Mittelmeerurlaub für DDR-Bürger

■ Albanien soll neuer Urlaubstraum werden / Rotes Kreuz ermöglicht Flüchtlingen Ausreise aus Ungarn

Ost- & West-Berlin (afp/taz) - In der nächsten Urlaubssaison können DDR-Bürger vielleicht auch am Mittelmeer Ferien machen. Zwar nicht an der italienischen Riviera, dafür aber an der Küste Albaniens. Aus gewöhnlich gutinformierten Kreisen in Ost-Berlin verlautete, seitens der DDR seien Verhandlungen mit Albanien über ein Touristenprogramm aufgenommen worden. Noch müsse allerdings der Tourismus begrenzt werden, da die Flugkapazitäten zwischen Ost-Berlin und Tirana nicht ausreichen. Angeblich sei Albanien als Alternative für das „offene“ Ungarn auserkoren worden. Zur Verbesserung der unterentwickelten Infrastruktur Albaniens, hätte die DDR Tirana „bestimmte Finanzmittel“ angeboten. Seit einiger Zeit schon bemüht sich die DDR um eine Intensivierung der bilateralen Kontakte.

Einen Bericht des Springer-Blatts 'Die Welt‘, wonach die DDR ab 1.September Ungarn als westliches Ausland bei der Bewilligung von Reiseanträgen behandeln werde, trat das DDR -Außenministerium mit der Erklärung entgegen: „Das entbehrt jeglicher Grundlage und ist von A bis Z erfunden.“ Die bisherige Praxis bleibe unverändert bestehen. Berichten des Blatts zufolge sollen auch die Fluchtmöglichkeiten von DDR -Bürgern aus Rumänien und Bulgarien nach Ungarn Gegenstand der Beratungen einer SED-Politbürositzung gewesen sein.

Die DDR-Flüchtlinge in der Bonner Botschaft in Budapest haben gestern mit Hilfe des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) Ungarn verlassen. Mit Ausweispapieren des IKRK - sogenannten Laisser-passer - wurden die etwa 100 DDR-Bürger über den Budapester Flughafen nach Wien ausgeflogen. Dort warteten Busse auf sie, die sie ins Nürnberger Durchgangslager für Aussiedler brachten.

Im Auswärtigen Amt wird die überraschende Lösung für die Budapester Botschaftsflüchtlinge als Erfolg des Bonner Staatssekretärs Jürgen Sudhoff gewertet. Auf Weisung von Außenminister Genscher war er in den letzten zwei Wochen mehrfach in die ungarische Hauptstadt gereist. Er soll die Aktion mit dem ungarischen Außenminister Fortsetzung auf Seite 2

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Gyula Horn vorbereitet haben. Das Rote Kreuz und der österreichische Außenminister Alois Mock sollen Mitte Ausgust von den Plänen verständigt worden sein. Die Ausreise der Flüchtlinge wurde auch vom ungarischen Roten Kreuz mit „technischer Hilfe“ unterstützt. Dessen stellvertretender Generalsekretär Arpad Alsöldy erklärte, die Aktion habe „strengster Geheimhaltung bedurft“, um mögliche künftige Ver

handlungen nicht zu gefährden.

Die Zahl der Ausgeflogenen wird unterschiedlich angegeben: Die bayerischen Behörden sprachen von 108, die ungarische Nachrichtenagentur 'mti‘ nannte 101 und 'ap‘ meldete 104 ausgereiste DDR-Bürger. Die übrigen Flüchtlinge hatten die Bonner Vertretung in den Tagen zuvor verlassen. Sie wollten versuchen, über die grüne Grenze nach Österreich zu gelangen. Die Budapester Botschaft bleibt für den Publikumsverkehr vorerst aber weiter gesperrt. Angeblich soll mit der Öffnung solange gewartet werden, bis

sich das weitere Vorgehen der DDR in der Flüchtlingsproblematik abzeichnet.

Das Auswärtige Amt wies gestern wiederholt darauf hin, daß es sich um „eine ganz einmalige Maßnahme“ handelt. Die ungarischen Behörden hätten der Ausreise aus humanitären Erwägungen zugestimmt, weil unter den DDR-Bürgern 30 bis 40 Kleinkinder gewesen wären. Der „Akt der Menschlichkeit“ (Staatssekretär Horst Waffenschmidt) dürfe keinesfalls als „Präzedenzfall“ verstanden werden, hieß es gestern auch in der Bonner

Kabinettsrunde. Daß es für die DDR-Bürger in der Botschaft in Prag oder in der ständigen Vetretung in Ost-Berlin eine ähnliche Lösung geben könne, wurde gestern im Auswärtigen Amt ausgeschlossen.

Die massenhafte Flucht von DDR-Bürgern über die ungarisch -österreichische Grenze geht unterdessen weiter. In der Nacht zum Donnerstag gelangten nach Angaben der Wiener Nachrichtenagentur 'apa‘ weitere 250 DDR-Müde nach Österreich. Nach 'apa‘ soll die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt möglicherweise erst noch erreichen.