: „Was ganz normal Menschliches“
■ Schüler engagieren sich gegen Ausländerfeindlichkeit und Neonazismus in Neukölln: „Die Rechten arbeiten mit Emotionen, wir mit sachlichem Kalkül“ / Sie mobilisieren 500 Leute zum Konzert gegen rechts am Bat-Yam-Platz in der Gropiusstadt
Das Fahrrad ist im Moment für Andreas das sicherste Transportmittel. Zum Autofahren ist er noch zu jung, mit der U-Bahn ist das so eine Sache. Wenn er Freitag abend an der Wutzkyallee oder am Zwickauer Damm aussteigt, dann muß er an den Skins und Heavies vorbei, die sich mit Dosenbier auf das Wochenende einstimmen. „Das ist immer die Frage, erkennen die mich jetzt oder nicht?“ So einen wie Andreas anzupöbeln, steigert jedenfalls den Freizeitspaß - schließlich ist er als „Antifa“ bekannt.
Es gab Zeiten, da zeichneten sich Heavies nur durch ihre langen Haare, Turnschuhe und ihre Vorliebe für „Heavy Metal“ -Musik aus. Dann tauchten irgendwann Mitglieder der neonazistischen „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP) an den U-Bahnhöfen auf und animierten die herumhängenden Skinheads und Heavies mit Bierspenden zum Verteilen rechtsradikaler Flugblätter. Das sei eben „deren Form von Jugendarbeit“, meint Andreas lakonisch. Seitdem gibt es Probleme auch mit den Heavies.
Als Andreas zusammen mit zwei Freunden nachts Plakate für ihre Veranstaltung gegen Ausländerfeindlichkeit klebt, stehen plötzlich neun Heavies am U-Bahnausgang, die sich offenbar über Telefonkette zusammengefunden haben, um den „Antifa-Schülern“ zu demonstrieren, wer in der Gropiusstadt das Sagen hat. „Ein blaues Auge, ein schmerzender Kiefer und eine kaputte Brille“, resümiert Andreas das Ergebnis dieser Begegnung.
Andreas, Jörg, Heike und Jan legen Wert darauf, daß sie nicht einer „Antifa-Gruppe“, sondern einer „Geschichts-AG“ angehören. Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Antifa“ stört sie - außerdem gelten „Antifa-Gruppen“ automatisch als links, und „bei uns ist alles vertreten, von gestandenen CDUlern bis zu harten SEW-Leuten“. Die „gestandenen CDUler“ und „harten SEW-Leute“ sind allesamt Oberschüler der Leonardo-da-Vinci-Oberschule in Buckow und zwischen 15 und 19 Jahre alt.
Ihr Entstehen verdankt die Gruppe einem ehemaligen Klassenkameraden, Martin, einem, der anfangs eher ruhig gewesen sei. „Irgendwann kam er dann mit neonazistischen Sprüchen, tauchte mit braunem Hemd und schwarzer Krawatte in der Schule auf.“ Zum Eklat kam es vor zwei Jahren während einer Klassenfahrt nach Amsterdam. Martin weigerte sich, an einem Besuch des Anne-Frank-Hauses teilzunehmen. Als Deutscher betrete er kein Haus, in dem Juden gewohnt hätten.
Was die einen damals schockierte, imponierte den anderen. „Nach der Klassenfahrt haben sich in der Schule erst mal viele hinter Martin gestellt“, erzählt Jörg. „Da wurde das ganze Potential auf einmal sichtbar.“ Gleichzeitig gründete sich auf Initiative eines Lehrers die „Geschichts-AG“ mit anfangs 30 Schülern. Innerhalb kürzester Zeit schrumpfte die Gruppe auf vier, fünf Leute zusammen - bis zum Morgen des 30. Januar 1989, als Mitschüler auf dem Schulgelände das Wahlergebnis mit dem Hitlergruß kommentierten.
