DEUTSCH IST TRUMPF

■ Eine zynische Ausstellung über „Synagogen in Oberschlesien“ im Deutschlandhaus

Die weiten, langen Flure und Gänge des Deutschlandhauses in der Stresemannstraße90 sind vollgestopft mit Erinnerungsstücken an die „verloren gegangenen“ deutschen Ostgebiete. Kirchenfiguren, bunte Hochglanzfotos, ein Modell der Wartburg, ganze Zimmereinrichtungen, aber auch so wertvolle Dinge wie Tassen, Gläser und Aschenbecher mit Stadtwappen und -ansichten füllen die Vitrinen und Wandflächen. Dazwischen liegen die Büros der verschiedenen Landsmannschaften und eine Bibliothek, die vorrangig Erinnerungsliteratur sammelt.

In dieser illustren Umgebung ist zur Zeit eine kleine Ausstellung „Synagogen in Oberschlesien“ zu besichtigen, zusammengestellt vom „Oberschlesischen Heimatmuseum Ratingen“ (sic!). Gezeigt werden Synagogenansichten aus 16 oberschlesischen Orten von Bielitz bis Zabrze, das in der Ausstellung penetrant „Hindenburg“ genannt wird, obwohl es nur in den Jahren der Weimarer Republik und der Nazizeit so hieß. Den Fotos sind knappe architektonische Beschreibungen sowie einzelne Angaben über die dortigen jüdischen Gemeinden beigegeben. Zu Beginn und Ende der Ausstellung informieren gesonderte Tafeln über die Chronik des jüdischen Lebens in Schlesien, die Rolle der Juden in Oberschlesien und die Bedeutung der Synagoge im Judentum.

Das alles wirkt auf den ersten Blick harmlos und im wesentlichen bekannt - die Ausstellung stützt sich hauptsächlich auf bereits publizierte Untersuchungen und Darstellungen - entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als zunehmend problematisch. Das beginnt mit der Chronik, deren Zusammenstellung ihren Verfassern offensichtlich einige Probleme bereitet hat. Ausführlich wird hier das „Revidirte General-Privilegium und Reglement vor die Judenschaft im Königreich Preussen...“ vom 17.April 1750 referiert - das nun aber ausdrücklich nicht für das wenige Jahre zuvor von Preußen eroberte Schlesien galt. Das wenige Zeilen später erwähnte Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau - die erste moderne Rabbinerausbildungsstätte in Deutschland - wurde nicht 1851, sondern 1854 eröffnet. Solche Fehler setzen sich in der Ausstellung fort: So wird das Eröffnungsdatum der Synagoge in Oppeln (1897) nicht erwähnt; die Begleittexte zu den reproduzierten Postkarten, auf denen die Oppelner Synagoge in Myslowitz, die mit einer prächtigen Doppelturmfassade versehen ist, wird auf 1826 datiert; gleichzeitig erläutert uns die Ausstellung am Beispiel Gleiwitz, daß erst seit den 1860er Jahren Synagogen in Deutschland mit Doppelturmfassaden errichtet wurden.

Mehr würde man gerne erfahren über die Inneneinrichtung der Synagogen, die Art des dort praktizierten Ritus (orthodox/reformiert) oder aber auch über das Schicksal der oberschlesischen Synagogen während der Zeit des Nationalsozialismus. In der Pogromnacht des 9.November 1938 waren diese Einrichtungen ein bevorzugtes Ziel nationalsozialistischer Zerstörungswut. In Oberschlesien haben in dieser Nacht - einem Bericht der an diesen Ausschreitungen führend beteiligten SS - mindestens 18 Synagogen gebrannt oder wurden gar, wie in Cosel, gesprengt. Über die Atmosphäre am Tag danach berichtet der Gleiwitzer Polizeipräsident:

„Am 10.11. 1938 habe ich Ansammlungen auf der Kreidelstraße vor dem mit den in Schutzhaft genommenen Juden belegten Grundstück der Synagogengemeinde zerstreuen lassen, weil aus der Bevölkerung Rufe laut wurden, die Juden sollten aufgehängt werden. In Hindenburg wurde der Zug der Juden anläßlich der Überführung in die jüdische Schule am 10.11. 1938 mit faulen Eiern beworfen. In Beuthen war die Brandstätte der besonders protzig gewesenen Synagoge von zahlreichen Schaulustigen umlagert.“ (Pätzold/Runge, Kristallnacht, Köln 1988).

Von all dem findet man nichts in der Ausstellung. Bei keiner einzigen der hier dokumentierten Synagogen wird auf deren Schicksal während oder nach der Pogromnacht eingegangen. In der schon mehrfach erwähnten Chronik wird lediglich festgestellt, daß die „Kristallnacht“ den Auftakt zur „Endlösung der Judenfrage“ in Deutschland darstellte. Der darauffolgende Satz schlägt dann bereits die Brücke zur Zeit nach 1945: „Auch nach Kriegsende kommt es immer wieder zu antisemitischen Ausschreitungen (es folgt eine detaillierte Aufzählung von Ereignissen, nunmehr in Polen, d. Vf.), sodaß das oberschlesische Judentum heute nur noch in Resten existiert.“ Man muß den Satz mehrmals lesen, um die darin enthaltene Ungeheuerlichkeit zu entdecken. Nicht nur werden hier die Pogromnacht, vor allem aber die Deportationen und Vernichtung von mehreren Millionen Juden auf das Niveau „antisemitischer Ausschreitungen“ heruntergespielt; sondern auch wird für das Ende des oberschlesischen Judentums (wer immer auch das nach 1942/43 gewesen sein mag) der Antisemitismus im Nachkriegspolen verantwortlich gemacht.

