Anti-Woodstock auf dem Berg des Genusses

Eine halbe Million Jugendliche traf in der Nähe der spanischen Kleinstadt Santiago de Compostela mit Papst Johannes Paul II. zusammen, um in Bermudashorts und Turnschuhen den Weltjugendtag zu begehen / Gitarren und liturgische Gesänge / Sakro-Pop und purpurne Greise  ■  Von Antje Bauer

Santiago de Compostela (taz) - Monte do Gozo, Berg des Genusses, heißt ein Hügel nahe der galizischen Kleinstadt Santiago de Compostela. Von hier aus konnten die Pilger, die über Jahrhunderte hinweg wochen- und monatelang dem Jakobsweg gefolgt waren, zum ersten Mal die Türme ihres Reiseziels, der Kathedrale von Santiago, sehen.

Am Wochenende verschwand die Oberfläche des Monte do Gozo unter mehr als einer halben Million jugendlicher Pilger, die hier seit Tagen auf Papst Johannes Paul II. warteten, um mit ihm den „Weltjugendtag“ zu begehen.

In Bermudashorts und Turnschuhen die einen, in härener Kutte und Sandalen die anderen, hatten sie ihre Schlafsäcke auf dem Hügel ausgebreitet; in den engen Straßen von Santiago erschreckten französische Pfadfinder arglose Heiden durch laute Hosanna-Gesänge, alle Beichtstühle der Kirchen und Klöster der Stadt waren geöffnet. Der Papst, der am Samstag vormittag am Flughafen vom König und seiner Frau in Empfang genommen worden war, hatte eine Messe in der altehrwürdigen Kathedrale zelebriert, während derer der Botafumeiro, ein metergroßes Weihrauchgefäß, längs durch das Kirchenschiff geschwungen war, und er hatte den Behinderten der Stadt eine Audienz gewährt.

Doch die wichtigste Veranstaltung hatte am Abend auf dem Monte do Gozo stattgefunden. „Zusammentreffen mit der Jugend“ nannte sich das Spektakel, für das die Kirche eine Bühne mit einem Kreuz aus Stahlgerüsten aufgebaut, riesige Fernsehbildschirme installiert und ein supermodernes Soundsystem organisiert hatte.

In einer jugendfreien Inszenierung wurde hier das Motto des Tages „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ demonstriert. Jugendliche führten den Zuschauern drastisch die Verzweiflung derer vor, die ihr Heil in der Gewalt, im Erfolg und in den Drogen suchen.

Das sehr junge Publikum reagierte heftiger als erwartet und pfiff die Darsteller des schlechten Weges aus, um statt dessen den Papst zu sehen. „Viva el Papa!“ schrien junge Frauen mit glänzenden Augen und bejahten begeistert Papstens Frage, ob sie bereit seien, das heilige Sakrament der Ehe einzugehen, um Kinder für eine neue, bessere Welt zu zeugen.

Der Papst nahm seine Hauptrolle in diesem Spektakel aus Disneyland und Rockfestival willig ein; nur die Bischöfe, die in ihren schwarzen Roben am Rand der Bühne Platz genommen hatten, mochten sich noch nicht einmal zu den Klängen der Popmusik ein wenig bewegen. Von Buße und Austerität sprach der Papst und von der Notwendigkeit, in ein Zeitalter neuer Evangelisierung einzutreten. Und wenn die Jugendlichen auch äußerlich Besucher eines Rockkonzerts sein könnten, prägte doch eine demütige und gläubige Haltung die Veranstaltung, auf der keine Joints geraucht und kein Alkohol getrunken und Kontakte mit dem anderen Geschlecht nur auf keimfreier Basis hergestellt wurden.

„Die Sexualmoral des Papstes ist mir etwas fremd“, gab Irene zu, die mit ihrer kirchlichen Jugendgruppe aus Madrid angereist war. Daß man vor der Ehe keinen Geschlechtsverkehr haben und die Ehe bei Nichtvertragen nicht scheiden dürfen solle, findet sie übertrieben. Doch ansonsten ist das Wort des Papstes ihr heilig, und sie reist zum Kirchenoberhaupt, wann immer sich die Gelegenheit bietet.

Die Bürger von Santiago reagierten eher skeptisch auf soviel geballte jugendliche Frömmigkeit. Doch erinnerten sie sich alter Vorteile und errichteten private Straßenstände, wo den Pilgern Coca-Cola-Dosen und Jakobsmuscheln, das Symbol dieser Pilgerfahrt, feilgeboten wurden. Als „Anti -Woodstock“ wurde in Santiago das jugendliche Massenspektakel bezeichnet, als Beweis dafür, daß sich die Zeiten und die Jugendlichen geändert haben. Fürwahr: Während die Woodstock-Hippies psychedelische Tänze getanzt hatten, tobten sich am Samstag abend die Jugendlichen in einem Ringelreihen zum Chor „Wir sind Pilger“ aus.