WIR GEHEN AUF DEN KÖPFEN

■ Dokumentation: Großstadtarchitektur in der Sommerakademie 1987

Schon der äußere Rahmen war Stimmungsarchitektur: Peter Behrens‘ 1910 erbaute AEG-Kleinmotorenfabrik in Berlin -Wedding hielt als Bühnenbild her. Die Architekten Hans Kollhoff und Fritz Neumeyer führten Regie beim Stück „Schichtwechsel“. Julius Posener und mit ihm weitere Giganten der Bau- und Kunstkritik beschwörten den Geist der Moderne gegen den baulichen Eklektizismus. Dann wurde, von links nach rechts, eine Horde ArchitekturstudentInnen wie tollwütige Kettenhunde losgelassen und mit Griffel und Lineal auf den postmodernen Popanz gehetzt. Jetzt werden wieder Stempeluhren der klassischen Moderne gedrückt.

So ähnlich muß es gewesen sein, liest man die eben erschienene Dokumentation „Großstadtarchitektur Cityachse Bundesallee. Sommerakademie für Architektur in Berlin 1987“. Sechs Wochen hatten sich damals elf Architekten mit rund 90 StudentInnen in Behrens‘ Kathedrale der Arbeit eingenistet, „die in sich schon ein architektonisches Programm verkörpert, dem man sich verpflichtet fühlen mußte“, hatten in der „Akropolis des Industriezeitalters“ durch Vorträge den Atem „archaischer Zeit“ inhaliert und sollten diesen im gruppentherapeutischen Entwerfen wieder aushauchen, „neu komponiert“ versteht sich. Thema war, der Bundesallee zwischen Volkspark und Spichernplatz, die „Leere“ und die „Zäsuren“ zu nehmen und der Autorennbahn ohne Identität „Perspektiven für einen charaktervollen Lebensraum“ innerhalb eines großstädtischen Gesamtbildes zu verpassen. Wahrlich kein geringer Anspruch. Daß mit der räumlichen Fixierung zugleich auch theoretisch heftige Attacken gegen den damaligen IBA-Boom geritten wurden, versteht sich von selbst. Und daß das Gespenst des Dekonstruktivismus in der Architektur gerade Formen annahm, machte einige StudentInnen umso wilder, wie die Entwürfe zeigen.

Überblättert man die ersten Seiten und mithin die kunstvollen Beschwörungsformeln, dann tut sich ein schön bebildertes, zweiteiliges Buch auf, das haarsträubend und spannend zugleich ist: Anfang und Ende haben kaum etwas miteinander zu tun. Das Buch dokumentiert, daß die planerische Obsession der Theorie längst enteilt scheint, in indifferente Richtung, ohne Halt. Die ästhetische Dimension der Moderne hat die soziale neutralisiert. Spannend ist das Buch deshalb, weil die Vorträge im ersten Kapitel, nach einer geschichtlichen Annäherung an die Bundesallee, Spezifika städtischer Planung ausloten, räumlichen Stimmungen in der Architektur der Moderne nachgehen und den Mythos postmodernen Bauens eiskalt und witzig skalpieren.

Also wird mit der Kette der Moderne gerasselt: Berlin, so kommentiert Julius Posener, ist die Stadt der Fragmente, des Strandgutes, der Uneinheitlichkeit. Endgültigkeiten fehlen, alle sind sich fremd, kommen aus Polen oder Schwaben, heute genauso wie im 18. und 19.Jahrhundert: Stadtplanung hat die chaotische Topographie immer erst im Nachhinein gerastert, weil das Leben zu schnell war. Partielle „Ordnungsgeber“ sind tote Figuren geblieben, ohne Ziel, weil sie gegen die Bedürfnisse der BewohnerInnen und für die Spekulation geplant waren: Schinkels, Lennes und Carstenns Ideen werden von der Mobilität überrollt, scheitern. Die Stadt wird splittig, diffus, ohne Zentrum. Dazwischen spielen Künstlichkeiten nur eine repräsentative und untergeordnete Rolle: Quarres, Oktogone, Rondells, „Stadtbilder“, die so falsch sind wie unbrauchbar, machen heimatlos. Selbst die Großsiedlungen der klassischen Moderne verschwimmen zu graphischen Strukturen, wenn auch ganz sachlich. Nur der Kiez bietet Halt im städtischen Fragment.

