Giftgas-Testfall Angola

■ Kuba hat in Angola sowjetische Chemiewaffen eingesetzt / Von Hans Branscheidt

Als sich im März 1988 weltweiter Protest an der chemischen Bombardierung der kurdischen Stadt Halabja durch irakisches Militär entzündete, da wußte die Weltöffentichkeit nicht, daß zur gleichen Zeit kubanisches Militär im Angolakrieg außerordentlich vefeinerte Gift- und Nervengase sowjetischer Produktion einsetzte, um den gegnerischen Söldnertruppen der Unita die „menschliche Basis“ zu vergiften.

Bedingt durch die Unzugänglichkeit Angolas während des Krieges und begünstigt durch die restriktive Visapraxis seiner Regierung blieb bis heute verborgen, daß auf fast zwei Dritteln des Territoriums chemische Kampfstoffe in großangelegten „Tests“ gegen zahlenmäßig nennenswerte Teile der ländlichen Bevölkerung zum Einsatz kamen. Auf dem Testfeld Angola sollten nicht nur ganze Gebiete menschenleer gemacht werden, Umwelt und Wasser vergiftet werden.

Das fast hermetisch geschlossene Land bot sich auch geradezu dafür an, neue Gas- und Nervengiftmodifikationen im Menschenversuch auszuprobieren. Nachweisbar ging es bei diesen Einsätzen darum, hochmodifizierte Stoffe zu testen, die möglichst von den gängigen Identifizierungssystemen nicht erfaßt werden konnten - wodurch einem Gegner auch jede Prävention unmöglich gemacht wird.

Gelänge diese Absicht, so hätte die SU einen bedeutenden Vorteil für einen zukünftigen Einsatz von chemischen Kampfmitteln - und jeder Feind wäre weitgehend unvorbereitet getroffen. Die hier referierten Befunde sprechen jedenfalls dafür, daß es die Absicht sowjetischer und kubanischer Militärwissenschaftler gewesen sein muß, die Wirkung von chemischen Kampfstoffen auf einem Geländepunkt zu konzentrieren, die bisher unspezifisch über größere Terrains streuen.

Die „Reports on Angola“ des toxikologischen Departments der Universität Gent beweisen die Verwendung von Kampfaerosolen seit spätestens 1986 - und von da an bis in das Jahr 1989 -, ungeachtet der längst begonnenen Verhandlungen zwischen den Savimbi-Söldnern der Unita und der angolanischen Regierung. Es scheint, daß dieser moderne Giftgasgroßversuch so entscheidend wichtig ist, daß er unabhängig von allen Versuchen zur Beendigung des Krieges systematisch und erfolgreich abgeschlossen werden soll.

Am Schluß dieser acht traurigen „Reports on Angola“ befindet sich die Auflistung aller erfaßten chemischen Gasangriffe der kubanischen Truppen und ihrer sowjetischen Berater in Angola. Ob inzwischen von einem Ende zu sprechen ist, bleibt offen.

Einer der Hauptverantwortlichen, der Chef der kubanischen Truppen in Angola, General Ochoa, wurde kürzlich in Havanna verurteilt: wegen seiner Verwicklung in den Rauschgiftschmuggel. Das Verbrechen des versuchten Völkermords blieb bei der Verhandlung ausgespart; der Täter steht auch als Zeuge nicht mehr zur Verfügung, er wurde mit persönlicher Zustimmung Fidel Castros exekutiert.

Die besondere Qualifikation der Genter Toxikologen verdient eine historische Anmerkung: Noch heute lagern in der Nähe des belgischen Ypern Tausende von Gasgranaten des Ersten Weltkriegs. Bis jetzt war es unmöglich, die sich langsam zersetzenden Bomben vollends zu neutralisieren.

Der Genter Lehrstuhl hat seit langem eine internationale Spitzenposition in der Identifizierung von Kampfgasen und auch in der Untersuchung und Behandlung ihrer Opfer. Professor Heyndrickx, dem ich das vorliegende Material verdanke, arbeitet für die Unido. Als leidenschaftlicher Streiter für das Verbot solcher Waffen auf allen Seiten hat er auch die entscheidenden diesbezüglichen Gutachten anläßlich des Golfkrieges Irak-Iran der Weltöffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die Genter „Reports on Angola“ erscheinen hier in einer Zusammenfassung und ohne den gesamten laboranalytischen und fachmedizinischen Teil.

Die vollständigen Ergebnisse, die Fotos und Dokumente, stehen qualifizierten Interessenten jederzeit zur Verfügung. Ebenfalls bei medico international (Obermainanlage 7, 6000 Frankfurt 1) ist Informationsmaterial zu den Giftgaseinsätzen in Kurdistan und Angola erhältlich.

Der Autor Hans Branscheidt ist Mitarbeiter der Frankfurter Hilfsorganisation medico international und hat in der Vergangenheit unter anderem zu irakischen Giftgaseinsätzen in Irakisch-Kurdistan publiziert.

