Kanonenboote für die Humanität

Frankreichs Flotte kreuzt vor Beirut  ■ K O M M E N T A R E

Kreuzzug oder Karitas? Frankreich hat den ansehnlicheren Teil seiner Flotte in See stechen lassen, mit Kurs auf Beirut. Immer der Trikolore nach, die am Bug flattert. Die ehemalige Mandatsmacht habe dort, so Präsident Mitterrand, eine „humanitäre Mission“ zu erfüllen, und zwar für alle Seiten. Die Gelegenheit war zu günstig, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Nicht allein, daß die High-Tech -Fregatte „Cassard“ ausprobiert sein wollte. Nein, die Fernsehöffentlichkeit war aufgewühlt durch Bilder islamischer Bomben, die in christlichen Vierteln einschlugen, und glaubte, endlich Gut und Böse in einem Bürgerkrieg ausmachen zu können, dessen Fronten bisweilen nur noch den diversen Generalstäben klar zu sein scheinen.

Weshalb tut denn keiner was? Da müßte man doch...“, clausewitzte der Bürger und Expremier Michel Debre. Das gaullistische Fossil griff zur Rhetorik des Kreuzritters, um gegen Syrien und seine Alliierten zu mobilisieren: „Frankreich ist der Rufer in der Wüste. Das Abendland sieht dem Verschwinden eines Staates zu, der doch für seine (abendländischen) Werte stand!“ Mitterrand verstand die Botschaft und schickte die Flotte. So würde Frankreich unter den Augen der Weltpresse noch einmal die ihm von de Gaulle zugedachte Traumrolle spielen können: als Robin Hood der EG, der einsam, aber bewaffnet den dritten, den dornigen Weg der Moral geht, während Ost und West und die europäischen Hasenfüße nur antichambrieren. Man stelle sich vor: Die republikanische Flotte Frankreichs rettet Erniedrigte aller Lager aus dem brennenden Beirut - und das womöglich noch am 26.August, dem 200.Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte!

Nun ist die Welt schlecht, vor allem in der Levante. Es genügt nicht, ein schwimmendes Krankenhaus auf die Reise zu schicken. Humanität braucht Kanonenboote. So wurde der Flugzeugträger „Foch“ mit 2.000 Soldaten und 40 Bombern zum Schutz des Hospitals gleich mit entsandt. Natürlich bedurfte es weiterer sechs hochmoderner Landeschiffe und Luft- und U -Boot-Abwehrkreuzer und Anti-Anti-Boote... zum Schutze wiederum der „Foch“. Denn handelt es sich auch um eine humanitäre Operation, so hat doch Premierminister Rocard klargestellt, daß „die Kanonen für die Dauer der humanitären Aktion zum Schweigen gebracht werden müssen“ - was bekanntlich am besten durch Kanonen bewerkstelligt werden kann.

Erst im Frühjahr hatte eben die Flotte, die gestern abend ihren Einsatzort erreichte, gemeinsam mit den USA ein Manöver abgehalten. Ziel: Sturmangriff auf den Libanon, um die französischen und amerikanischen Staatsbürger zu evakuieren und - ein Aufwasch - die westlichen Geiseln zu befreien. Kein Wunder also, daß Syriens Autokrat Assad eine Präsenz der gutbestückten französischen Armada vor der libanesischen Küste fürchtet. Zumal der militärpolitische Sprecher der Opposition, Fran?ois Fillon, bereits angedeutet hat, wohin der zweite humanitäre Schritt zu führen hätte: zum Aufbrechen der syrischen Blockade gegenüber den christlichen Häfen. Eine derartige Parteinahme für den „christlichen“ General Aoun wird von der Regierung bisher strikt abgelehnt. Aber Ent- und Verwicklungen pflegen bisweilen schneller abzulaufen, als man denkt. Es heißt aufpassen: Mitterrand spielt mit dem Feuer in einer Region, wo die Zündschnüre nur so herumliegen. Und im Unterschied zum 14.Juli wird es nicht nur ein buntes Feuerwerk sein, das in die Luft gehen wird, um Frankreichs universeller Mission zu huldigen.

Alexander Smoltczyk