„Überall ist man da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft, überall, wo man sich ganz sicher fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges“, mahnte schon Friedrich Schinkel seine Kollegen, die im Beharren ihr Heil suchten. Diesen Fehdehandschuh greift Tilmann Buddensieg auf: Widersprüchliches, den Streit baulicher Gegensätze, eine regelrechte Unordnung, nicht die Anpassung an scheinbar Identisches, ist angesagt - die Stadt als Dimension des Entgegengesetzten. Zwischen Bombenlücken sieht er gerade diese Tradition urbaner Architektur in Berlin beständig: Kein biederes Miteinander, sondern den „eigentlichen Charakter“ jedes Hauses, jeder Kirche hatte Schinkel gefordert und lieber den Konflikt baulicher Ordnung mit städtischer Planung riskiert, als sich mit Uniformität begnügt. Das Individuelle bei Schinkel taucht modern in Mies van der Rohes Vision gläserner Türme wieder auf, im Viertel, im lokalen Zentrum, am Platz. Diese verändern den städtischen Raum, indem sie in ihn eingreifen, frei und ohne faßbar zu sein, durchsichtig und nur für den Augenblick. Das Leben als Fragment.

Solcherlei ästhetischen Sensationen, den Idealen aus schierer Geometrie, industrieller Maschinenstürmerei und visionärer Planung, die allesamt in den Wohncontainern der Satellitenstädte endeten, hält Fritz Neumeyer einen eher tastenden Umgang mit den Motiven aus der Moderne entgegen. Vorsicht bei Solitären aus Glas und Stahl, mit Lichtgassen aus blendender Optik und metallischem Glanz von einst, denn sie sind nicht nur Zeichen kultureller Dynamik, des sozialen Wandels und der städtischen Mobilität, sondern werden zu Chifren des Grauens, der Furcht, der Obsession! Dennoch, entkleidet man die Moderne von den baulichen Verwüstungen gemeiner Idolatrie und entdeckt im Licht den Reiz nackter Kuben und ihre „erschreckende Schönheit“, werden „ästhetische Vision und praktische Funktion“ vielleicht wieder aktuell. Der Geist als Fragment.

Geht gar nichts mehr, sind Mythos und Fragment, Neohistorismus und Modernerezeption nur Teile der gleichen Erinnerungsformel, und ist der „Auflösungsprozeß unserer kulturellen, kollektiv-geschichtlichen Identität“ (Lachmayer) nicht mehr zu bremsen, hilft nur „sich totlachen“ (Zaunschirm) und das völlige Abstreifen architektonischer Regeln. Gebaut wird dann nach den Versen Karl Kraus‘: „Und das Chaos sei willkommen, denn die Ordnung hat versagt.“

Daß die mahnenden Worte, nämlich die städtische Physiognomie nicht wieder als „Bild“ und als „Komposition“ auferstehen zu lassen, sondern die Form proportional zun ihrem Gebrauchswert zu suchen, von den TeilnehmerInnen nicht gehört wurden, zeigen die Entwürfe im zweiten Kapitel: Da tut sich eine Revue sinnstiftender Gesamtkunstwerke auf, glatte wie expressionistische Symbole großstädtischen Bauens werden zitiert und selbst dekontruktivistische Versuche enden damit, daß die Bundesallee wieder in einen feudalen, beziehungsweise bürgerlichen Stadtraum gezwungen wird. So wird die Achse zur Hochhausallee mit einem multikulturellen Zentrum als Kopf am Spichernplatz (Gruppe Podrecca) oder durchgängigem Finanzgeschäftsband für ein ökonomisches Rückgrat der City (Gruppe Zillich) zum Fragmentendschungel aus steilen Zylindern und High-Tech-Bauten (Gruppe Yamamoto), schiffsförmigen Bauten (Gruppe Maeto) und riesigen Bürotürmen (Gruppe Kollhoff), die allesamt ins Kraut schießen. Nicht neue Stadt, sondern Magistrale und metropolitane Verkehrsachse, bauliche Ordnung und städtische Turbulenz (ein Bild der 20er Jahre) werden zu immerwährenden kosmologischen Chiffren, die das Muster nicht auflösen, angreifen, neu definieren, sondern festigen. Inszeniert wird eine neue Sachlichkeit, die oft den Anspruch neuer Rezeption verfehlt. Daß mehr denn je eher ein Bühnenbild als eine lebendige Stadt gemeint war, zeigt auch die deprimierende Zusammenfassung von Christoph Langhof: „Abgesehen von einem gewissen artistischen Vergnügen bleibt die Frage nach dem Ziel, insbesondere, wenn man bedenkt, daß die Wahrnehmung der sogenannten Realität eine Inszenierung des Gehirns zu sein scheint.“ Ein interessantes Buch. Wann inszeniert die Realität wieder das Gehirn?

rola

Hans Kollhoff, Fritz Neumeyer (Hrsg.): Großstadtarchitektur. Cityachse Bundesallee, Sommerakademie für Architektur in Berlin 1987. Berlin, 1989. 48Mark.