Der Staat verhandelt nie

■ Nach dem Ende der Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen herrscht Waffenstillstand

Es bedurfte zweier Toter, damit die Barbarbei in den türkischen Gefängnissen in den westlichen Medien eine Nachricht wert ist. Und selbst das wenige zum Ärger von Justizminister Sungurlu: „Je mehr man darüber schreibt, desto kampfeswilliger werden die Gefangenen.“

Es bedurfte des Hungerstreiktoten Mehmet Emin Yavuz, damit eine Ungeheuerlichkeit in türkischen Zeitungen zu lesen war: Kurdische Mütter, des Türkischen unkundig, durften bei Gefängnisbesuchen mit ihren Kindern nicht in ihrer Muttersprache reden. Seit dem Militärputsch 1980 werden in türkischen Gefängnissen politisch Oppositionelle in den Tod getrieben. Tausende Augenzeugen berichten über die Folter: lebendige Ratten, Exkrement, Waschpulver-Gefängnisnahrung.

Immer wieder derselbe Zyklus: Hungerstreiks, Tote, schließlich Verhandlungen und Verbesserung der Haftbedingungen. Für kurze Zeit sind die Haftbedingungen nach Hungerstreiks besser, berichten Gefangene. Sungurlu erklärt, daß eine Kommission, die Haftverbesserungen erarbeitet, diese Woche ihren Abschlußbericht vorlegen wird, angeblich nicht als Folge des Hungerstreiks, denn der Staat macht keine Zugeständnisse. Sungurlu: „Ich bin froh, daß der Hungerstreik zu Ende ist. Aber verhandelt haben wir nicht.“ An die Wächter, die zwei Wochen zuvor zwei Gefangene zu Tode traktierten, war der Befehl ergangen: „Schlagt die Kommunisten, schlagt die Verräter. Schlagt sie zu Tode, daß sie merken, was der Staat bedeutet.“

Nicht Frieden, sondern Waffenstillstand herrscht in Aydin nach dem Ende des Hungerstreiks. Zehntausende Oppositionelle wurden nach dem Putsch eingekerkert. Ein Teil sitzt immer noch ein. Die Regierung Özal stockt die Zahl der Gefangenen auf: Das Tragen eines Transparents kann mehrere Jahre Gefängnis bedeuten. Solange diese Praxis fortbesteht, ist eine Lösung nicht in Sicht.

Der bekannte türkische Romancier Yasar Kemal hat an die Regierenden einen offenen Brief adressiert: „Sie haben die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen und des Europarats unterzeichnet. Sie regieren ein Land, wo angeblich Demokratie herrscht. Die Generäle haben Ihnen erlaubt, mit Hilfe von Wahlen an die Macht zu kommen.“ Kemal warnt die Regierenden: „Wie einst Hitler tanzen Sie auf den Knochen der Toten. Doch Nationen sind nicht vergeßlich, wie man meint. Denken wir an das Ende der Hitlers, der Mussolinis, der Marcos‘.“

Ömer Erzeren