: Ohne Glanz
■ Das Programm der diesjährigen Berliner Festwochen
Am 4. September beginnen die diesjährigen Berliner Festwochen mit Abbado, Pollini, dem Ernst-Senff-Chor, Brahms, Schumann und den Berliner Philharmonikern zum Gedenken an Carl Dahlhaus. Das zweite Gedenkkonzert am 10. September ist Herbert von Karajan gewidmet; es gibt Schubert ohne Dirigenten und Bruckners Neunte mit Giulini. Außerdem stehen Konzerte mit Ashkenasy, Kurt Masur, Giulini und Chailly (am 29. mit Mahlers Neunter) auf dem Programm.
Auf der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag betonte Festspielleiter Ulrich Eckhardt zwar, es gebe diesmal ein Programm der Raritäten, Kuriositäten und Entdeckungen, aber der Kalender liest sich eher so, als habe man heuer nichts Aufregendes zu bieten. Wie schon im letzten Jahr ist Ost -West-Verbindendes angesagt: Das Gewandhausorchester kommt, Goldmann wird uraufgeführt und das Litauische Dramatische Theater Vilnius spielt Tschechows Onkel Wanja; wegen 200 Jahre Revolution steht uns eine Reihe mit französischer Kammermusik bevor. Hans-Günther Heyme wird eine dreiteilige Revolutionsrevue uraufführen. Darüber hinaus gibt es mengenweise Kompositionen des unbekannten Charles Koechlin (1867 - 1950), für den Elmar Weingarten, zuständig für das Konzertprogramm, kräftig die Werbetrommel zu rühren versuchte: Celibidache habe ihn zitiert und Boulez führe ihn auf. Uraufgeführt werden außerdem Werke von Ruth Zechlin, Frank Michael Beyer, György Ligeti, Helmut Eder und Penderecki und ein erst jetzt gefundenes Stück, Un petit rien (Ein kleines Nichts) von Bernd Alois Zimmermann.
Auf die Journalistenfrage, warum das Dresdener musica-viva -ensemble bei den Zechlin/Beyer-Uraufführungen am 7. September nicht von ihrem eigenen Dirigenten, sondern vom Opportunisten Udo Zimmermann dirigiert werde, meinte Eckhardt pikiert, er stelle fest, Herr X habe hier seine persönliche Meinung kundgetan und er werde ihm natürlich nicht antworten. Mauricio Kagel bestreitet die Berliner Lektionen (17.9.), am 1.Oktober denken Egon Bahr und Valentin Falin über „Deutschland in Berlin“ nach. Patrice Chereaus Hamlet vom vergangenen Jahr ist in der Deutschlandhalle zu sehen, eine Derniere: In den nächsten drei Jahren macht Chereau kein Theater mehr, sondern Kino, und '93 den Tristan in Bayreuth.
Die diesjährige große Ausstellung ist der Videokunst gewidmet, die ihren 25. Geburtstag feiert. Das höchste Lob der Organisatoren Eckhardt, Weingarten und Torsten Maß (für die Darstellenden Künste) gilt diesmal den Sponsoren Klassenlotterie, Stiftung Tagesspiegel, Berliner Sparkasse, Sony, Daimler Benz u.a. - und der Künstlersozialversicherung, die viel Geld kostet und wegen der sich die Journaille nicht über vermeintliche Sparmaßnahmen aufregen dürfe. Die kritische Bemerkung über Kultursenatorin Anke Martiny fällt dezent aus: „Jeder Senat sucht ein neues Profil. Dieses Profil zeigt sich noch nicht so deutlich.“ (Eckhardt) Die Einsparungen im Kultursektor bestreitet Eckhardt zwar mehrfach, dennoch merkt er an, sie wären so oder so gekommen.
Rot-Grün hin oder her: so glanzlos wie in diesem Jahr kamen die Festwochen noch nie daher, und noch nie wurden sie so leidenschaftslos präsentiert. Zieht man etwa das Programm der Frankfurt Feste zum Vergleich heran, kann man nur neidisch werden. Nicht einmal die Junge Deutsche Philharmonie, die ihr 15jähriges Bestehen feiert, hat Besonderes zu bieten: Am 6. September spielen sie Schreker, Berg und Hartmann, Ingo Metzmacher dirigiert anstelle des kurzfristig abgesprungenen Erich Leinsdorf. Früher einmal hat das Studentenorchester auf den Festwochen Weberns Gesamtwerk zur Aufführung gebracht. Aber das ist lange her.
chp
Der Vorverkauf hat gestern begonnen. Karten für Veranstaltungen nach dem 18. September gibt's erst ab 10. September. Berliner Festspiele, Budapesterstraße 50, 1000 Berlin 30
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