und ständige Berichte über den Staatschef Ramez Alia kennzeichnen die Sendungen. Auffallend ist, daß die Beiträge von einer etwa im Jahresturnus wechselnden Gruppe von Deutschen verlesen werden. Radio Tirana kann sicherlich neben Radio Bukarest als letzte Blüte der Propagandasender im Stil der fünfziger und sechziger Jahre angesehen werden.
Neben der BBC London ragt besonders Radio Schweden als einer der professionellsten Sender heraus. Dreimal täglich kann man sich in flotten Magazinen, Mischungen aus Musik und Information über das Geschehen in ganz Nordeuropa informieren. Kleiner Konkurrent ist Radio Finnland, das erst seit 1985 deutsche Programme ausstrahlt, zur Zeit vier Sendungen mit einer Gesamtlänge von anderthalb Stunden.
Kurzwellenhören bringt zwar nicht immer den höchsten Hörgenuß, man muß auch schon mal etwas Pfeifen und Krachen in Kauf nehmen, dafür hat man aber die Chance, Ereignisse nicht durch mehrere Filter berichtet zu bekommen, sondern etwas näher dran zu sein.
Jürgen Karwelat
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