Es ist das alte, nur allzu bekannte Verhalten: Mit Hinweis auf den Antisemitismus anderer Länder wird versucht, die eigene Geschichte zu entlasten. Hierbei wird auch nicht vor der Wiederholung alter Ressentiments zurückgeschreckt. Beim Verlassen der Ausstellung stößt man auf einen großformatig wiedergegebenen Text mit dem Titel „Die Bedeutung der Juden für die Geschichte und Kultur Oberschlesiens“, der vermutlich kurz nach Beendigung des Ersten Weltkrieges verfaßt wurde. Nachdem zwei Seiten lang Geschichtsdaten referiert werden, wendet sich der Verfasser der Frage nach der aktuellen Rolle der Juden in Oberschlesien zu. Ihm zufolge werden die Juden sowohl von der polnischen wie der deutschen Bevölkerung Oberschlesiens angefeindet. Trotzdem fordert er sie auf, im Kampf um die „Erhaltung deutschen Wesens in Oberschlesiens“ aktiv zu werden:

„Es wird alles aufgeboten werden müssen, deutsches Wesen zu erhalten und ihm dauernd zum Siege zu verhelfen. In diesem Streit der Geister wird der Jude voranstehen. Er, dessen bitterer Feind der Pole ist, wird seine ganze Kraft, sein ganzes Sein daran setzen, daß in seiner Heimat Deutsch Trumpf bleibt, und schon um dessen Willen wäre es nötig, daß der Mann aus deutschem Stamme erkennt, daß der Jude, der sich gleich ihm als Deutscher fühlt, mit ihm in den schweren Jahren des Weltkrieges Not und Tod geteilt hat und jetzt mit ihm die Last trägt, die ein rachsüchtiger Feind auf deutsche Schultern gelegt hat, somit sein treuester Genosse ist, mit ihm verbunden auf Gedeih und Verderb, auf Leben und Sterben.“

Da die Ausstellung über Herkunft, Anlaß und Autor dieses doch wohl einer Erläuterung bedürftigen - Textes schweigt (auch Mitarbeiter des Deutschlandhauses konnten keine Auskünfte erteilen), sei hier einiges nachgetragen. Der Verfasser ist Marcus Brann, lange Zeit Dozent am Jüdisch -Theologischen Seminar in Breslau und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zur Geschichte der Juden in Schlesien. In dem vorliegenden Text, den er kurz vor seinem Tod im Jahre 1920 schrieb, bezieht er Stellung zu dem in diesen Jahren heftigen Nationalitätenkampf in Oberschlesien. Im Gefolge des Ersten Weltkrieges sollte Oberschlesien zu einem Teil an das wiedererstandene Polen angegliedert werden. Im Vorfeld der 1921 vollgezogenen Aufteilung war von den Siegermächten eine Volksabstimmung in Oberschlesien organisiert worden. Auf diese Vorgänge, die seit 1918 im deutschen Reich heftig diskutiert und propagandistisch aufbereitet wurden, bezieht sich Branns Text. Daß er dabei extrem nationalistische Töne anschlägt, mag bei manchem heutigen Betrachter Verwunderung auslösen; doch darf hierbei nicht vergessen werden, daß viele Juden - zum Teil bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein - deutschnational dachten und empfanden. Hierin unterschieden sie sich in keiner Weise von ihrer nicht jüdischen Umwelt, obwohl der Antisemitismus gerade im rechten Lager damals weit verbreitet war (auf den Brann in seinem Text ja auch anspielt).

Dies alles muß man erklären, wenn man in einer Ausstellung einen solchen, eindeutig tagespolitisch motivierten Text präsentiert. Wer dies unterläßt, handelt wissenschaftlich unsolide und muß sich den Vorwurf der Schürung von Ressentiments gefallen lassen. Verwundern kann ein solches Vorgehen jedoch nicht, hat die Ausstellung doch ausdrücklich zum Ziel, die Juden Oberschlesiens als Träger des Deutschtums in diesem Gebiet zu zeigen.

Vielleicht ist dies in einer Zeit wiederauflebenden Nationalismus in der Bundesrepublik nicht weiter erstaunlich, wo allseits und öffentlich über die angeblich offene Frage der deutschen Grenzen räsoniert wird. Ein fahrlässiger Umgang mit der eigenen Geschichte bildet dabei sicherlich eine wichtige Voraussetzung. Daß diese „Entsorgung der Geschichte“ im 50.Jahr der Wiederkehr des Überfalls auf Polen im Rahmen einer Ausstellung betrieben wird, die - von den Nazis zerstörtes - jüdisches Leben in Oberschlesien zu dokumentieren vorgibt, kann man allerdings nur noch als geschmacklos und zynisch bezeichnen.

Andreas Reinke