BUFFETOGASTRITIS

■ Neues aus der italienischen Küche

Im Kreiskrankenhaus von Salerno hält man die Sache für die „ernsteste Seuche seit der Sache mit methylalkoholvergiftetem Wein„; in Bari kommen die Ärzte „schon gar nicht mehr mit dem Zählen der Einsätze für die Krankenkassen“ nach; die Notärzte im internationalen VIP -Badeort San Felice Circeo sprechen von einer „regelrechten Explosion der Fälle“: Eine unheimliche Krankheit befällt diesen Sommer speziell ausländische Touristen mit besonderer Heftigkeit und äußert sich in kräftigem Übelsein, nachfolgendem Bauchschmerz, Völlegefühl und anhaltendem Erbrechen. Versuche, das Krankheitsbild auf irgendwelche vergifteten Muscheln, mit Pestiziden überladene Fische, penicillingefüllte Kälber oder überdüngte Tomaten zurückzuführen, scheitern an der Tatsache, daß der „Morbus 89“ faktisch allüberall auftritt, bei Alpenurlaubern in den Dolomiten genauso wie bei den Badegästen an der adriatischen Algenküste, bei Vulkanfans auf Stromboli ebenso wie bei den Heilbadbesuchern in Abano.

Italiens Gesundheitsministerium, in solchen Fällen auf blitzschnelle Dementis gedrillt, ließ dumpfe Verdächte streuen, die Urlauber hätten ihre Krankheit „allenfalls selbst eingeschleppt„; im Tourismusministerium kolportierte man düster etwas von „Machenschaften der spanischen Konkurrenz“.

Pustekuchen: Weder Viren noch vergiftetes Öl, keine auswärtigen Neider und noch nicht einmal das Ozonloch, das zur Internationalisierung der Fälle sonst immer herhalten muß, sind nach den nun gesicherten Erkenntnissen des Krankenkassenverbands schuld an Erbrechen und Durchfall. Ursache für die Gastritiswelle ist vielmehr eine Neuerung der italienischen Gastronomie, deren Auswirkungen den touristischen Körper in helle Aufregung versetzen: das Selbstbedienungsbuffet, das nun nicht mehr nur wie ehedem zum Frühstück aufgebaut, sondern sozusagen gesamturlaubsdeckend auch mittags und abends zur Verfügung steht.

Auf den Dreh gekommen waren die Gastronomen durch die Musterrechnung ihres Verbands, der „die Einsparung von etwa 25 Prozent Personal in der Küche und 30 Prozent in den Servierräumen“ festgestellt hat, wenn statt des sonst bei Vollpension angebotenen Menüs die Theke mit ein oder zwei Dutzend verschiedenen Gerichten vollgestellt und die Bedienung auf die Auswahl des Weines oder Sonderwünsche beschränkt wird.

Die Zauberformel wirkte: Gut 40 Prozent der Mittelklasseherbergen bieten mittlerweile Selfservice mittags und abends an; manche pur, also ohne Menüalternative, wobei die Kellner nur noch zu einer Art Verkehrsregelung am Buffet, zur Information über Ingredienzen und zur Überwachung des Abräumdienstes antreten; manche auch in einer Art Mischform, wo der Gast wählen kann zwischen dem vom Küchenchef zusammengestellten Menü und den „Soprese del Buffet“, den Überraschungen an der Theke. „Wobei die Selbstbediener mit einer satten Zweidrittelmehrheit gewinnen“, sagt Pasquale Ridolfi, Chefkoch im 'Le Palme‘ zu Paestum, der sein liebevoll komponiertes Menü von immer mehr Gästen verschmäht sieht. „Und dabei ist die Zusammenstellung einer korrekten Speisefolge nicht nur eine hohe gastronomische Kunst, sondern auch ein gutes Stück Gesundheitspflege.“

Da stimmen ihm die Ärzte zu. „Was die Leute vom Selbstbedienungsbuffet alles in sich hineinschütten, nur weil man sich nehmen kann, was und wieviel man will“, schimpft Doktor Aleardo Zoina aus Latina, „das hält der erprobteste Fernfahrermagen nicht aus; manche stopfen sich regelrecht voll mit genau den Speisen, die sie zu Hause wahrscheinlich aus Rücksicht auf die Linie nicht einmal anfassen würden. Da hauen sie auf fett herausgebratene Auberginen noch in Butter geschwenkte Zucchini, in Öl eingelegte Paprikaschoten, drei kalte Schweineschnitzel, zwei Dutzend Muscheln, ein halbes Huhn, Nudeln, Reis, Tintenfische und danach, natürlich, noch zwei Portionen Tiramisu und ein Kilo Pfirsiche. Und dann hoffen sie, daß alles mit einem Ramazzotti oder einem Fernet Branca schnell und gut verdaut wird.“

