Hochhauseuphorie im Wedding

■ Mit sechs- bis elfstöckigen Hochhäusern will die Klingbeil-Gruppe einen ehemaligen Gewerbehof am Wedding verschönern / Alte Fabrikgebäude sind schon abgerissen

„Schöner“ Wohnen im Wedding: Sechs- bis elfstöckige Neubauten sollen auf einem ehemaligen Gewerbehof an der Koloniestraße Raum für 57 neue Wohnungen schaffen. Auf dem Gelände, das der Klingbeil-Gruppe gehört, sind gleichzeitig zwei- bis dreigeschossige Häuser mit insgesamt zwölf Wohneinheiten geplant. Zwei fünfgeschossige Quergebäude sowie ein Rest des Vorderhauses - des ehemaligen Hauses sind dem Rammbock noch einmal entgangen und werden modernisiert. Ein noch bestehendes Quergebäude soll im Herbst wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Inklusive weiterer Neubebauung zwischen Hochhaus- und Altbaubestand sollen 193 Wohnungen bis zum Herbst 1991 fertiggestellt werden. Die voraussichtlichen Baukosten des Sanierungsprojekts: 80 Millionen Mark.

Gestern nahm der Weddinger Baustadtrat Dieter Scholz während einer Geländebegehung vor der Presse Stellung zu dem Mammutprojekt. „Da muß man eben mal elfgeschossig bauen, um mehr Grün zu haben“, verteidigte Scholz die völlig veraltete Hochhausphilosophie. Seiner Meinung nach passe sich die Neubauarchitektur prima an den Stil der restlichen Altbauten an. Hochgeschossiges Bauen, so Scholz, sei heute nicht mehr von der Hand zu weisen. Der Clou: Gleichzeitig betonte Scholz, daß der Bezirk Wedding sein Image als größtes Sanierungsgebiet Europas loswerden wolle.

Keine Probleme sieht der Baustadtrat sowie die Leiterin der Sanierungsverwaltungsstelle, Gabi Morr, in der geplanten Flachbauarchitektur im Schatten der Hochhäuser. „Das werden fast Einfamilienhäuser“, erklärte Scholz. Die Wohnqualität in der Straße will man deutlich mit dem Gemisch aus Miets und Eigenheimarchitektur deutlich heben. „Schließlich muß der Wedding auch Lebensqualität bieten und kann nicht nur das Massenproblem lösen“, bekräftigte Morr. Sie verwies darauf, daß die Bebauung im Wedding sowieso dichter sei als in anderen Bezirken. Die Wohnungsnot, so die Sanierungsexpertin, müsse deshalb vor allem in Bezirken wie Zehlendorf gelöst werden.

„Im Gegensatz zu anderen Bezirken haben wir im Wedding sehr große Probleme Einzimmerwohnungen zu vermieten“, so Scholz. In den bestehenden Altbauten würden deshalb jeweils zwei Wohnungen zusammengelegt. Die Durchschnittsgröße der 154 Neubauwohnungen sei ebenfalls großzügig beschnitten und liege bei jeweils 70 Quadratmetern. Gedacht sind die Wohneinheiten vor allem für Familien. „Studentisches Wohnen soll natürlich ebenfalls möglich sein“, so Scholz im Hinblick auf zukünftige Wohngemeinschaften. Geplant sei auch die Einrichtung einer KiTa. Sie soll in einem Gebäude des ehemaligen Gewerbehofes untergebracht werden, das die bereits geschwungene Abrißbirne auf dem Gelände bislang überlebt hat. Gänzlich vom Tisch sei der Plan, auf dem Bebauungsgebiet ein sogenanntes Aussiedlerhotel zu bauen, so Scholz. Diese Überlegung, die normalerweise mit erheblichen Subventionen für die Klingbeil-Gruppe verbunden gewesen wäre, hatte vor drei Monaten den Mieterverein Wedding auf den Plan gebracht (die taz berichtete). Gleichzeitig war auch der damals vorgesehene Abriß aller drei Quergebäude kritisiert worden. Die Klingbeil-Gruppe hatte bereits im April in diesen Bauten 90 Wohnungen ohne Sozialplanverfahren entmietet. Sie stehen seitdem leer. Daß jetzt wenigstens zwei der betroffenen Altbauten stehenbleiben, kann der Mieterverein als Erfolg für sich verbuchen. Für eine Stellungnahme zu den übrigen Bebauungsplänen waren die zuständigen Mitarbeiter des Mietervereins Wedding gestern jedoch nicht zu erreichen.

cb