Seitdem sind es etwa 15, die sich „hartnäckig gegen Rassismus und Faschismus engagieren“, wie Jörg das formuliert. Gewaltfrei, fügt er noch hinzu. Die anderen stimmen zu, nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus Einsicht in die Kräfteverhältnisse. „Du kannst mich totquatschen, ich kann dich totschlagen“, bekam Heike neulich von einem ehemaligen Schulfreund zu hören. Der gehört heute zu einer rechtsextremen Gruppe und hat sich vorsorglich für den Fall entschuldigt, daß Heike seinen Kumpels in die Hände fällt. Dann müsse er leider auch zuschlagen.
„Die Rechten haben uns eines voraus“, sagt Jan. „Die arbeiten mit Emotionen, wir mit sachlichem Kalkül.“ Diese Einsicht haben viele linke Gruppen nach seiner Auffassung noch nicht ganz kapiert. Da werde zuviel gelabert, zu trocken diskutiert. Jan schätzt deshalb Aktionen, auf denen möglichst wenig Reden gehalten werden. Zur ersten großen Veranstaltung der „Geschichts-AG“, einer Lesung antifaschistischer Texte, kamen 500 Leute - eine Resonanz, von der mancher Politiker im Wahlkampf nur träumen kann.
Über 300 Menschen erschienen zum „Tam Tam am Bat Yam“, einem Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit mitten in „Repietown“, wie die Gropiusstadt seit den Wahlen genannt wird. Anwesend waren auch Mitglieder der rechten Szene, die es jedoch vorzogen, „auf Störungen zu verzichten und die Gropiusstadt einmal nicht deutschnational, sondern multikulturell zu erleben“. Vielleicht lag es auch am Polizeischutz, räumt Jörg ein.
Sich offen und hörbar gegen Ausländerfeindlichkeit und Neonazismus zu engagieren, kann in Neukölln andere Folgen nach sich ziehen als in Charlottenburg oder auch Kreuzberg. Auf drei eng beschriebenen Seiten haben die SchülerInnen Übergriffe rechtsextremer Gruppen während der letzten Monate aufgelistet - Jörg versteht das auch als Service für Gewerkschaften und anderer Organisationen westlich des Hermannplatzes, „damit die mal begreifen, was hier wirklich los ist“. Schlägereien zwischen rechtsradikalen deutschen und ausländischen Jugendlichen, Polizeischutz für Neuköllner Gesamtschulen, Randale von Skinheads auf Schul- und Privatfeten und die fast schon alltäglichen Übergriffe in der U-Bahn. Betroffen sind oft ausländische oder deutsche Jugendliche, die als „links“ oder „Antifa“ gelten. Nicht selten wird im voll besetzten U-Bahnwaggon losgeprügelt oder auf der Straße vor den Augen zahlreicher Passanten. „Und wenn 100 Leute rumstehen, plötzlich bist du anonym und allein.“ Auf die Polizei würde sich Jörg sehr gern verlassen können, „aber die Erfahrungen hier in Neukölln haben eben gezeigt, daß man das nicht kann.“
Er und die anderen wissen, daß in der rechtsextremen Szene Fotos von ihnen herumgereicht werden. „Die haben uns auch schon mal für vogelfrei erklärt.“ Besonders verängstigt wirkt er dabei nicht. Überhaupt stört ihn das Klischee von einem von Skins und Rechtsradikalen beherrschten Stadtteil. Schließlich gebe es die „Geschichts-AG“, eine neue Antifa -Gruppe in Neukölln und 300 Leute, die zum „Tam Tam am Bat Yam“ gekommen waren.
Und wenn vom Senat etwas mehr Unterstützung käme, wo der nun rot-grün schimmert, ginge das alles etwas leichter. Ein bißchen finanzielle, aber auch ideelle Hilfe wünscht sich die „Geschichts-AG“. Man solle die Antifa-Gruppen endlich offiziell an den Schulen zulassen und sie nicht wie bisher als politische Gruppierung einstufen, die im Klassenzimmer nichts zu suchen habe. „Ich find's schon schlimm, daß Antifaschismus überhaupt als etwas Politisches gilt“, sagt Jan naiv und spitzfindig zugleich. „Das sollte was normal Menschliches sein.“
Andrea Böhm
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