Wie attraktiv ist der Standort Bundesrepublik?

Hearing der SPD-„Fortschritt 90„-Planer zur „Unternehmensbesteuerung auf dem Prüfstand“ / Wer hat das beste Steuerkonzept? / Von Multis und Sozialdemokraten  ■  Aus Bonn Ulli Kulke

Oskar Lafontaine kündigte Großes an. Der Chef der SPD -Planungsgruppe „Fortschritt 90“ nahm für seine Partei in Anspruch, das ausgereifteste Steuerkonzept zu haben, daß mit den streng ökonomischen Aspekten auch die sozialen und ökologischen Bereiche in Einklang bringt. Nach diesen Begrüßungsworten zur „F-90„-Veranstaltung „Unternehmensbesteuerung auf dem Prüfstand“ gestern in Bonn durfte man gespannt sein auf den integrierten Öko-Öko/Sozio -Gehalt. Der Chronist wurde enttäuscht: Der Gehalt erschöpfte sich in der kommenden dreistündigen Debatte mit der Creme der bundesdeutschen Wirtschaftsverbände und des DGB darin, daß IBM-Deutschland-Chef Hans-Olaf Henkel mürrisch anmahnte, niemand solle so tun, als wenn es irgendjemand in der bundesdeutschen Witschaft gebe, der die Ökologie außer Acht lasse. Dieser Nebensatz wars dann schon, und fortan ging es nur mehr schlicht um die Frage: Werden in der Bundesrepublik die Unternehmen zu hoch besteuert oder nicht? Aber hierzu hatten sich Sozialdemokraten und bundesdeutsche Industrie noch allemal einiges zu sagen.

Für IBM-Chef Henkel, aber auch den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, fiel natürlich die derzeitige Situation der Republik im internationalen Wettbewerb als Argument für steuerbedingte Standortnachteile hierzulande aus. Zum dritten Mal Exportweltmeister hintereinander (auch in absoluten Größen), da mußten andere Geschütze aufgefahren werden. Bei Perspektiven über die lange Frist ist jedes papier geduldig, und was böte sich da besser an, als Horrorszenarien an die Wand zu malen. Henkel holte die Sandfarben heraus und skizzierte eine Investitions-Wüste. Einerseits investierten deutsche Unternehmen kräftig im Ausland, andererseits „trockneten ausländische Investitionen in deutsche Arbeitsplätze aus“ - steuerbedingt: „Seit Beginn der 80er Jahre hat das Ausland in Frankreich doppelt, in England 5mal so viel investiert, wie bei uns“. Der Angehörige eines der größten Multis der Welt machte für sich geltend, daß er einen guten Überblick über die internationale Steuerszenerie habe, und sah hier die Ursachen: Drastische Steuersenkungen in den USA, Großbritannien oder Holland in den letzten Jahren habe diesen Ländern inzwischen einen Vertrauensvorsprung verschafft.

Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU), als Präsident des Deutschen Städtetages vor allem um die Verteidigung der derzeit in die Diskussion gekommenen kommunalen Gewerbesteuer bemüht, sandte an Henkels Adresse eine andere Rechnung. Für ihn entbehrte es nicht einer gewissen Logik, daß vor allem ein Land mit hohem Exportüberschuß Investitionen im Ausland tätige, was die anderen mangels Masse eben bleiben lassen müßten: Streit eines prominenten CDU-Politikers mit den obersten Wirtschaftsmagnaten auf einer SPD-Veranstaltung - zumindest die Regie Oskar Lafontaines konnte sich sehen lassen.

Henkel gestand dann zwar auch ein, daß einem (seiner Ansicht nach) höheren Steueraufkommen auch eine bessere Infrastruktur gegenüberstehe, die natürlich den Standort Bundesrepublik attraktiv mache (Sie glauben gar nicht, wie ich meinen IBM-Oberen gegenüber die Bundesrepublik anpreise, da rede ich zugegebenermaßen etwas anders als hier“). Gleich zweimal konnte er sich aber einen kleinen Seitenhieb an Rommel und seine engere Nachbarschaft in Sachen kommunaler Steuerverschwendung nicht verkneifen: In Böblingen würde für 39 Millionen Mark ein Thermalbad gebaut, das die Bürger, so sie es bezahlen müßten, gar nicht wollten. Im saarländischen Völklingen dagegen wisse man noch nicht einmal, wie man die Kindergärten finanzieren solle, hieb er auch noch gleich auf den F-90-Chef als Landesvater ein. Rommel gestand schließlich ein, daß er ein klares Bild über die tatsächlichen steuerlichen Standortbedingungen der Bundesrepublik vermisse: „Ich bin verwirrt. So viele Menschen, die ich alle bewundere, sagen so verschiedene Sachen über die Steuern“).

