Ein Jahr Katastrophe in Ramstein

■ Die Opfer der Flugschau kämpfen immer noch um ihre Entschädigungen / Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Beim Trauergottesdienst in Ramstein wurde den Hinterbliebenen eine großzügige „unbürokratische Hilfe“ versprochen. Ein Jahr später wartet über die Hälfte der Antragsteller noch immer. Die Opfer der wahnwitzigen Flugschau haben eine Bügerinitiative „Wider das Vergessen“ gegründet, und auf der Air-base herrscht „business as usual“. Auch die italienischen „frecce tricolore“ fliegen wieder. Pünktlich zum Jubiläum tritt die Staffel erstmals wieder im Ausland auf. Sie wiederholen am Sonntag in Charleroi bei Brüssel genau jene Flugfigur, die in Ramstein siebzig Menschen das Leben kostete.

Es liegt fast genau ein Jahr zurück: Am 28. August 1988 stürtzten in Ramstein drei italienische Kunstflieger vom Himmel. Die Maschinen der frecce tricolore verwandelten den Ramsteiner Flugtag 1988 in ein flammendes Inferno. Nach offiziellen Angaben kostete der Wahn der Kunstflieger 70 Menschen das Leben. Rund 30 Zuschauer starben am Tatort, die anderen erlagen qualvoll ihren Verletzungen im Krankenhaus Hunderte wurden für ihr Leben entstellt. Nach der Katastrophe ist das deutsch-amerikanische Freundschaftsfest, auf dem die Luftwaffenpiloten der Nato-Länder alljährlich ihr fliegerisches Können demonstrierten und ihre Maschinen zur Schau stellten, zum Symbol geworden. Im Angesicht der militärischen Kraftprotzerei dichtete der Pfälzer Barde Uli Ahnen: „Symbol of the stoneage.„

Ramstein ein Jahr danach: Die Verbrannten und die Toten sind längst zu Gegenständen bürokratischer Auseinandersetzungen zwischen Überlebenden und den Angehörigen der Verkohlten auf der einen Seite und dem Koblenzer Amt für Verteidigungslasten, dem Bundesinnenministerium und dem rheinland-pfälzischen Innenministerium auf der anderen Seite verkommen. Die vor Jahresfrist versprochene „unbürokratische Hilfe“, die der damaligen Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz und der rheinland-pfälzischen Innenminister Rudi Geil auf dem Trauergottesdienst für die Opfer der Katastrophe zugesagt hatten, entpuppte sich als „Beruhigungspille“ für die Trauernden und Leidenden.

Ganze Berge von Belegen mußte beispielsweise Edna Kreuzer dem Amt für Verteidigungslasten vorlegen, damit wenigstens die Beerdigungskosten für ihren in Ramstein getöteten Sohn Aloysius zum Teil erstattet wurden. Um ihren Anspruch auf Entschädigung durchzusetzen, sah sich Frau Kreuzer sogar gezwungen, Klage einzureichen.

Der Fall Kreuzer ist kein Einzelfall. Dem Vater der in Ramstein verbrannten Karin Schneider (22) wurden die Beerdigungskosten für seine Tochter auch nur zum Teil erstattet. Der Mann hatte in seiner Trauer nicht daran gedacht, sich sämtliche Ausgaben quittieren zu lassen. Andere Opfer und Angehörige machten ähnliche Erfahrungen mit der angekündigten unbürokratischen staatlichen Hilfe. Doch mit Geld - so die Betroffenen - könne das ganze Leid in den Familien ohnehin nicht aufgewogen werden. Aber auch die dringend notwendige psychologische Betreuung der Hinterbliebenen und der Entstellten findet unter staatlicher Regie nicht statt. In Eigeninitiative haben zwei Ärzte aus der Region inzwischen Gesprächskreise eingerichtet, an denen regelmäßig bis zu 50 Betroffene teilnehmen. Vielfach sind die Familienverhältnisse zerrüttet. Eltern kommen nicht darüber hinweg, daß ihre Kinder bei der Leichenübergabe nicht mehr zu erkennen waren. Ehefrauen und -männer reagieren manisch-depressiv auf den gewaltsamen Tod des Partners an jenem sonnigen Augustnachmittag in Ramstein.