Erster Report

(8.September 1986) Die Kommission der toxikologischen Abteilung der Universität Gent wurde auf ihrer Reise nach Angola (25.8.86 bis 1.9.86) mit folgenden Fällen konfrontiert:

-Vergiftung von Frauen duch intoxikierte Verhütungsmittel (Pillen)

-Erkrankung von fünf Personen durch nachweislich gezielt vergiftete Lebensmittel in der Gegend Negage,

-Massenweise vergifftete Dosennahrung in Canage, Luena Stadt, mit Todesfolge für mindestens 14 Personen. Salzkonserviertes Fleisch in Dosen wurde durch kubanische Truppen in mehreren Gebieten „zurückgelassen“ oder direkt an die zivile Population in Aufstandsgebieten verteilt beziehungsweise verkauft.

Blut und Urin von drei erblindeten Personen wurden untersucht: Jaime Bento, Arthur Mukanda und Alfons N'Gueve.

Da die drei Betroffenen jeweils unmittelbar nach der Zündung kubanischer Granaten erblindeten, deren Explosion sie aus der Entfernung erlebten, bestand der Verdacht, daß die „spontane“ Erblindung auf neurotoxische chemische Stoffe zurückzuführen sei.

Ergebnis: Im Falle Arthur Mukanda hochsignifikanter Laborbeweis für Nervengas im Blut (wahrscheinlich Tabun oder Sarin). In den beiden anderen Fällen war der Beweis nicht sicher zu erbringen, da die Zeitspanne zwischen Intoxikation und Befunderhebung zu groß war.

Zweiter Report

(Februar 1988) Die noch auf schmaler Erhebungsbasis gewonnene Erkenntnis, daß chemische Nervengase im Angolakrieg zur Anwendung kamen, wurde erhärtet. Unter anderem wurden mehrere Kampfgasdetektoren sowjetischer Herkunft im Originalzustand an Ort und Stelle sichergestellt (siehe Foto oben). Diese international „identification kits“ genannten Gegenstände befanden sich im Gepäck speziell ausgebildeter kubanischer Soldaten, die die mögliche Verseuchung der eigenen Truppen vermeiden sollten. Die im Gebiet Cuti Canavale aufgefundenen Detektoren waren geeicht zur Benutzung auf dem Schlachtfeld oder zur Überprüfung der Toxizität der Atmosphäre.

Das mit Verfallsdatum 11/87 gekennzeichnete Instrument sowjetischer Provenienz war zur Bestimmung von Phosgenen, Diphosgenen und dem chemischen Stoff C1CN geeignet. Die zweite Warnapparatur, gültig bis 5/85, erwies sich als fähig zur Erkennung von Sarin und Soman beziehungsweise zur Feststellung organischer Nervengasverbindungen auf dem Schlachtfeld.

Augrund des extremen technologischen Aufwandes bei der Konfektionierung von Giftgasgranaten und Kampfstoffkanistern ist es ausgeschlossen, daß die abzuwehrende Gefahr von den Truppen der Unita hätte ausgehen können, dessen Einheiten ohnehin über keine Luftwaffe verfügen, um solche Stoffe gezielt einzusetzen.

Außerdem wurde Blut und Urin bei acht ausgewählten Personen aus dem Gebiet Mavinge untersucht: Bei den Patienten Nr.5 und Nr.8 ergab sich eine deutlich herabgesetzte Aktivität an Acetylcholinesterase im Blutplasma, woraus wie bei dem ersten Report auf die Verwendung von Soman, Sarin oder des Nervengases Tabun geschlossen werden kann.

Auch in den Fällen der anderen sechs untersuchten Personen, die mysteriöse Erkrankungen der Lunge, der Bronchien, der Haut und des Magen-Darm-Traktes aufwiesen, war der dringende Verdacht eines Kampfgasangriffes gegeben. Die Betroffenen berichteten in mehreren Untersuchungsgesprächen von explosionsschwachen Granaten und Bomben, die jeweils eine leicht rötliche oder gelbliche Wolke rasch verbreitet hätten, deren Geruch an Pestizide und Chemie erinnert habe.

Dritter Report

(Juni 1988) Im Rahmen dieser analytischen Untersuchung ging es erneut um Befunde in Blut und Urin sowie um die Laborbearbeitung von Steinen und Pflanzen aus der Gegend von Chilombo, Provinz Kuando Kubango.

Trotz des mehrmonatigen Zeitraumes zwischen dem Ereignis und der Untersuchung in Gent waren die Ergebnisse teilweise hochsignifikant. Sogar mit einer Neuerung: Die Gesteinsbrocken enthielten deutliche chemische Spuren von „Yperit“ (Senfgas), in etwas schwächerem Maße waren die Senfgasreste in den Pflanzen konstatierbar. Beide Objekte, Pflanzen wie Steine, reagierten positiv auf die Analysen zur Bestimmung von Nervengasen (Sarin, Tabun, Soman oder Derivate). Die gleichzeitige Untersuchung von Patientenblut ergab unzweifelhaft das Ergebnis für die Benutzung von Senfgas.

