Swinging Metropolis

■ 41. Vorher - Nachher

Einige aus dem Finckenstall finden nach der Stunde Null erneut zusammen, um ihre Lieblingsmuse wieder unter Dampf zu setzen. Tatjana Sais zum Beispiel; das ist jene, die 1936 im Film „Weiße Sklaven“ einen Kreuder/Beckmann-Hit durch die Gehörgänge schickt: „Was du mir erzählt hast von Liebe und Treu,/ das war Lüge, alles Lüge“. In einer Situation, da die Siegermächte auch nicht grad unempfindlich sind, 1946, steht sie auf der Bühne des Cabaret Uhlenspiegel in der Nürnberger Straße und singt von ihren vier in den Besatzungszonen rumstehenden Koffern. An keinen kommt sie ran, kann sich nicht mal das Leben nehmen, denn: „Der Strick liegt in der britischen Zone,/ das heißt, daß er jetzt nicht zur Hand ist./ Der Nagel dazu liegt in der französischen Zone,/ das heißt, wenn er nicht zur Reparation verwandt ist./ Der Holzhammer liegt in der amerikanischen Zone;/ mein letzter Plan verpufft.../ Der Haken liegt in der sowjetischen Zone./ Weils also nicht kann sein,/ häng ich in der Luft.“

Die Russen sind beleidigt ob des Hakens und schieben ihn dem zuständigen amerikanischen Theateroffizier zu. Der übernimmt, und Tatjana Sais singt „Der Holzhammer liegt in der sowjetischen Zone“. Weil sie den aber auch nicht wollen, endet das Chanson forderhin mit „Der Haken wurde von der Zensur gestrichen“.

Den Schöpfer des verhakten Hammersongs hatte Finck zu Katakomben-Zeiten mit allabendlich eingespieltem Ritual vorgestelt: „Das hier ist unser Hauskomponist Günter Neumann. Er geht noch in die Prima, und immer, wenn in der Physikstunde von der Fortpflanzung des Schalls die Rede ist, wird er rot.“ Zu seiner Verzweiflung, so wirds kolportiert, errötete er tatsächlich jedesmal.

Revuebunt auch liebt ihn - mittlerweile mit Frau Sais verheiratet - die Berliner Nachkriegsbevölkerung, als Halbgott verehren einige den Vater der „Insulaner“, jener Truppe, die stets haargenau auf dem Nervenstrang der Zeit Harfe spielt. Über Trümmer stolpert er in eine Theatersituation unter sowjetischem Protektorat, welche die drei Monate später eintrudelnden RestAlliierten nicht schlecht überrascht: „Darüber aber, daß Berlin, das zerschmetterte, das besiegte, das zerstörte, daß Berlin wieder eine Theaterstadt war, in der an ziemlich allen Ecken und Enden, in Bühnenhäusern, die zufällig überstanden hatten, aber auch in Gemeindehäusern, in Parks, in Kinos, Kirchen, Scheunen oder Schuppen emsig gespielt und gebumfiedelt wurde, darüber staunten die reichlich spät gekommenen Alliierten wohl am meisten.“ (Friedrich Luft)

In bester Hollaender-und-Co-Tradition jagt er 1947 gleich zwei Revuen hintereinander über die UlenspiegelBühne: Auf „Alles Theater“ (inszeniert von Gustaf Gründgens) folgt, passend zu Billy Wilders „Foreign Affair“, Neumanns „Schwarzer Jahrmarkt“, ein Erfolgsknaller, den Karl Viebach imHebbel-Theater des Jahres 1974 remaked. Hubert von Meyerinck erwächst hier zur hektisch schnarrenden Militaristenkarikatur, die ihn nicht mehr loslassen wird, und einen weiteren alten Bekannten von anno Katakombe treffen wir wieder: Hans Deppe, urkomisch bereits 1930, da er als Waltraud im Kunstgewerberock am altdeutschen Reigen teilnimmt. An der Seite von Arnulf Schröder & Werner Finck mit Klampfe, kurzlangen Hosen & stilecht aufs Schuhwerk gerollten Socken betreibt er seinerzeit modische Wandervögelei: „Wir bleiben stets etwas zurück./ Wir haben für alles gar keinen Blick./ Wir haben das Edelmenschtum gepachtet./ Die andern werden von uns verachtet./ Wir lagern gelockert am lönshaften Weiher/ und kochen mit Spiritus unsere Eier./ Beim Schreiten senkt sich der Fuß in Sandalen./ Plattfüße nennens die Realen.“

Möcht einem hierzu ein Ilja-Richtereskes „Spot an!“ entfahren, bleibt mit Blick auf die Fünfziger nur noch das müde „Spott aus!“ Stattdessen widmet sich Deppe der Regie zum Wohle des schlichten Gemüts. So manch heimatbeduseltes Resultat des kreativen Niedergangs kann - Leo Kirch sei Dank - im aktuellen Fernsehprogramm je nach Neigung begähnt oder bekichert werden. Zum Beispiel am Sonntag, den 3.September auf SAT1. Zu den „Gitarren“, die da „leise durch die Nacht“ klingen, gesellt sich immerhin ein weiteres Mitglied des KabarettistenClans: Walter Gross, verdient & ehrenhaft, gibt sich die Mühe.

„Wers mag, für den ist das das Höchste“, sagt ein süddeutscher Spruch aus der Lapidarabteilung, ein serielles - TV-Ereignis allerdings sollte sich der einigermaßen Interessierte auf keinen Fall entgehen lassen, so er zur nachmittäglichen Zeit Zeit hat: Die achtteilige Dokumentation „Durch dich wird diese Welt erst schön“ von Michael Lentz, Moderation: Paul Kuhn. Eine leider viel zu kurze halbe Stunde jeden Dienstag so gegen halb Viere im Ersten.

Norbert Tefelski