Verbrannte Hände

■ Claire Denis‘ Filmdebüt „Chocolat - Verbotene Sehnsucht“

Chocolat heißt dunkelhäutig und betrogen werden. Die deutsche Fassung dieses Films von Claire Denis erhielt noch den Untertitel „Verbotene Sehnsucht“. Denis, die Tochter eines französischen Kolonisten, arbeitete als Regieassistentin bei Costa Gavras, Jim Jarmusch und Wim Wenders, bevor sie ihren Debütfilm 1988 in Cannes zeigte.

Das Anfangsbild: Meer, nichts als Meer, wenig Sand, kein postkartenkitschblauer Himmel, eher Gewitterstimmung. Ein Mann und sein Kind (beide schwarz) spielen im Salzwasser bis sie sich ruhig hinlegen und die Wellen, vermischt mit dunklem Schlamm, über sich plätschern lassen. Die Brandung übertönt das Lachen des Kindes. Im Gegensatz dazu die Schwenks auf eine junge, einsame, weiße Frau: brav, beinahe steif sitzt sie mit dem Walkman auf dem Kopf am Strand.

Das Schlußbild: ein Flughafen in Kamerun. Drei schwarze Arbeiter haben sich vom Rand des Rollfelds wegbewegt, es beginnt zu regnen. Man sieht sie von hinten gestikulieren. Statt ihres Redens hört man Klänge von Abdullah Ibrahim. Am Ende ziehen die Drei ihre gelben Regenjacken über, obwohl sie offensichtlich hinter der Regenwand stehen und trocken geblieben sind. Der Regen kann ihnen so wenig anhaben, wie zuvor die Hitze Afrikas. In Chocolat schwitzt man nicht.

Die beiden Szenen sind symptomatisch: In Claire Denis‘ Film wird nicht viel geredet, eine schöne, ruhige Einstellung folgt auf die nächste. Die spannungsreiche Liebesgeschichte zwischen der immer schönen Aimee (Giulia Boschi), der Frau des Kolonialbeamten Marc (Francois Cluzet), und ihrem schwarzen Diener Protee (Isaach de Bankole) ist in dem Bildermosaik nurmehr zu erahnen. Protee weist den vorsichtigen Annäherungsversuch der Hausherrin (weiße Hand auf schwarzen Waden) zurück: Aus ihrer kauernden Haltung am Boden stellt er Aimee ruckartig auf die Füße, wo sie brüskiert verharrt und keine weiteren Berührungen wagt.

Da ist die merkwürdige Freundschaft zwischen Protee und Aimees Tochter, der kleinen France (Cecille Ducasse). Sie beginnt damit, daß France es wagt, von dem Butterbrot Protees abzubeißen, nachdem er es mit Ameisen garniert hat. Das Ende: In der Garage fragt die kleine France mit Blick auf ein Rohr: „Ist das heiß?“ Statt einer Antwort umfaßt Protee das Rohr, France macht es nach. Beide verbrennen sich die Handfläche.

Die Brandwunde ist später noch einmal zu sehen. Die erwachsene France kehrt zu einem Besuch nach Kamerun zurück, so die Rahmenhandlung. Zunächst sitzt sie mit Walkman am Strand, dann mit Vaters Notiz- und Zeichenblock auf dem Schoß im Auto. Der Fahrer des Wagens ist der Mann, der zu Beginn mit seinem Sohn im Meer zu sehen war. Er rät France, nachdem er ihre kaputte Handfläche gesehen hat, das alte Haus nicht zu besuchen, also die Reise in ihre Vergangenheit abzubrechen.

Rückblende: Da Marc viel unterwegs ist, sind Aimee und die kleine France oft allein im herrschaftlichen Haus. Der zähe Tagesfluß besteht aus Essen und Schlafen. Protee serviert eselsgeduldig, der Koch hingegen ist aufmüpfig. Drei Ereignisse sorgen für Abwechslung im immergleichen Trott: Ein englischer Großwildjäger kommt und tanzt in Abendkleidung mit Aimee (wieder ein schönes, aber bekanntes Bild), dann nistet sich eine Meute Kolonialfranzosen ein, deren Flugzeug einen Schaden hat, schließlich taucht noch Luc, der Freak auf, der sich bei den Schwarzen anbiedert und die Weißen zu beleidigen versucht.

Der einzige handfeste Konflikt: eine Frau aus der Fliegergruppe ist krank; ihr Mann will aber nicht, daß der schwarze Arzt sie behandelt. Luc macht Ärger und verzieht sich auf die Terrasse zu seinem Schlafplatz. Dort trifft er auf Protee, dessen Arschkriecherei er kritisiert. In dem Handgemenge der beiden Aimeeverehrer unterliegt Luc und zieht wortlos von dannen.

Am Ende fliegt die erwachsene France ab, erkennt aber in einem der drei Arbeiter Protee wieder. Er hingegen sieht sie nicht, er ist ins Gespräch mit seinen Kollegen vertieft. Ihre Welten scheinen unvereinbar.

Wer also noch nicht genug Afrika und Antikolonialismus im Kino gesehen hat, und wem es jenseits davon zu kitschig oder bombastisch war, der sollte Chocolat sehen. Die Qualität des Films liegt in seiner Verhaltenheit.

Bärbel Käss

Claire Denis: Chocolat - Verbotene Sehnsucht. Regie: Claire Denis; Buch: Claire Denis und Jean-Paul Fargeau; mit: Isaach de Brankole, Giulia Boschi, Cecile Ducasse; Frankreich 1988; 105 Minuten.