Vierter Report

(März 1989) In dem Gebiet von Jamba untersuchte das Team nach eigener Auswahl nunmehr 18 Patienten. Fast alle Personen waren Zeugen von Bombenwürfen der kubanischen Armee geworden. Ohne unmittelbar von der Sprengwirkung oder durch Splitter erreicht worden zu sein, zeigten die Betroffenen eine Vielzahl von schwer erklärbaren Symptomen. Das Team kam nach einer aufwendigen wissenschaftlichen Untersuchung zu dem Schluß, daß die hier angewendeten sowjetischen Kampfgase sich durch ihre offenbar intendierte Langzeitwirkung von denen unterscheiden, die im Krieg Irak-Iran zum Einsatz kamen. Die Genter Toxikologen verweisen auf die eventuelle Gefahr eines „genetischen Problems“: behindert geborene Kinder intoxikierter Personen.

(Der fünfte Report enthält fachmedizinische Analysen.)

Sechster Report

(Mai 1989) Diesmal wurden unmittelbar nach einer Bombenexplosion in der Provinz Kuando Kubango Analyseobjekte gesammelt und ohne zeitlichen Verzug untersucht: ein Bombenfragment, Staub aus einem Explosionskrater, Sand aus der Einschlagsgegend sowie Innenteile der Bombe.

Das Ergebnis: Die sowjetische Binärbombe enthielt in allen Teilen hochtoxische Cyanidspuren, deren Blausäuregehalt für Menschen sofort tödlich sein kann.

Die Gutachter wiesen erneut darauf hin, daß die Kommandos der Unita als Anwender dieser elaborierten Chemiebomben auf keinen Fall zu verdächtigen sind, zu deren Konfektionierung und Benutzung per Lufteinsatz sie nicht imstande seien. Auch stehe fest, daß die Unita-Einheiten über keine geeigneten Gasmasken, Schutzkleidung oder Medikamente verfügen, um (eigene) Betroffene zu behandeln oder dekontaminieren zu können. Das aber ist in Anbetracht der unspezifischen Verbreitung und Wirkung von Giftgas die zwingende Voraussetzung für einen militärischen Anwender. Auch die Armee Südafrikas, die über dieses Know-how nicht verfügt, kam als möglicher Verursacher nicht in Frage, da die diesmal untersuchten Gebiete zu keiner Zeit von ihnen aus der Luft angegriffen wurden.

Das Genter Team stellt die beweiskräftigen Fragmente der Gasbombe jederzeit zur weiteren Begutachtung zur Verfügung.

Der Bericht fügt hinzu, daß mehrere Personen voneinander unabhängig erwähnen, daß am 21.April 1989 sowjetische Jagdbomber vom Typ MiG 23 in den Gebieten Moxito, Chiunto und Umpola insgesamt vier chemische Bomben zündeten, die viele Menschen, darunter vier Kinder, töteten.

Siebter Report

(Ende Mai 1989) Ende Mai 1989 fuhren die Genter Toxikologen wiederum nach Angola, um dort erneut 22 betroffene Menschen zu untersuchen.

Alle Patienten demonstrierten eine Summe verschiedener Symptome, die durchweg auf toxische Beeinflussung zurückzuführen waren.

Es stellte sich jedoch heraus, daß die bisherigen Kampfgasstoffe (wahrscheinlich auf Cyanidbasis) erheblich modifiziert worden waren, weswegen die toxikologischen Effekte nur schwer den angewandten Gasen zuzuordnen waren. Bei allen Betroffenen war ersichtlich, daß keinerlei äußerliche Verletzung vorlag. Diesmal allerdings waren nur solche Zeugen des Bombenabwurfs intoxikiert, die sich sehr nahe am Aufschlagort befunden hatten, alle etwas weiter entfernten blieben unversehrt.

Daraus resultiert die Vermutung, daß die Sowjetunion den angolanischen Krieg als Testfeld im Sinne eines Humanexperiments benutzt hat, um mit klassischen Analysemitteln nur schwer bestimmbare Derivate einzusetzen, die außerdem spezifische Wirkung innerhalb einer abgrenzbaren geographischen Lokalität haben sollten. Die Symptomlage war jedenfalls unvergleichlich anders als bei den Opfern von Halabja im irakischen Kurdistan. Da viele Frauen und Kinder betroffen wurden, empfahl das Team unbedingt weitere Langzeituntersuchungen, um auch genetische Folgen zu testen.

Achter Report

(Juni 1989) Das Testfeld Angola scheint für die sowjetische Kriegswissenschaft derart bedeutsam zu sein, daß die chemischen Attacken ungeachtet der Verhandlungen zwischen den kämpfenden Parteien fortgestzt werden. Erneut gesammelte Laborproben (Steine, Pflanzen, Fragmente) wurden nach 15 neuen Bombenzündungen gesammelt und begutachtet.

Wiederum wurden Blut- und Urinproben von Patienten entnommen sowie Proben aus Gewässern, in denen alles biologische Leben verendet war. Auch dieses Untersuchungsergebnis, das eine erhebliche Zahl von Bomben einschloß, bestätigte alle vorherigen Erkenntnisse: Sämtliche Laborobjekte enthielten in hohen Dosen den tödlichen Blausäurekomplex.