Leben im Knast besser als im Wohnheim?

■ Rund 30 BewohnerInnen des Obdachlosenasyls „Wohnheim Berlin“ beschwerten sich gestern beim Neuköllner Sozialstadtrat May über Krach, Dreck und Bevormundung in der Behausung / Duschen werden schon um 20 Uhr abgeschlossen / Besuch darf nicht empfangen werden

Einen Sturm der Entrüstung mußte gestern der Neuköllner Sozialstadtrat May über sich ergehen lassen. Rund 30 BewohnerInnen des Obdachlosenasyls „Wohnheim Berlin“ hatten sich am frühen Morgen vor seinem Amtszimmer versammelt, um sich über die unmenschlichen Zustände in ihrem Heims in der Teupitzer Straße zu beschweren. Bevor die Obdachlosen, die mit Kind und Kegel angerückt waren, jedoch überhaupt zu Wort kommen konnten, schmiß der soziale Stadtrat sie kurzum wieder aus seinem Büro und drohte mit der Polizei. „Wir wollten doch nur mit dem reden“, meinte eine junge Frau erstaunt, als Mays Sekretärin mit lautem Knall die Tür zuschmiß und gleich darauf verriegelte. Schließlich, so die Betroffene, hätten sie allen Grund dazu, sich zu beschweren.

„Wir wohnen zu viert oder fünft in einem Zimmer. Da gibt's überhaupt keene Privatsphäre.“ Zwar hätten sich einige Bewohner Schrankwände zwischen den Betten gebaut. „Den Lärm kann man dadurch aber nicht abstellen.“ Außerdem sei das Heim, in dem rund 600 Obdachlose wohnen, voller als je zuvor. „Dat kommt durch die ganzen Aussiedler, die bei uns einquartiert werden“, vermutet eine Frau, die mit drei Kindern angerückt war. „Da lebt man sogar im Knast noch besser, weil da wenigstens Regale an den Wänden halten“, mokierte sich ein junger Mann mit Baby auf dem Arm. Alle Wohnungen, die ihm bisher angeboten worden seien, hätten sich in einem unbewohnbaren Zustand befunden, so daß er das Wohnheim vorgezogen habe. Ein junges Mädchen beschwert sich über Betrunkene, die die ganze Nacht randalieren würden. Auch die Regelung, daß das Gebäude ab 22 Uhr nicht mehr verlassen werden darf, ist für die Bewohner unverständlich. „Das ist doch die reinste Bevormundung“, entrüsten sich die BewohnerInnen. Das gleiche gelte auch für die Schließung der Duschräume um 20 Uhr. „Es gibt auf dem ganzen Gelände so gut wie keinen Spielplatz“, beklagt sich eine Frau mit Kinderwagen. Rutsche und Sandkasten, die vorhanden sind, seien völlig verdreckt. Auf die kleine Grünfläche hinter dem Haus sollen demnächst auch noch Wohncontainer aufgestellt werden. „Da haben wir dann überhaupt keine Wiese mehr für unsere Kinder.“ Spielten die Kleinen im Haus, mache das zuviel Krach. „Da wohnen ja auch Schichtarbeiter, die tagsüber schlafen müssen“, meint eine Türkin, deren Mann davon betroffen ist.

Ob Stadtrat May, während die Bewohner des Heims derart schimpften, an der Tür gelauscht hatte? Als habe er nur sein Stichwort abgewartet, öffnete sich plötzlich die Tür seines Büros, um erst einmal kräftig über den anwesenden Fotografen zu schimpfen, der Mays Ansicht nach verbotene Bilder „schoß“. „Das ist eben kein Mietshaus, sondern ein Heim“, erklärte May. Schließlich gebe es derzeit 200 Aussiedler in Neukölln, die in Turnhallen untergebracht seien. „Da muß man sich doch fragen, was besser ist.“ Organisatorische Dinge, wie das abendliche Duschverbot, seien jedoch lösbar. Wer sich durch den Krach anderer gestört fühle, der müsse eben in einen ruhigeren Teil des Heims verlegt werden. „Natürlich sind die Wohnverhältnisse kritisch zu würdigen“, gestand der Stadtrat ein. Obwohl er das Wohnungsproblem nicht zu lösen vermag, riet May den Obdachlosen: „Die beste Möglichkeit ist, in eine Wohnung zu ziehen!

cb