Kein Mut zur Lücke

■ Das neue Programmkonzept von ARD und ZDF / Große Wünsche, bescheidene Budgets, halbherzige Angebote

In Botho Strauß‘ 1977 erschienener Erzählung Die Widmung litt ein junger Mann noch unter den Lücken im Fernsehprogramm: „Schroubek schrieb nicht mehr. Er hatte kaum noch Kraft, aufrecht im Stuhl zu sitzen. Der Fernsehschirm strahlte untentwegt auf ihn ab. Solange noch keine Sendungen liefen, starrte er das Testbild an, gerade so, als sei es ein Vexierbild, das man auf etwas anderes hin durchschauen müsse.“ Dieses Problem hätte Schroubek heute nicht mehr. Die privaten Sender sind mit Frühstücksfernsehen, Morgenquiz und Video-Nonstop längst ein komplettes Programm, das nur noch wenige tote Testbildphasen aufweist.

Nun haben auch die Öffentlich-Rechtlichen erkannt, daß es den Leerlauf im Programm zu überwinden gilt. Ab dem 2.Oktober wollen ARD und ZDF in einer konzertierten Aktion ihr Vormittagsprogramm ausbauen und die verheerende Mittagslücke schließen, damit der nimmersatte Zuschauer in Zukunft bis zum Beginn des Nachmittagsprogramms nicht auf das seichte Unterhaltungsprogramm der Privaten angewiesen ist.

Was die zuständigen Damen und Herren von ARD und ZDF jedoch am Montag im vornehmen Hamburger Hafenclub als richtungsweisende Innovation präsentieren wollten, erwies sich bei näherem Hinsehen als alles andere als eine Revolution. So soll das gemeinsame Vormittagsprogramm in Zukunft schon um 9 Uhr anstatt wie bisher um 9.45 Uhr starten. Zu sehen gibt es aber weiterhin ausschließlich Wiederholungen. Neu ist lediglich, daß die Sendungen in ein festes Programmschema eingepaßt werden und daß es stündlich 3minütige Nachrichtenüberblicke geben wird. Ach ja, und die diätplangestreßte Hausfrau kann sich demnächst bei der morgendlichen TV-Gymnastik ertüchtigen.

Als Herzstück des Konzepts wurde das neue Mittagsmagazin gefeiert, das mit aktuellen Nachrichten, Kultur und Show, Tips, Lebenshilfen und Börsenberichten die alltägliche Mittagsruhe stören will. Der Qualitätssprung ist bereits vorprogrammiert, wenn das Magazin einmal von dem versierten ZDF-Moderatorenpaar Ruperti/Gahntz gemanagt wird und in der nächsten Woche dann der Bayrische Rundfunk stellvertretend für die ARD-Anstalten die Gestaltung übernimmt. Wer hindert dann BR-Nachrichtenchef Heinz Klaus Mertes daran, den Bad Tölzer Knabenchor zum Tagesthema zu machen und uns die rechte Weltsicht einzutrichtern?

Entgegen der hochgesteckten Ziele ist das Budget für diese Sendung ausgesprochen mager ausgefallen. Neue Stellen wurden in beiden Sendeanstalten dafür nicht ausgeschrieben. Fritz Pleitgen, der Nachrichtenchefredakteur des WDR, warf den Planern darum schon im Vorfeld „Unredlichkeit gegenüber den Machern“ vor, weil nur eine ausreichende Finanzierung ein erstklassiges Programm gewährleisten könne. Nun kann man sich zwar darüber streiten, ob außer Geld nicht auch Phantasie und Wagemut dazu beitragen können. Aber gerade das lassen ARD und ZDF bei der spektakulären Schließung der Mittagslücke vermissen. Von 13.45 Uhr bis 17.00 Uhr gib es wer hätte anderes erwartet - Wiederholungen, die, wie schon im Vormittagsprogramm, jetzt einem Wochenschema eingepaßt sind.

Ein echtes Novum im Nachmittagsprogramm könnten vielleicht die für Freitag (ZDF) bzw. Samstag (ARD) vorgesehenen Europa -Magazine werden. Ob es jedoch gelingt, die europamüden Zuschauer mit Berichten aus dem Europarlament, Verbraucherfragen und Politikerporträts für EG-Politik zu interessieren, wenn RTL und Sat 1 zur gleichen Zeit mit seichten Spielfilmen locken, bleibt zu bezweifeln.

Wie schick die neuen Kleider der alten TV-Tanten nun ausfallen werden, läßt sich ab Oktober am flimmernden Objekt überprüfen.

Ute Thon