Was geht mich das an?-betr.: "Epitaph auf die Schwulenbewegung", taz vom 8./9.8.89, und "Die 'Rechte des Arches'erkämpfen", taz vom 24.6.89

betr.: „Epitaph auf die Schwulenbewegung“, taz vom 8./9.8.89, und „Die 'Rechte des Arsches‘ erkämpfen“, taz vom 24.6.89

(...) Beiden Artikeln ist gemeinsam, daß sie, vor nicht explizierten weltanschaulichen Hintergründen - einmal Sozialdemokratie, einmal Frankfurter Schule -, den Schwulen einen Platz in der Gesellschaft zuweisen wollen: als gleichberechtigte Bürger, als perverse Kontinuitätsunterbrecher. Abgesehen davon, daß die Hoffnung auf sozial garantierten Status einen Rückfall in patriarchale Gesellschaften darstellt, frage ich mich als einfacher Schwuler: Was geht mich das an? Warum soll ich mir eine komplizierte Identität als Perverser aufbauen, dessen „subjektive Sehnsucht das negative Modll des objektiven Glücks“ ist (Etgeton)? Solche neo-idealistischen Sprüche sind nicht nur wissenschaftlich antiquiert, sondern genauso schädlich wie die Integrationsphantasien a la Beck/Dworek. Beide Strategien verdinglichen ein wesentlich komplexeres Problem: die Notwendigkeit und scheinbare Unmöglichkeit eines emanzipatorischen Alltagsverhaltens der Schwulen. Denn das läßt sich weder durch sozialdemokratische Versorgungs beziehungsweise Vergünstigungsmaßnahmen erreichen noch durch Appelle an verschüttete Kindheitsträume.

Schwuler Alltag ist mir zu wichtig, als daß ich mich mit der Erlaubnis zu Heiraten oder Rissen in irgendwelchen kontinuierlichen Katastrophen abspeisen lasse. Schwule Bewegung läßt sich weder parlamentarisch erlauben noch von naiven Kinderträumen herbeireden. Sie ergibt sich aus realen Interessenanlagen, und die Geschichte sollte gezeigt haben, wozu es führt, von realen auf „wahre“ Interessen zu abstrahieren. Wir müssen, ob es uns paßt oder nicht, von den realen Interessen derjenigen ausgehen, für die und mit denen wir Politik machen wollen. Das mag schwerfallen, wenn diese Interessen vorwiegend in Lederjacken, Ficks und USA-Reisen bestehen. Aber woher nehmen wir die Arroganz, von Schwulen generell eine Art „besseres Menschentum“ zu verlangen? Guy Hocquenghem, der unausgesprochen über Stefan Etgetons Artikel schwebt, ist nicht nur tot, sondern auch in Frankreich schon lange nicht mehr das Sprachrohr des Zeitgeists.

Erstmals in modernen Gesellschaften ist ganz „normales schwules Lesben“ zumindest in den größeren Städten, möglich. Ein Verzicht auf die Wahrnehmung dieser Möglichkeiten (das heißt auf angenehmes Leben in der Subkultur) wäre geradezu asketisch. Übrig bleiben die Schwulen in - regional oder sozial - weniger privilegierten Situationen, deren Hauptziel es daher wahrscheinlich ist, die Freiheiten des städtischen Lebens zu erreichen; weiterhin Reste einer „alternativen“ Schwulenszene, die über das individuelle Konsumglück hinausgehende Forderungen aufrechterhält. Es sieht so aus, als stünden sie damit bereits der (heterosexuellen) Alternativszene näher als der Schwulenbewegung, der solche Aspekte immer nur äußerlich waren oder überhaupt nur zugeschrieben worden sind.

Von einer Einheit der Schwulenbewegung kann so wirklich nicht gesprochen werden. Aus meiner Aversion gegen die Sozialarbeiterisierung der Politik heraus halte ich es für die ehrlichste Lösung, jedes Segment des schwulen Spektrums sich um seine eigenen Interessen kümmern zu lassen. Soll Stefan Etgeton doch mit seinesgleichen träumen, so wie auch andere versuchen, glaubwürdige und gute Lebensformen zu finden. Anschlußfähigkeit und Ausstrahlung für andere bekommen solche Programme meines Erachtens erst und gerade dadurch, daß sie nicht als allgemeiner Anspruch formuliert, dafür aber im persönlichen Leben ernst genommen werden.

Wenn mir Stefan zeigen kann, daß es Spaß macht, als Riß in der kontinuierlichen Katastrophe zu leben, wer weiß, vielleicht komme ich dann ja auch auf den Geschmack.

Joachim Bartholomae, Hamburg

Für Stefan Etgeton ist Homosexualität ein Synonym für Unterdrückung und Subversivität: Nur unterdrückte Schwule sind politisch aktiv und Subjekte der Revolution, nur wer Diskriminierung und Ablehnung durch die Gesellschaft hautnah spürt, ist fähig und bereit für den Systemumsturz. Die Realität ist eine andere? In der Schwulenbewegung haben bisher nur die langen Atem bewiesen, die trotz „Heteroterrorismus“ ein positives Verhältnis zu ihrer Homosexualität entwickelt haben. Oder wie erklärt sich Etgeton die Tatsache, daß nur ein Bruchteil der Schwulen in Schwulengruppen aktiv sind, obwohl sie doch alle das coming -out (Etgetons Gradmesser für Subversivität) durchgemacht haben.

Etgetons Strategie („Der Schwule ist der lebende Protest ...“), solange die Homos unterdrückt sind, kann man sie für den politischen Kampf instrumentalisieren, ist zynisch angesichts der Tatsache, daß noch immer schwule Männer allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in den Knast wandern, ihren Job verlieren, vor Nachbarn und Verwandten Versteck spielen müssen.

Voraussetzung für die Strategie einer demokratischen und humanen Schwulenpolitik muß das Respektieren auch bürgerlicher Wünsche („Homoehe“) der „gewöhnlichen Homosexuellen“ sein. Erst müssen die (zugegebenermaßen) faden und für Heteros selbstverständlichen Menschen- und Bürgerrechte für Homosexuelle erkämpft werden, damit auch allen (und nicht nur den Mittelschichts-)Schwulen eine reale Chance für Emanzipation gegeben ist.

Die Auflösung der Kategorie Homosexualität betreiben nicht die grünen Schwulenpolitiker Beck und Dworek durch ihre Forderung nach einer Schwulenehe (diese kann die Entwicklung einer positiven schwulen Identität jenseits von Unterdrückung und Fremdzuweisung ermöglichen), sondern Etgeton, wenn er die „Gesellschaft aller Perversen“ und die „alle Kategorien sprengende (!), entriegelte Sexualität“ propagiert: ein polymorphperverses Allerlei als Utopie.

Meine Brötchen sind kleiner: „Aus dem Erdgeschoß / wird ein Märchenschloß /durch ein winziges Wort: Heirat!“

Frank Hoyer, Vorstand Verein für sexuelle Emanzipation Stuttgart e.V.