Die Monopolisierung der Erinnerung

■ Der Streit zwischen Katholiken und Juden um das Karmeliterkloster in Auschwitz eskaliert / Gespräch mit Theo Klein, Leiter der jüdischen Delegation in Genf

An einem Kloster mit 14 Karmeliterinnen hat sich ein Streit zwischen Katholiken und Juden entzündet, der vor allem in Polen und Frankreich zu heftigen Diskussionen geführt hat. Kein Wunder, denn das Kloster steht auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz I, in einem Backsteinbau, wo die Nazis Zyklon B gelagert hatten. Ein Kloster an einem Ort, der Synonym für die „Shoah“, die planmäßige Vernichtung des jüdischen Volkes, geworden ist. Ein Versuch katholischer Kreise, die Erinnerung an Auschwitz für sich zu monopolisieren, eine Art Missionierung in Sachen Gedächtnis?

1987 wurde in Genf zwischen Vatikan, jüdischer Gemeinde und den polnischen Katholiken ein Abkommen geschlossen: Das Kloster wird bis zum 22. Juli 1989 geräumt, den Nonnen ein anderes Haus außerhalb des Geländes gebaut. Damit verzichtete die katholische Kirche implizit auf ein Sonderrecht „an Auschwitz“. Als die Nonnen offensichtlich den gesetzten Termin verstreichen ließen, und bislang noch keine Bauarbeiten für ein neues Kloster begonnen wurden, besetzte eine Gruppe New Yorker Juden den Eingang zum Kloster und wurde von polnischen Bauarbeitern sehr unsanft vom Gelände vertrieben. Aufgrund dieses Vorfalls erklärte letzte Woche der Krakauer Kardinal Macharski, er fühle sich nicht mehr an das Genfer Abkommen gebunden. Ein „Bruch zwischen Juden und Katholiken“, wie die französische Wochenzeitung 'Nouvel Observateur‘ titelt?

Eines scheint sicher: Hinter all den antisemitischen Graffitis und Flugblättern, hinter den bösen Worten, die der anderen Gemeinde das Recht, Opfer zu sein, absprechen möchte, steht die Frage, ob die katholische Kirche nach der Shoah jemals ihr Verhältnis zum Judentum überdacht hat. Der französische Kardinal Decourtray bezweifelt es: „In Wahrheit haben die Katholiken der Welt nicht über die Shoah nachgedacht und ihre unvergleichliche, unaussprechliche Bedeutung nicht verstanden.“

Der Pariser Anwalt Theo Klein verhandelte als Leiter der jüdischen Delegation in Genf gemeinsam mit den Kardinälen Macharski und Decourtray.

taz: Welches ist die gegenwärtige Situation in Auschwitz?

Theo Klein: Zu unserer großen Überraschung hat der Krakauer Kardinal Macharski erklärt, den Bau eines neuen Klosters zu verschieben, wenn nicht überhaupt zu unterlassen. Ich war auch erstaunt zu erfahren, daß in dem Gebäude in Auschwitz Bauarbeiten durchgeführt werden, wo uns schon 1986 vom Kardinal zugesagt worden war, es würde angesichts des provisorischen Charakters des Klosters keine Arbeiten geben. Außerdem war zugesagt worden, daß es keine äußeren Anzeichen für die Präsenz der Karmeliterinnen geben solle. Doch nun steht seit einem Jahr ein sechs Meter hohes Kreuz vor dem Kloster. An einer Stelle, wo 800 Polen hingerichtet worden sind. Doch warum wurde das Kreuz erst jetzt aufgestellt, nachdem die Nonnen den Ort bisher als Gemüsegarten benutzt hatten? Uns erscheint das Kreuz eher wie eine Landmarke, mit der ein Terrain beansprucht wird.

Ist das Verhalten der katholischen Nonnen ein Versuch, das Gedächtnis an Auschwitz für sich zu monopolisieren?

Ich weiß nicht, was die Absicht der Karmeliterinnen ist, ich weiß nur, was tatsächlich geschieht. Und das spricht für sich. Es sind viele Menschen umgebracht worden in Auschwitz -Birkenau, Angehörige verschiedener Religionen. Wenn jede Religion an diesem Ort eine Kultstätte einrichten möchte nach welchen Regeln soll man vorgehen? Hat diejenige Religion mehr Rechte, die am meisten Tote zu beklagen hat? In Genf haben wir, mit Zustimmung der katholischen Delegationen, von Anfang an gesagt: Keine einzige Religion soll auf dem Gelände eine ständige Vertretung einrichten dürfen. Denn die einzige Art, der Toten zu gedenken, besteht darin, individuell zu kommen und zu beten. Das Kloster und das Kreuz bedeuten also eine Vereinnahmung des Ortes durch eine Religion, die in Polen natürlich sehr stark ist, aber noch nicht einmal die Mehrheit derer darstellt, die in Auschwitz umgekommen sind. Wir Juden haben niemals eine besondere Präsenz in der Gedenkstätte gefordert, obwohl wir die einzigen Opfer waren, die allein wegen ihres Judentums umgebracht wurden.

Hat sich das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und jüdischen Gemeinden durch die Affäre Karmeliterkloster auf längere Zeit verschlechtert?

Wenn sich die Thesen von Kardinal Macharski durchsetzen, würde das einen tiefen Riß zwischen beiden Religionen bedeuten.

Interview: Alexander Smoltczyk