"Stures Bettenzählen" reicht nicht

■ Im Senatspapier zur Krankenhausversorgung keine Rede von Vor- und Nachsorge oder dezentraler medizinischer Versorgung/Auch ÖTV wehrt sich gegen Bettenabbau...

„Wir werden es überprüfen“ - das ist zur Zeit die Standardformel aus dem Hause der Senatsgesundheitsverwaltung. Ein Beschwörungsruf, der an alle politischen Lager gerichtet ist: An die Alternative Liste, die den Senat wiederholt dazu aufgefordert hat, den weiteren Vollzug des Krankenhausplans '86 anzuhalten. Aber auch an die CDU, die den umstrittenen Plan unter Gesundheitssenator Ulf Fink zusammenbastelte und jetzt die „stationäre Krankenversorgung durch Planungsunsicherheit gefährdet sieht“. Deshalb beriefen die Christdemokraten, trotz Sommerpause, Ende Juli sogar eine Sondersitzung des Ausschusses für Gesundheit und Soziales ein. Der Aufhänger: ein über 90 Seiten umfassendes Senatspapier - die „Rahmendaten zur Fortschreibung des Krankenhausplans“. Demnach will die Gesundheitsverwaltung in punkto Bettenabbau nicht nur an der alten Krankenhausplanung festhalten, sondern neben den 2.477 vorgesehenen noch weitere 1.200 Betten bis zum Jahre 1996 abbauen. Weder ambulante Einrichtungen noch niedergelassene Ärzte haben dieses Papier bislang - offiziell - zu Gesicht bekommen. Dabei müßten gerade sie den geplanten Bettenabbau auffangen - denn sonst entsteht der sogenannte „Drehtüreffekt“: „Die Leute werden viel zu schnell entlassen, können ambulant nicht ausreichend versorgt werden und landen, wesentlich kränker, nach kurzer Zeit erneut im Krankenhaus“, erklärt Anette Schwarzenau, Al -Gesundheitsstadträtin in Charlottenburg.

Doch von Vor- und Nachsorge, von zwischengeschalteten Rehabilitationsabteilungen, kieznaher und dezentraler medizinischer Versorgung oder Altentagesstätten ist in dem Senatspapier keine Rede. Da wird nur von „notwendigen Veränderungen“ gesprochen, ohne selbige näher zu erläutern.

Folgerichtig befürchtet die gesundheitspolitische Sprecherin der AL, Gisela Wirths, lediglich „kosmetische Korrekturen“. Diese dürften dem laut Koalitionsvereinbarungen gesteckten Ziel eines „abgestuften Versorgungssystems“ kaum gerecht werden. Erneut werden die Krankenhäuser losgelöst vom restlichen Gesundheitswesen betrachtet - eine Vorgehensweise, die bereits beim Krankenhausplan '86 heftige Kritik ausgelöst hatte.

Bemängelt wird außerdem, daß die Senatsverwaltung nur die Chefärzte der einzelnen Abteilungen zu einer Stellungnahme aufgefordert hatte. „Dies könne wohl nicht der richtige Weg zu mehr Beteiligung sachverständiger Betroffener sein“, kritisierte Wirths in einem Brief an Gesundheitssenatorin Stahmer. Schließlich hat sich die Senatorin selbst die Demokratisierung im Gesundheitswesen auf die Fahnen geschrieben: die Bevölkerung solle beteiligt werden, die Pflegekräfte , die ambulanten Dienste...

Die Christdemokraten wittern jetzt ihre Chance und stoßen ins gleiche Horn: Die Beurteilung von Sachverhalten wechsele nach dem Kreis der Zuhörer und überhaupt fehle es dem Senat an der Verantwortungsbereitschaft, „verbindliche Entscheidungen zu treffen“.

Die derzetige Gesundheitspolitik des Senats scheint den Konservativen - erstmals - rechtzugeben. Mit „Sachzwängen“ argumentierte der rot-grüne Senat, als es galt, die Verlagerung des Universitätsklinikums Rudolf-Virchow (UKRV) zu begründen: Die Rücknahme hätte einene Bundeszuschuß von 425 Millionen Mark gefährdet. Außerdem habe der alte Senat 135 Millionen Mark bereits in dieses Projekt investiert mit anderen Worten: vollendete Tatsachen geschaffen. Ein Schuh, der zwar sicher paßt, durch den ständigen Gebrauch aber langsam marode wird (von der spd schon mal je etwas anderes gehört, als maul-auf-reißen und schließlich dann doch kuschen? sezza).

Letztendlich können die Christdemokraten posthum einen Erfolg verbuchen: Das Herzstück des Krankenhausplans '86 so umstritten es auch war - wird realisiert. Ganz offiziell ist die Bahn frei für das UKRV, das Zentrum der Hochleistungsmedizin. Der rot-grüne Senat schaut betroffen hinterher - und verteilt Beruhigungspillen: Immerhin konnten durch die Verlagerung 1.000 Betten im Bereich der Hochleistungsmedizin gestrichen werden - und die sind bekanntlich besonders teuer. Beim Thema „Bettenabbau“ aber regt sich der außerparlamentarische Widerstand: Die Gewerkschaft ÖTV, die die Arbeitsplätze schwinden sieht, will vom Senat erst einmal eine umfassende Gesundheitsbedarfsplanung. Dazu gehören nach Meinung von Gewerkschafter Günter Janz Gesundheitsstatistiken und eine genaue Aufschlüsselung der Bevölkerungsstruktur, um schlechter versorgte Bezirke anzugleichen. „Alles andere ist stures Bettenzählen.“

Inwieweit die Gesundheitsverwaltung all diese Forderungen mit einbezieht, wird sich Mitte 1990 zeigen: Dann soll der „überarbeitete“ Krankenhausplan der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Bis dahin bleibt die stereotype Antwort der Staatssekretärin Ursula Kleinert: „Wir werden die Angelegenheit überprüfen.“

Martina Habersetzer