WEGE MIT UND OHNE WEISER

■ Kurzfilme der Moskauer Filmhochschule WGIK im Sputnik

Ein gewisses Murren war, was die aktuelle sowjetische Glasnost-Filmproduktion anbelangt, trotz aller kaviaresker Aufgekratztheit bei den Moskauer Filmfestspielen im Juli nicht kleinzukriegen. Das Aufdecken gesellschaftlicher Mißstände würde zur billigen Koketterie verkommen, eine Inflation an „Problemfilmen“ überschwemmten die Leinwand, die sich um nur noch vermeintlich heiße Eisen wie Sex, Drogen und Punks drehen, längst aufgeworfene Fragen würden endlos breitgetreten und Antworten darauf will keiner suchen, geschweige denn geben. Das ist zwar eine Klage, die der des faselnden westlichen Krisenmanagments ziemlich ähnelt, aber ein voller Bauch steckt nun mal schneller einen leeren Kopf weg, der in der Schlinge steckt, während gerade jetzt in der Sowjetunion in der heftigsten, konkret werdenden Umbruchphase nach Glasnost und Perestroika der Geist gefragt ist, den Kopf aus der Schlinge ziehen.

Daß die kulturelle, aber auch politische Bedeutung des sowjetischen Films um einiges höher einzuschätzen ist als bei uns, erklärt das sensibilisierte Verantwortungsgefühl der Filmschaffenden für die Wirkungen ihrer Arbeiten. Die weitgehende Abschaffung der Zensur ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben nicht der Weg, nach dem gesucht wird. Das nicht zu ignorierende Fehlen eines Spiritus rector ruft dann auch prompt den Geist Tarkowskis aus dem Grab auf den Plan und spukt im Gewand einer neuen religiösen Orientierung herum, ein Phantom, das hoffentlich schnell wieder in die Gruft verbannt wird, in die es gehört. Das mag zwar etwas harsch klingen, aber angemessen ist es trotzdem.

Zum Beispiel ein zwanzigminütiges Tarkowoski-Imitat mit dem Titel „Ohne Worte“, das an der Moskauer Filmhochschule WGIK entstanden ist und in fürchterlichster Tränendrüsendrückmanier die Zerstörung des Moskauer Simonowklosters durch die Bolschewiken erzählt. Unter kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten ist es sicherlich eine Sauerei, solch ein Gebäude, das garantiert multifunktional nutzbar gewesen wäre, zu plätten, aber was gerade an so einem Film unsäglich auf die Nerven geht, ist das symbolschwangere Aufbauschen von Bildern zu einem Betroffenheitsschmand, der das Hirn religiös verkleistert. Bleibt der Trost, daß die gelungenen Archivaufnahmen über die Zerstörung ein atheistischer Genuß sind.

Mag sein, daß Gott nicht tot ist, weil Tarkowski seine Filme gemacht hat, aber glücklicherweise bleiben einem weitere Gottesbeweise solcher Art in dem Kurzfilmprogramm der Moskauer Filmhochschule WGIK erspart, das in vier Programmblöcken eine Auswahl der Abschlußarbeiten ihrer Studenten präsentiert, aber nicht nur an Glasnost orientierte Filme, sondern einleitend auch Filmarbeiten vor Glasnost zeigte. Filme inzwischen bekannt gewordener Regisseure fehlen in so einem Auswahlprogramm natürlich nie, so ist zum Beispiel Elem Klimow mit einem augenzwinkernd -humorigen Film über die schulischen Nöte eines kleinen „Bräutigam“ (1969) vertreten.

Was markant auffällt bei den neuen Glasnost-Produktionen der WGIK, die zwischen 1987 und 1989 entstanden sind, ist der Fakt, daß keine heilige Kuh der Gesellschaft vor ihrer Schlachtung mehr sicher ist. Und das fällt ironischerweise viel krasser ins Gewicht, wenn es um Themen geht, die auf den ersten Blick kaum brisant erscheinen, wie zum Beispiel der Dokumentarfilm „Gehen Sie in den Ball?“, der schnörkellos den bisher unangetastet scheinenden Quasi -Mythos der sowjetischen Hochleistungsturnerinnen demontiert - eine halbe Stunde, die auch eingefleischte Anti-Turner vor der Leinwand hält. Daß sich das Thema „Orientierungslose Jugend“ als aufrüttelnder Filmstoff gerade im Dokumentarbereich langsam aber sicher erschöpft, beweist der Film „Freie Zeit von den Erwachsenen“. Die dabei verbreitete Langeweile hat ihre Ursache aber eher in eingefahrenen filmischen Konventionen als in einer fehlenden inhaltlichen Auseinandersetzung.

Da trifft ein Film wie „Hundesuppe“ von Fajsiew schon eher den blanken Nerv, weil er sein Anliegen mit viel bösem Humor in eine abgedrehte Geschichte verpackt, die in ihrer Vieldeutigkeit wesentlich aggresiver einen schleichenden kollektiven wie individuellen Zerfallsprozeß geißelt als die bestgemeinte, biedere Dokumentation: Ein Haufen Arbeiter lungert hungrig und abgebrannt auf einem Schrottplatz herum, wo es nichts zu tun gibt, und erst ein Hund, der ihnen suppentauglich erscheint, reißt sie aus ihrer dumpfen Lethargie und macht sie zu wahren Aktivisten im Dienste ihrer selbst.

Eher satirisch als zynisch, aber trotzdem mit einem guten Biß verspottet hingegen Kusnezow in seinem „Auf der Suche nach dem Ausgang“ die Mißwirtschaft und Scheinerrungenschaften des Sozialismus: Während einer peinlich inszenierten Planerfüllungsfeier wird mit Pikiertheit registriert, daß einer der Arbeiter in der gerade fertiggestellten Pipeline vergessen wurde und sich zu allem Überfluß auch noch unfreiwillig Richtung Westen rettet... Doch da das eben ein Weg ist, den er nicht sucht, kehrt er zurück.

DOA

Filme der Moskauer Filmhochschule noch bis nächsten Donnerstag im Sputnik Wedding