„Die Parteinormen - ein ethisches System“

■ Willi Meyer-Buer, seit 58 Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei, über den Hitler-Stalin-Pakt

taz: Wie haben Sie vom Hitler-Stalin Pakt an jenem 23.August 1939 erfahren?

Willi Meyer-Buer: Ich war damals im Zuchthaus Münster. Es gab ein Informationsmaterial für alle Zuchthausgefangen, da stand das drin. Jeder Kommunist mußte da mit dieser Meldung und diesen neuen Sachverhalten irgendwie allein fertig werden.

Haben Sie sich nicht verraten gefühlt, als sie später draußen alles erfahren haben?

Meyer-Buer: Das hat natürlich Dikussionen unter den Kommunisten gegeben. Aber die Bindung eines jeden Kommunisten an seine Partei war besonders stark. Stalin hatte in der gesamten kommunistischen Welt einen hochgeachteten Namen und wir glaubten wie alle anderen auch, daß Stalin das schon nirgendwie hinkriegen würde. Wir haben uns die Begründung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zum Hitler-Stalin-Pakt damals zu eigen gemacht.

Die späteren Ereignisse, der Einfall in Polen und der Ausbruch des Krieges, verdrängten natürlich die Wirkung dieses Paktes. Wir haben unter diesem Eindruck über manches das Tuch des Schweigens gedeckt. Das ist ja wieder hochmodern geworden, nachdem Perestrioka sich in der Sowjetunion durchzusetzen begann und das verbunden war mit Glasnost, nämlich der Aufhellung der geschichtlichen Vergangenheit.

Der KP ist damals auch untersagt worden, weiter antifaschistische Arbeit zu machen.

Meyer-Buer: Ja, das haben wir später erfahren. Die Komintern hat einen Beschluß gefaßt, daß die Kommunisten in ihrer Propaganda nicht so sehr Hitler und den Faschismus als die Schuldigen des sich zusammenbrauenden Krieges hinzustellen hatten, sondern die Westmächte, das haben wir übernommen.

Sie haben doch dafür Jahre im Zuchthaus gesessen...

Meyer-Buer: Nicht dafür. Ich habe im Zuchthaus gesessen, weil ich Hitler von der Macht bringen wollte.

Haben Sie das nicht als Verrat an dem verstehen müssen, wofür Sie im Zuchthaus gesessen haben? Meyer-Buer: Nein, das habe ich nicht getan. Der Stalin-Hitler Nichtangriffs-Pakt an sich ist nicht nur mit Nachteilen zu beladen, auch aus der historischen Perspektive. Schlimmer sind die dem Pakt angeschlossenen Zusatzabkommen gewesen.

Wann haben Sie davon erfahren?

Meyer-Buer: Die sind in der öffentlichen Diskussion seit vielen Jahren, aber alte Kommunisten und ich haben keinen Wert darauf gelegt, das zu diskutieren. Ich will nicht sagen, daß es tabu war, aber wir standen derartig unter dem Einfluß der Parteinormen - das ist ein ethisches System, das die Kommunisten geschaffen haben - daß wir das nicht so entscheidend angesehen haben.

Es ist bedauerlich, daß Menschen durch ihre Bindung an die Partei dazu gebracht werden können, schwerwiegende Realitäten nicht so zu bewerten, wie sie bewertet werden mußten. Das hat uns ja im Grund genommen jedes eigene Urteilsvermögen genommen.

Unser Ausgangspunk war immer: Was nutzt und was schadet der Partei. Eine Diskussion über die Folgen der Paktverträge hätte nach unserem damaligen Verständnis der Partei geschadet. Man muß den Kommunisten zubilligen: Wir standen ständig unter dem existentiellen Druck dieser antikommunistischen Hetze, ich bin nun 58 Jahre in der Partei.

In der Folge des Paktes sind auch deutsche Kommunisten, die in die SU ins Exil gegangen waren, ...

Meyer-Buer: umgebracht worden..

Ja, und hunderte auch ausgeliefert worden an die Gestapo..

Meyer-Buer: Furchtbar.

Kennen Sie Genossen, die in der SU ermordet worden sind?

Meyer-Buer: Ja, wenn auch nicht persönlich. Ich habe diese Tage von Willi Münzenberg etwas gelesen, das hat mich erschüttert. Es war bekannt, daß er bei Paris an einem Baum erhängt gefunden wurde, man hatte gesagt, da sei auch Stalin daran beteiligt. Es hat jetzt einen Bericht darüber gegeben, das hat mich sehr erschüttert.

Wobei ich Ihnen sagen muß: Ich bin garnicht dafür, daß diese Einzelfälle so aufgeklärt werden, denn sie ändern nichts an der Grundhaltung, daß stalinsche Verbrechen verurteilt werden müssen, und wenn einige Fälle dazukommen, statt 15 Kommunisten werden es 30 - an der Sache selbst ändert das nicht. Wem nutzt es, wenn unsere Presse sich auf einzelne solcher Fälle stürzt...

Nach 40 Jahren DDR-Sozialismus müssen jetzt sogar die Grenzen nach Ungarn und Polen dichtgemacht werden, Zeitschriften aus der Sowjetunion werden nicht hereingelassen...

Meyer-Buer: .. die Pressehoheit der DDR schließt auch ein, daß sie Publikationen sperrt, die von ihrem Standpunkt aus nicht zur Verständigung beitragen. Das muß man ihr zubilligen. Das ist eine Sache, die ich billige.

Machen Sie sich Sorgen um die DDR?

Meyer-Buer: Ein DDR-Bürger hat im Zuge der Massenabwanderungen im Fernsehen gesagt: Was wollen Sie? Wir haben 17 Millionen Einwohner, 3 Millionen Bürger der DDR sind in Westdeutschland gewesen im letzten Jahr, und 130 sind in der Botschaft - was sind das für Zahlenverhältnisse! Sie können natürlich sagen: Es würden noch mehr auswandern. Natürlich. Aber die Substanz im Lande, die bleibt erhalten. Solche überzeugten Marxisten wie ich einer bin gibt es in der DDR haufenweise, die haben ihre Kinder in diesem Sinne erzogen. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, wird es immer geben. Zu einer Substanz-Schwächung der DDR wird es nicht kommen, das glaube ich.

Int: K.W.