Ramstein im August 1989: Waltraut Delarber von der örtlichen Friedensinitiative sieht ein Jahr nach dem Inferno „Licht am Ende des Tunnels“. Die harte Front der unkritischen Befürworter des Militärspektakels der US -Amerikaner in Ramstein und in der gesamten Region wanke. Bei den Gegnern wachse dagegen der Bekennermut. Die Friedensinitiative „Wider das Vergessen“ habe es geschafft, die vor allem von der Union in Rheinland-Pfalz und in der Region gewollte „Grabesstille“ zum Jahrestag der Katastrophe zu durchbrechen. Mit Rufmordkampagnen gegen Frau Delarber und wochenlangem Telefonterror auch gegen andere Mitglieder der Initiative versuchten konservative Kreise ein Hearing der Friedensbewegung vor zwei Wochen zu verhindern. Das Hearing fand statt - und die „Unruhestifterin Delarber“ kam per Fernsehen in die Wohnzimmer der Ramsteiner und Miesenbacher, der Hütchenhäuser und der Mackenbacher. Die resolute Hausfrau Delarber, die im Frühjahr mit 8.000 Stimmen auf der Liste der Grünen in das Gemeindeparlament von Ramstein-Miesenbach einzog, wurde zum Star der Westpfalz. Frau Delarber und die anderen Grünen aus Ramstein und Umgebung passen eben nicht in die Schubladen der seit 40 Jahren die Pfalz regierenden Christdemokraten, in denen es von „Berufsdemonstranten, Kommunisten, Faschisten und Chaoten“ nur so wimmelt. Und die Friedensfreunde sind mutiger geworden: Gegen den Faschismusvorwurf der Jungen Union setzt sich Christa Jenal von Verein für Friedenserziehung aus St.Ingbert mit einer Strafanzeige zur Wehr. Waltraut Delarber hat auch sich furchtlos mit dem bislang allmächtigen CDU-Bürgermeister von Ramstein, Julius Divivier, angelegt. Den Vorwurf, Unruhe in die Gemeinde gebracht zu haben, konterte Waltraud Delarber mit der Feststellung, daß Unruhe „Aufbruch und Denken“ bedeute - die christdemokratische „Grabesstille“ dagegen den Tod.

Das Engagement der Ramsteiner Friedesfreundinnen und -freunde und die furchtbaren Folgen der Katastrophe vom August 1988 haben die Stimmung vor Ort nachhaltig verändert. In der Lokalpresse häufen sich die Leserbriefe, die auch für die geschundene Region um Ramstein die von den Politikern versprochene „Lebensqualität“ einklagen. Von der Forderung nach dem Abzug der US-Amerikaner spricht in Ramstein keiner, doch die Rufe nach Einstellung der Tiefflüge, nach einer Verringerung der Starts und Landungen auf der Air-base und nach Aufgabe der nuklearen Option wird immer lauter. Mütter protestieren dagegen, daß sie wegen des Fluglärms ihre Kinderwagen nicht in die Vorgärten schieben können und selbst im Sommer die Fenster geschlossen bleiben müssen. Hausfrauen wollen nicht länger stündlich schwerbewaffnete Einheiten von Ledernacken an ihren Häusern vorbeimarschieren sehen. Die Rentner im an die Air-base grenzenden Viertel von Ramstein haben es satt, tagtäglich von dem bellenden Lärm der Schüsse geweckt zu werden, der vom Schießplatz aus durch die Schallschutzfenster in die Häuser dringt. Selbst eine würdige Bestattung der Toten ist in Ramstein nicht mehr möglich, meint Frau Delarber: „Da donnern die neuen Jäger aus Kurpfalz mitten durch die Predigt am offenen Grab.“

