Die Mauer muß weg!

II.Crash & Run Bolz-EM: sportpolitische Aufforderung, nostalgische Verpackung und ökologische Innovation  ■  PRESS-SCHLAG

Es ging nicht banal um Tore und Siege: Mit der II.europäischen Bolzmeisterschaft im niederländischen Lemiers sollte notwenige Erinnerungsarbeit am Fußballgeschehen geleistet und von 18 Teams ein weiteres Stück Fußballgeschichte geschrieben werden. Eine exakte Analyse nämlich hatte ergeben, daß sich der Fußball auf drei Säulen stützt - Trainer, Reporter und Spieler. Ihnen zum Gedenken wurden schließlich den drei Gruppen Pioniere des Fußballs zugeordnet:

Branco Zebec als Spiritus Rector der hochprozentigen Methoden, der belegte, daß dem Kick vor, während und nach dem Spiel schöne Seiten abzugewinnen sind.

Oskar Wark als Pionier des gesprochenen Worts: „Die Fahne der FIFA hängt etwas müde am Mast - na, jetzt bewegt sie sich doch.“

Lothar Emmerich als Pionier der unreinen deutschen Sprache, was zur Gründung des Teams 'Gib mich die Kirsche‘ führte.

Zahlende Zuschauer als vierte unerläßliche Säule kamen nicht zum Tragen, da die immer weniger werden und sich kein geeigneter Repräsentant finden ließ.

-Einen nostalgischen Höhepunkt setzte letztlich der Veranstalter selbst. Den 'Helden von Bern‘ zu Ehren lief Partisan Eifelstraße im originalen Trikot des Weltmeisters von '54 auf: Schnürkragen und Hosen bis an die Knie.

Mauer muß weg“, konterte schließlich der SV Petermann Stadtgarten, wenn sie sich einen Freistoß in Strafraumnähe erschlichen hatten; weniger um sich dadurch die erhofften Tore zu gönnen, als an den 13.August zu erinnern.

Die Geschichte wiederholt sich, die alte Weisheit bewahrheitete sich beim Spiel der Petermänner gegen die Partisanen, als nach 23 Jahren wieder ein Wembley-Tor erzielt, diesmal allerdings nicht anerkannt wurde. Die Videokamera leistete noch am frühen Abend Aufklärungsarbeit, doch es blieb beim 2:0-Erfolg der Stadtgärtner.

Bei soviel Nostalgie konnte sich Torsteher und Dipl.Ökologe Kirch eine gewisse Mayer-Vorfelderei nicht verkneifen. Er definierte erstmalig das Öko-Foul - grob fahrlässiges Treten in den Rasen soll unweigerlich mit einer grünen Karte und Zeitstrafe geahndet werden.

Daß die alternative Kondition nicht mehr länger das Gesetz der Biologie (Altern als theoretische Erscheinung) ignorieren kann, mußten die altgedienten Recken von den Roten Nullen, Petermann, Partisan und Titelverteidiger Flamengo Rosenau auf den Plätzen 2 bis 5 neidlos eingestehen - der Generationswechsel wurde vollzogen. Die im Schnitt zehn Jahre jüngere Eintracht Zwietracht (Das Copyright dieses Namens befindet sich, by the way, immer noch im Besitze der Nachfahren jener legendären Elf, die in den Jahren 1974 bis 77 in der Berliner Studentenliga für Furore sorgte. Tantiemen werden von der taz-Sportredaktion gern und verdient entgegengenommen, d.red.) aus dem 200-Seelendorf Laurenberg/Lahn holte den Titel nach Hessen.

Nach der Siegerehrung stimmten alle das Lied an „Am Tag, als Dettmar Cramer starb, wir lagen träumend im Rasen“, was nicht persönlich gemeint war, sondern einfach als Nachruf auf den herkömmlichen Fußball und als gemeinsame Erklärung einer friedlichen Koexistenz aller alternativen Kicker und -Innen.

Achim Blickhäuser