Ob Gerd Muhr, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes auch zu denen gehört? Der sagte in der Tat anderes und übertünchte die Szenarien auswandernder Arbeitsplätze wegen angeblich zu hoher Steuerbelastung hier einerseits und ständig sinkender Steuern im Ausland andererseits. Besonders war er bemüht, die von Henkel, Necker und dem Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages, Jost Prüm, ständig ins Feld geführte Unternehmenssteuersenkung in den USA ins rechte Licht zu rücken. Dort hätten zwar in der Tat Steuersatzsenkungen stattgefinden, die seien jedoch durch die Unternehmen selbst finanziert worden. Aufgrund des seit 1987 wirksamen Wegfalls eines ganzen Wirrwarrs diverser Abschreibungssätze müssen die Unternehmer dort bis 1991 tatsächlich 120 Milliarden Dollar mehr bezahlen. Die Fragwürdigkeit der gestrigen Argumentation von Unternehmerseite, ausgerechnet die USA auch als Beispiel hinzustellen, bei denen die vorherigen Steuersatzsenkungen zu einer Investitions-Explosion geführt hätten, und dadurch wieder mehr Steuern hereingekommen wären, kam dabei noch gar nicht zur Sprache. Die immer tiefere Staatsverschuldung der USA während der Reagan-Jahre spricht dieser These schließlich Hohn.

Laut Muhr hat der DGB aber auch für andere Länder wie die Niederlande, Schweden und Belgien errechnet, daß vermeintliche Steuersenkungen für Unternehmen lediglich Umschichtungen waren, so daß sie sowohl für die staatlichen Einnahmen als auch für die betrieblichen Ausgaben neutral blieben. Und was die Einkommenssteuer angehe, so hinke nicht die Bundesrepublik einer vermeintlichen internationalen Senkungsinitiative nach. Vielmehr hätte in einigen anderen Ländern wie Schweden, Japan, Frankreich und Japan erheblichen Nachholbedarf gegeben. Und nach den dort vollzogenen Anpassungen in der letzten Zeit lägen die „Einkommenssteuer-Spitzensätze immer noch höher als bei uns“.

SPD-Steuerexpertin Ingrid Matthäus-Maier machte denn auch den Unternehmern klar, daß im Falle einer Regierungs -Übernahme durch sie nicht mit einer Senkung der Unternehmenssteuern zu rechnen sei. Im Ausland verstünde die hiesige Diskussion ohnehin niemand. Als sie kürzlich in Frankreich mit Unternehmern debattiert habe, sei dort „helle Empörung“ darüber entbrannt, daß gerade im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt in Bonn schon wieder über Steuersenkungen nachgedacht werde, wo man doch dabei sei, sich so langsam an die niedrigeren bundesdeutschen Steuersätze anzupassen. Wolfgang Roth, Wirtschaftsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, konnte ähnliches von seinen Besuchen bei der japanischen Arbeitgeberschaft berichten.

Bei aller Verwirrnis über zu hohe oder zu niedrige Steuern war Matthäus-Maier dann doch um Einigkeit mit der Unternehmerseite bemüht: Wenn Henkel eine generelle Absenkung der Unternehmensbesteuerung von über 70 auf 45 Prozent fordere, so habe man inzwischen eigene Berechnungen angestellt, laut derer die faktische Belastung der Unternehmer genau bei diesem Satz liege. Und da auch die Sozialdemokraten diesen Satz nicht anheben wollten, habe man doch eine wunderbare Geschäftsgrundlage. Sprachs, hatte aber offenbar nicht mit Rommel gerechnet, der sich bei der Veranstaltung mit sichtlichem Vergnügen als Entertainer betätigte: „Herr Henkel, auch Ihnen muß doch klar sein, daß Abschreibungen am attraktivsten sind, je höher die Gewerbesteuersätze sind. Dann würde endlich der Maschinenpark im Lande modernisiert.“ Also rauf mit den Steuersätzen.