Bonner Botschaft in Prag geschlossen

■ DDR-Flüchtlinge wollen Ausreise erzwingen / Im August sind bisher 3.300 Menschen via Ungarn aus der DDR geflohen / Der Kanzler will mit Honecker telefonieren / Ungarische Grenzbeamte berichten von kommerzieller Fluchthilfe / „CDU-General„-Anwärter in Budapest

Berlin (taz/dpa/ap) -Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag ist seit gestern für den Publikumsverkehr gesperrt. Nach der ständigen Vertretung in Ost-Berlin und der Botschaft in Budapest hat damit die dritte Bonner Vertretung in einem osteuropäischen Land die Tore geschlossen. Inoffiziellen Angaben zufolge sollen etwa 140 DDR-Flüchtlinge in der Botschaft Zuflucht gesucht haben. Sie wollen damit ihre Ausreise aus der DDR erzwingen. In Ost -Berlin hingegen haben die zwei jungen Frauen, die am Dienstag in die ständige Vertretung Bonn gelangt waren, das Gebäude freiwillig wieder verlassen.

In Budapest soll die Zahl der DDR-Müden in der Bonner Vertretung gesunken sein. Dutzende der „Festsetzer“, wie sie von offiziellen DDR-Stellen genannt werden, wollen nun versuchen, über die ungarisch-österreichische Grenze ins Bundesgebiet zu gelangen.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Bonn sind seit Anfang August etwa 3.300 Menschen über die grüne Grenze nach Österreich geflüchtet. Allein in den letzten vier Tagen seien es über 2.000 gewesen. Ungarische Grenzoffiziere wollen an der Grenze bei Sopron 50 Fluchthelfer „enttarnt“ haben. 41 Bundesbürger und neun Ungarn sollen bis zu 2.000 Mark dafür verlangt haben, daß sie DDR-Aussteiger über die grüne Grenze schaffen. Aus Kreisen der BRD-Botschaft in Wien und vom österreichischen Innenministerium wurde bestätigt, daß es in Einzelfällen solche Fluchtgeschäfte gegeben habe.

In Bonn hieß es gestern, Bundeskanzler Kohl wolle so schnell wie möglich mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker telefonieren. Kohl wolle mit Honecker über eine Lösung für die Flüchtlinge in den diplomatischen Vertretungen Bonns reden. Der Zeitpunkt einer direkten Kontaktaufnahme soll davon abhängenen, wann der DDR -Staatschef die Folgen einer Gallensteinoperation auskuriert hat. Am Dienstag hatte Kohl seine Bereitschaft zu einem direkten Treffen mit Honecker bekundet. Für seine Aussagen über die Flüchtlingswelle aus der DDR erntete Kohl gestern Lob auch von seiten der Sozialdemokratie. Der deutschlandpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans Büchler, begrüßte vor allem Kohls Ausführungen, nach denen eine Konfrontation in den deutsch-deutschen Beziehungen vermieden werden solle und daß die SED die Lage in der DDR nur durch „mutige Reformen“ verbessern könne. Die Ministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms (CDU) hat unterdessen Vorwürfe aus der DDR zurückgewiesen, Politiker und Medien in der Bundesrepublik würden die DDR-Bürger zur Flucht verleiten: „Wir werben niemanden ab, aber wer anklopft, wird aufgenommen.

Der designierte CDU-Generalsekretär Volker Rühe ist gestern zu einem zweitägigen Besuch nach Budapest gereist. In Begleitung des CDU-Abgeordneten Klaus Francke will er sich über die Lage der BRD-Botschaft und der DDR-Flüchtlinge informieren.

Die Medien in der DDR haben gestern kommentarlos den Bericht der ungarischen Agentur 'mti‘ über den Tod eines DDR -Bürgers an der ungarisch-österreichischen Grenze wiedergegeben. Wie berichtet, hatte sich bei einem Handgemenge aus der Waffe eines Grenzers ein Schuß gelöst, der den 39jährigen tödlich verletzte. Die anhaltende Fluchtwelle ist in den DDR-Medien nach wie vor kein Thema.

wg