Ganz Kolumbien ehrt ein Opfer der Mafia

Zehntausende, unter ihnen die politische Führung des Landes, gaben dem von der Mafia ermordeten Luis Carlos Galan das letzte Geleit / 10.450 Festnahmen bei Großrazzien / US-Justizminister spricht sich für die Entsendung von US-Truppen nach Kolumbien aus  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Zehntausende von Menschen, unter ihnen die gesamte politische Führungsspitze des Landes, gaben am Sonntag in der Hauptstadt Bogota dem am Freitag abend von der Drogenmafia ermordeten Präsidentschaftskandidaten der Liberalen Partei, Luis Carlos Galan, das letzte Geleit. „In gewissem Sinne sind wir alle schuldig, wir waren nicht fähig, beizeiten zu reagieren, um das unaufhaltsame Fortschreiten des Verbrechens zu bremsen“, sagte der Präsidentschaftskandidat der Konservativen Partei, Rodrigo Lloreda Caicedo in einer der vielen Grabreden. Präsident Virgilio Barco bezeichnete Kolumbien als das „größte Opfer“ des internationalen Rauschgifthandels. Man habe es mit der größten und mächtigsten Verbrecherorganisation zu tun, die jemals existiert habe.

Wenige Stunden nach der Trauerfeier zog das Verteidigungsministerium eine Bilanz der seit Freitag vollzogenen Maßnahmen gegen die Kokainmafia: 10.450 Menschen wurden festgenommen. Militär und Polizei durchsuchten mehrere Gebäude und Anwesen der Kokainbarone Pablo Escobar und Gonzalo Rodriguez Gacha. Insgesamt beschlagnahmten sie 330 Schußwaffen, vier Tonnen Kokain und 1.000 Personenautos und Lastwagen mutmaßlicher Mitglieder des Rauschgiftkartells. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums unterließ es, die festgenommenen Personen nach Rang und Funktion innerhalb des Dealernetzes aufzuschlüsseln, und so liegt der Verdacht nahe, daß viele von ihnen unschuldig sind.

Schon am frühen Morgen hatten sich Tausende im Zentrum der Hauptstadt eingefunden, um einer Messe in der Kathedrale und dem Begräbniszug mit der Leiche Galans beizuwohnen. Millionen Kolumbianer sahen zudem die Bilder der schmerzerfüllten Witwe und der weinenden Kinder des populärsten Politikers Kolumbiens in einer Direktübertragung im Fernsehen. Ein spektakuläres Aufgebot von Polizei, Militär und Leibwächtern schützte die zur Trauerfeier erschienene Führungsspitze des Landes vor möglichen Anschlägen. Unruhen wie bei der Beerdigung des linken Parteiführers Jaime Pardo Leal 1987 waren jedoch nicht zu befürchten. Denn im Unterschied zu damals war die Stimmung unter den Trauernden am Sonntag nicht kämpferisch, sondern eher von Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Den Menschen stand der Schmerz um den Verlust eines Politikers, in den viele ihre Hoffnung auf Erlösung von der allgegenwärtigen Gewalt gesetzt hatten, ins Gesicht geschrieben. Immer wieder forderten Sprechchöre „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!“ - ganz besonders laut, als der Prädident, sein Kabinett und die militärische Führungsspitze die Stufen zur Kathedrale erklommen.

Unter den Trauergästen befanden sich auch die nunmer nur noch fünf Anwärter auf die liberale Präsidentschaftskandidatur für die Wahl 1990. Angesichts der Ermordung ihres bei weitem aussichtsreichsten Mitstreiters Galan beschlossen die Kandidaten, im parteiinternen Wahlkampf eine „Denkpause“ einzulegen. Indes übergab in einer kurzen, erschütternden Grabrede ein Sohn Galans, Juan Manuel, das politische Erbe seines Vaters - und somit vielleicht auch die Präsidentschaftskandidatur - dem ehemaligen Innen- und Wirtschaftsminister Cesar Gaviria Trujillo. Der in Kolumbien hoch angesehene Jungpolitiker und bisherige Wahlkampfleiter Galans könnte sich als ein möglicher Einheitskandidat der Liberalen Partei entpuppen.

Richter beenden Streik

Bogota/Washington (wps/taz) - Die etwa 4.500 kolumbianischen Richter, die letzte Woche aus Protest gegen die Ermordung von Carlos Valencia Garcia, Mitglied des Obersten Gerichts, in Streik getreten waren, nahmen am Montag die Arbeit wieder auf. In einer Erklärung versprachen sie, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um Rauschgifthändler hinter Gitter zu bringen. Ein Sprecher der Richter kündigte an, daß neun Richter ausschließlich damit beauftragt würden, die Killer Galans vor die Schranken des Gerichts zu bringen. Bei den Großrazzien vom Wochenende ist kein einziger der Kokainbarone festgenommen worden. Zeitungsberichten zufolge hat sich der mächtigste von ihnen, Pablo Escobar Gaviria, mutmaßlicher Chef des „Kartells von Medellin“, nach Panama abgesetzt.

In den USA erklärte inzwischen Justizminister Dick Thornburgh in einem Fernsehinterview, die Regierung sei bereit, Truppen nach Kolumbien zu schicken, um der Regierung im Kampf gegen die mächtigen Drogenbosse zu helfen. Dies setze natürlich einen Hilferuf der Regierung voraus. Ähnlich hatte sich am Samstag Präsident Bush geäußert. Thornburgh mußte jedoch zugeben, daß in der Armeespitze erhebliche Bedenken gegen einen Einsatz von US-Truppen in Kolumbien bestehen. Vor drei Jahren hatte die US-Army in Bolivien Hubschrauber und eine Sondertruppe im Kampf gegen die Mafia und zur Zwangsrodung der Koka-Pflanzen zur Verfügung gestellt. Doch blüht die heilige Pflanze der Indios in diesem Andenstaat heute besser denn je.

Im Palästinenser-Camp Deheisheh, Westbank

Foto: Kadir von Lohvizen

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