Die „schweigende Mehrheit“ hat auf der Air-base Arbeit und Brot gefunden. Und solange der Dollar in Ramstein rollt, stellt sie immer noch eine satte Mehrheit auf die Beine. Die US-Luftwaffe zahlt gut dafür, daß sich ihre F-16-Piloten und die anderen Offiziere mit ihren Familien in den Dörfern außerhalb der Lärmschutzzonen in den An- und Abflugschneißen regenerieren und so auf den nächsten Präzisionsflug vorbereiten können. Und die gutverdienenden Piloten (4.000 Dollar) lassen bei den Ramsteiner Geschäftsleuten ihren Sold. Vom Restaurant mit southern and mexican food über dry cleaning in two hours bis hin zu new an used cars haben die einst als Hinterwäldler verschrienen Pfälzer alles „im Angebot“, was die Herzen der US -amerikanischen Freunde höherschlagen läßt und ihren Geldbeutel öffnet. Den Ramsteinern geht es wirtschaftlich gut. Ein eigenes Haus mit einer an „die Amis“ vermieteten Etage gehört inzwischen zum Standard. Und die reiche Gemeinde protzt mit ihren infrastrukturellen Neubauten: Bürgerhaus, Rathaus, Fußgängerzonen und Freizeitanlagen. Das neue Rathaus ist seit der Katastrophe vom 28.August 1988 um eine makabre Attraktion reicher: In den Kellerräumen lagern stapelweise Müllsäcke mit den Habseligkeiten der Verbrannten: Geldbörsen, Fotoapparate, Ferngläser, Spielzeugautos und Puppen.

Die Aktivisten der Friedensbewegung in der Pfalz glauben zwar, daß die permanente Aufklärung über die Gefahren der perfekten Militarisierung der Region irgendwann den (Ram -)Stein brechen wird. Dennoch seien die Politiker in Bonn, in Mainz und in der Pfalz jetzt in der Pflicht, für die Region ein „Friedensszenario“ zu entwerfen. Sozialdemokraten, Grüne und auch die realen Sozialisten aus der DKP forderten auf dem Hearing am 13.August von den Regierenden eine „ökonomische Offensive“ zur Umgestaltung der Strukturen auf dem Flugzeugträger Pfalz. Das schließe die Schaffung „ziviler“ Arbeitsplätze ebenso ein wie die Bereitstellung von Mitteln für infrastrukturelle Maßnahmen, die mit der Zurückdrängung der Militärmaschinerie einhergehen müßten. Der Grüne Karlheinz Becker, Mitglied der Initiative „Wider das Vergessen“ und Pfälzer Bub, setzt dabei auf den Regierungswechsel in Bonn und in Mainz. Denn solange die CDU die Pfalz in den Klauen habe, werde sich vor Ort nichts ändern.

Ramstein im August 1989: Rechtzeitig zum Jahrestag der Katastrophe dröhnt der sound of freedom (US-Air-Force) wieder durch die Westpfalz. Die Reparaturarbeiten am Start und Landebahnsystem der Base sind beendet. Von Ramstein aus brechen die Geschwader der „Dragons“ und der „Black Knights“ seit zwei Wochen wieder auf zum simulierten Luftkampf über der Champagne (Flugzeit 15 Minuten) oder zu Tiefflugübungen über den Feldern, Wiesen und Dörfern der Pfalz und des Hunsrück. Zur Zeit üben in der Region in Ramstein nicht nur die auf der Air-base stationierten Einheiten. Manöver ist angesagt - und aus den USA kommen weitere F-16-Jäger. Über die Straßen rollen die Panzer und Mannschaftswagen aus den zahllosen Kasernen in Kaiserslautern (K-Town Germany) und Umgebung - in der Pfalz findet die Flug- und Militärschau tagtäglich statt. Die Militärmaschinerie läuft in der Pfalz trotz der Tragödie von Ramstein wieder wie geschmiert. Und das Pentagon in Washington schreckt auch nicht davor zurück, die Strategie der „atomaren Vorwärtsverteidigung“ in diesen Tagen um eine weitere makabre Komponente zu „bereichern“: Die zur Zeit noch in Miesenau lagernden Atomraketen für die 48 F-16-Jagdbomber aus Ramstein sollen direkt zur Base verbracht werden, damit im Ernstfall die „Dragons“ und die „Black Knights“ ohne Zeitverlust mit ihrer tödlichen Fracht gen Osten aufsteigen können. Seit Wochen werden neben den Hangars Gruben ausgehoben, die im Fliegerjargon „Graves“ (Gräber) genannt werden und die demnächst die Atomraketen aufnehmen sollen.

Auf Bitten des rheinland-pfälzischen Innenmisteriums wird am Montag - dem Jahrestag der Katastrophe - der Flugbetrieb ruhen. Die US-Air-Force will an diesem Tag der Opfer des flammenden Infernos gedenken - aber auch der drei Kameraden aus den italienischen Maschinen -, getreu der Eigenwerbung:

„The right men, the right order - right on.„