BEINE IN GELEE

■ Die Amsterdam-Berlin-Connection in der Tanzfabrik

„I could see myself still doing this piece even when I am seventy-five“, kommentiert Frans Poelstra aus Amsterdam seine Performance „Loud Wolf“, die - neben Choreographien von Post & Post und dem Tanztheater Rubato - am Donnerstag und Freitag in der Reihe „Tanz im August“ in der Tanzfabrik zu sehen war. Und dies ist ausnahmsweise einmal ein tröstliches Versprechen für die Zukunft. Die Vorstellung, irgendwo in 40 Jahren eine Treppe hochzusteigen, vielleicht zur Performance-Ebene der grauen Panther, um diesem genialen Nichts-Tuer zu begegnen, verheißt die Rettung eines winziges Stückchens Humanität und kitzliger Wellen in der Bauchgrube.

Standbein, Spielbein: nicht nur die ganze abendländische Ästhetisierung des Körpers hängt daran, sondern auch jene Lässigkeit, die den Star auf der Bühne auszeichnet. Frans Poelstra beraubt sich dieser kleinen, aber doch entscheidenden menschlichen Bewegungsfreiheit, den einen Fuß zehn Zentimeter vor den anderen zu rücken und wie John Wayne in der Hüfte abzuknicken, festgebunden in zwei Stiefeln auf einem Denkmalsockel. Doch der Mann ohne Pose ist zutiefst sympathisch und einem in all seinen Verlegenheiten sehr vertraut, wenn er da auf seinem Sockel schwankt, mit roten Papierchen in steigender Dramatik das Spiel von Wind und Wellen nachahmt und die ganze Naturlyrik des Tanzes neu erfindet.

Gegen seine Standfestigkeit wirkt der Bewegungsaufwand des Duos Post & Post aus Amsterdam wie witzlose Energieverschwendung. Entfaltung im Raum scheinen sie mit einer möglichst flächendeckenden Ausbreitung der Tanzschritte zu verwechseln und sich selbst für Ginger Rogers und Fred Astaire zu halten. Vor zwei Jahren hätten die beiden in der Kaffeebranche reüssieren können, die für leicht lösliche und geschmacksneutrale Choreograhien eine besondere Verwendung hatte. Koffein-Schock im Blut, geballte Energie im Kinn, Herausforderung im Blick und Entschlossenheit in den Ellenbogen, so durchstürmen sie, geschwind, geschwind, Festivals und choreographische Wettbewerbe.

Dagegen zeugt das Berliner Tanztheater Rubato von der Entdeckung der Langsamkeit. Als wäre der Bühnenraum ein Gelee, in das man sich langsam hineinarbeiten muß. Vogelig, verdreckt, verschlafen nehmen sie das Wagnis der Bewegung auf sich. Notfalls ziehen sie sich in dei Tiefen ihrer schlotternden, schwarzen Anzüge zurück. Denken verschreckt, sie wären schon tot und erwecken sich schluchzend wieder zum Lachen. Schaffen sich aus dem dunklen Wald langsam in das sonnige Kornfeld voran, krächzen beglückt wie die Raben. Mit diesem geheimnisvollen Ausschnitt aus „RabenGoldGoldRaben“ gab das Tanztheater Rubato einen erdigen Vorgeschmack auf seine Premiere im September.

Katrin Bettina Müller

Heute geht der „Tanz im August“ im Hebbeltheater mit „Nouvelles“ von Mark Tompkins weiter, und morgen tanzen in der Tanzfabrik Luisa Casiraghi und Avi Kaiser.