Dabei war Italiens Küche bis zum Ausbruch der Selbstbedienitis gerade unter Medizinern besonders hoch angesehen wegen ihrer kunstvollen Kombination einander in ihrer Wirkung kompensierender Speisefolgen - die man allerdings genau einhalten mußte, wenn man ihre segensreichen Folgen spüren wollte. „Da gehört zuallererst einmal ein Aperitif in den noch leeren Magen“, erklärt Flavio von der 'Taverna del Porto‘ in Terracina, „und zwar einer, der den Magen weder mit Süße überfällt noch ihn mit Bitterkeit schüttelt; damit sollen nämlich die Magennerven sozusagen aufgeweckt, schonend aktiviert werden, eine Art 'Achtung, gleich gibt's Arbeit‘. Dann der Antipasto, die Vorspeise - keineswegs eine kassenfüllende Erfindung der Restaurants, sondern eine Art Vorspiel, um die Magenwände mit einer dünnen schützenden Fettschicht auszukleiden; daher die Tendenz, hierbei Salami, Schinken oder auch in hochwertigem Fett geschwenkte Gemüse zu reichen. Auf keinen Fall darf man natürlich zuviel davon nehmen, auch wenn das mittlerweile schon obligate Buffet dutzenderlei Dinge anbietet. Wichtig auch die Auswahl der Getränke: Die meisten italienischen Speisen, die fettige Schnellimbiß-Pizza mal ausgenommen, sind auf Wein abgestimmt, nicht auf Bier; und auch beim Wein würde ich selbst im billigsten Lokal der Wirtsempfehlung folgen, der kennt ja die Zusammensetzung seiner Speisen und was man dazu am besten nimmt.“

Der erste Gang, Nudeln oder Reis oder eine leichte Suppe, soll nun den Magen anwärmen, ihn langsam auf Touren bringen für den Hauptgang - auf den ja schließlich alles abgestimmt sein sollte. „Doch leider“, sagt Flavio, „läuft die Sache meist umgekehrt: Man wählt nicht zuerst den Hauptgang und bestimmt von daher die Vorspeisen, sondern frißt sich auf der Speisekarte von oben nach unten durch, nach dem Motto: Mal sehen, was noch reinpaßt.“

Auch das Ende der Speisenfolge hat es in sich: „Natürlich schmeckt der große Eisbecher, den der Kellner zum Nachbartisch trägt, hervorragend. Nur: wenn man vorher schon viel Zuckerhaltiges aufgenommen hat, etwa im Wein oder in süßsauren Soßen oder über Gemüse, so ist Eis so ziemlich das letzte, was sich der Magen nun wünscht - lieber Käse, möglichst einen herben, und danach einen leichten Verdauungsschnaps.“ Wobei man auch hier der Kellnerempfehlung folgen und beispielsweise einen lokal gebrauten Likör nehmen sollte; das Vorurteil, nur der Magennervtöter Fernet Branca garantiere gute Verdauung, sollte man getrost abbauen.

Fraglich, wie lange die Menü-Felsen der Selfservice -Brandung noch widerstehen können - allzu einladend wirkt die Aussicht auf viele Touristen, einmal so richtig ohne Zusatzkosten völlen zu können. Den meisten Gastwirten ist, anders als früher, das Wohl der Kunden sowieso schon recht gleichgültig geworden, Hauptsache, die Sache rechnet sich. Und das tut sie, hat der Gastronomieverband herausgefunden, selbst dann noch, wenn alle dreimal nachnehmen.

Zumal so mancher Koch die trotz aller Freßanstrengungen übriggebliebenen Reste vom Mittag geschickt wieder in die Fuhre für den Abend mischt oder in anderem Gewande neu präsentiert, etwa als „russischen Salat“ mit viel Mayonnaise. Die vom taz-Korrespondenten in einem Florentiner Hotel unter den Reissalat geschmuggelte Visitenkarte erregte jedenfalls erst vier Mahlzeiten später den Unwillen eines Gastes - der sie aus dem inzwischen zum „überbackenen Risotto Toscana“ avancierten Gericht zog.

Werner Raith