Vom General zum Leutnant

■ Anstelle des energischen Heiner Geißler wird der blaße Volker Rühe neuer Generalsekretär der CDU

MITTWOCH, 23/8/89TAGESTHEMA3

Am Montag hatte Geißler seinem Noch-Chef die Schau gestohlen und den Rausschmiß selber verkündet. Gestern mußte Kohl nun nachklappen und versuchte, seine Verlegenheitsentscheidung für den bisher nur als Außenpolitiker bekannten 46jährigen Volker Rühe als „Generationswechsel“ zu verkaufen.

Heiner Geißler geht, Volker Rühe kommt - und nach den Worten von Parteichef Helmut Kohl gibt es dafür nur einen einzigen Grund: Rühe ist gut zwölf Jahre jünger. Damit trennt den Neuen vom Alten genau die Etappe, die der Alte im Amt des Genralsekretärs war, und das soll dann auch schon alles gewesen sein.

„Mit einer politischen Kursänderung“, so versicherte Kohl gestern der Bundespressekonferenz, „hat das überhaupt nichts zu tun.“ Und um zu unterstreichen, wie banal und nebensächlich der Rausschmiß Geißlers doch sei, hatte man im Kanzleramt eilig eine deutschlandpolitische Erklärung zusammengestoppelt, die Kohl zunächst einmal vortrug, als habe ganz Bonn nur darauf gewartet.

Eine Geste, hilflos und dreist zugleich, und kennzeichend für den gesamten gestrigen Auftritt Kohls. Warum nun der Außenpolitiker Volker Rühe die innenpolitischen Wahlkämpfe der nächsten anderthalb Jahre bestreiten soll und muß, begründete der Parteivorsitzende so: Rühe „kennt unsere Partei sehr genau“, er ist mit seinen 46 Jahren „Repräsentant einer Generation, die in der CDU viel stärker verantwortliche Aufgaben übernehmen muß“, und er ist „ein Mann der Mitte“, so wie die CDU - „daran gibt es gar keinen Zweifel“ - eine „Volkspartei der Mitte“ ist.

Der Hinweis auf den Generationswechsel ist der Notnagel, an dem der Kandidat hängt, und es ist ein Kandidat Kohlscher Personalnot. Seit 1982 tritt Rühe als stellvertretender Fraktionsvorsitzender auf der Stelle, war - wenn es um Posten ging - einer der ewig Übergangenen in der Fraktion. Doch treu machte er für Kohl die Dreckarbeit, reiste durch die Hauptstädte, um bis zuletzt die erste Null-Lösung zu verhindern. Nachdem sich diese Linie nicht mehr halten ließ, der Mittelstreckenvertrag geschlossen wurde, hörte man von Rühe nicht mehr allzuviel.

Wenn der Topf aber nun

ein Loch hat...

Dennoch fiel sein Name immer dann, wenn es darum ging, die Außenpolitik künftig wieder als Feld für die Union zu besetzen. So reißt Kohl wieder einmal eine Lücke, um ein Loch anderswo zu stopfen. Er wollte Geißler eben um jeden Preis loswerden. Rühe habe sich „in die Pflicht nehmen lassen“, so umreißt der Vorsitzende die mangelnde Begeisterung seines Kandidaten.

Entscheidender als das Alter wird den Neuen vom Alten seine Einflußspanne unterscheiden: Der General geht, der Leutnant kommt. Auf die Frage nach den Aufgaben des Generalsekretärs zitierte Kohl die Parteisatzung: für ihn, den Vorsitzenden, die Geschäfte führen. Zuarbeiten also, nicht eigenständig strategisch denken.

Daß Rühe vor Jahren einmal eigenständig, nämlich linksabweichlerisch dachte und die Union mit einer Äußerung über die Verbindlichkeit des Warschauer Vertrags für die deutschen Grenzen - ausdrücklich auch für den Fall eines wiedervereinigten Deutschland - empörte, das wischte Kohl gestern eilig vom Tisch: Das habe Rühe selbst damals korrigiert, er stehe ostpolitisch „auf dem Boden der Partei“.

Ob Rühe mehr organisatorisch oder strategisch arbeiten solle, das beschied Kohl mit der Formulierung: „Die Arbeit des Generalsekretärs ist allumfassend.“ Vermutungen, der Außenpolitiker Rühe solle auf seinem neuen Posten der Union nun mehr außenpolitisches Profil geben, lassen sich damit kaum stützen. Wie der Schulterschluß zwischen dem Regierungschef und der Spitze des Parteiapparats im Konrad -Adenauer-Haus künftig aussehen soll, demonstrierte Kohl am Beispiel der „Republikaner“: Kontroversen gebe es da nicht, er könne nicht erkennen, daß Geißler bei diesem Thema eine eigenständige „Federführung“ gehabt habe.

Hilflos und dreist zugleich beantwortete Kohl auch Fragen nach weiteren Veränderungen im Parteiapparat. Es sei „wider jeden Stil“, jetzt, so kurz vor dem Parteitag im September, über derartige Personalfragen zu reden. Auch dies ein Hieb gegen Geißler, der durch den Kohlschen Stil öffentlich düpiert worden war. Den Fehdehandschuh der politischen Auseinandersetzung, den Geißler am Tag zuvor hingeworfen hatte, nahm Kohl nicht auf: Er habe Respekt vor der Leistung Geißlers, die Partei habe ihm viel zu verdanken. Ein typischer Nachruf. Ein Angebot für einen anderen politischen Posten habe er Geißler nicht gemacht, aber der wisse ja, daß er als „ministrabel“ gelte. Und wenn Geißler die Begründung für seine Entlassung nicht ausreichend finde, dann sei das Ansichtssache. Hilflos und dreist - wie dünn das von Kohl demonstrierte dicke Fell in Wirklichkeit ist, verriet der Parteivorsitzende gestern mit einem rassistischen Ausrutscher: „Am Timbre Ihrer Stimme erkenne ich, daß Sie von Konspiration mehr verstehen als ich“, herrschte er einen polnischen Korrespondenten an, der eine kritische Frage zu stellen wagte. Und als den Journalisten Kohls dahingesagte Entschuldigung nicht ausreichend erschien, lispelte der Parteichef aufgeregt-entnervt: „Das ist mein normaler Umgangston, und dabei will ich bleiben.“ Charlotte Wiedemann