Offensive gegen den inneren Feind

■ DDR-Betriebskampfgruppen sollen Skins und Grüne bekämpfen / Neues Schulungsmaterial für die „Arbeiter in Uniform“ fordert Auseinandersetzung mit „abartigen“ Vorstellungen von Jugendlichen / Feindbilder überarbeitet

Wenn sich der Klassenkampf zuspitzt, greift die Arbeiterklasse zu den Waffen. Dann steht der Proletarier auf und verteidigt die Errungenschaften des deutschen demokratischen Sozialismus.

So oder so jedenfalls ähnlich begründet die offizielle DDR -Ideologie, warum rund 400.000 Männer zwischen 25 und 60 Jahren in regelmäßigen Abständen in ihrer Freizeit im „bewaffneten Organ der Arbeiterklasse“ verbringen: Die „Kampfgruppen“, die in den fünfziger Jahren nach dem Vorbild der KPD-Rotfrontkämpfer gegründet wurden, sollten zur Zeit des Kalten Krieges vor allem die volkseigenen Betriebe gegen westliche Sabotageakte schützen. Heute proben die Kämpfer mit der grauen Uniform hauptsächlich die innere Aufstandsbekämpfung. Vor kurzem wurden offenbar die Feindbilder überarbeitet: Aus einem neuen Lehrbuch geht hervor, daß die Bekämpfung der DDR-Ökologiebewegung, der Punks, Skins und Ausreisewilligen zur neuen Aufgabe der Betriebskampfgruppen erklärte wurde.

Wenn der „Kämpfer“, wie Mitglieder der Betriebskampfgruppen am Wochenende offiziell angeredet werden, zum Dienst geht, muß er nicht nur Schießen, Granatenwerfen und Lkw-Fahren üben. Die Zugführer der Betriebshundertschaften werden regelmäßig auf die Schulbank geschickt. In der zentralen Schule der Kampfgruppen „Ernst Thälmann“ in Schmerwitz werden militärtaktische Unterweisungen gegeben. Seit kurzer Zeit, so recherchierte jetzt das auf der Welle von Radio100 sendende „Radio Glasnost“, wird dort neues Unterrichtsmaterial verwendet. Unter der Überschrift „Imperialismus-Gegner-Feindbild“ werden die Kämpfer ermahnt, energisch gegen die Ausbreitung grüner oder anderer „abartiger Vorstellungen“ vor allem bei den DDR-Jugendlichen vorzugehen. Denn die Ausbreitung solcher Ideen sei von imperialistischen Kreisen gesteuert, die die „Konterrevolution“ im Schilde führten. Als Gegenmittel empfiehlt das Lehrmaterial die „offensive Auseinandersetzung“ mit diesen „aktiv feindlichen Kräften“. Zur Zeit werde diese Auseinandersetzung nicht energisch genug geführt, so daß sich Gruppen von der Gesellschaft abgesondert hätten. Mit Hilfe der Betriebskampfgruppen sollen sie wieder integriert werden. Und damit der Kämpfer auch erkennt, welcher Jugendliche vom Pfad des Sozialismus abgekommen ist, gibt das Lehrbuch die Anweisung, auf „äußeren Habitus, demonstrative Disziplinlosigkeit und Oppositionsgebahren, bestimmte Rituale und Symbole“ zu achten, sie „ernst zu nehmen“ und der Polizei, beziehungsweise dem Betriebsleiter zu melden. Um zu verhindern, daß der Kämpfer die verschiedenen Gruppierungen verwechselt, wird das Lehrbuch noch genauer. Ein Skin sei so zu erkennen: „Glatzkopf oder Bürstenhaarschnitt, einfarbige oder gestreifte Hemden, olivgrüne Bomberjacken, schwarze enge Hosen oder weit hochgekrempelte Jeans, Hosenträger und Schnürstiefel“.

Bei der Feindgruppe DDR-„Grüne“ fehlt eine detaillierte Beschreibung des Aussehens. Stattdessen erfährt der Kämpfer: „Ziel ist es, in der DDR eine Opposition zu installieren, um konterrevolutionäre Ziele zu erreichen“. Zielgruppen der DDR -Grünen seien konfessionell gebundene DDR-Jugendliche und „Künstler, die folgende typische Handlungen“ ausführten: „Abreißen und Verbrennen von Staatsflaggen, Mahnwachen in Kirchen, Zeigen und Tragen von Transparenten mit pseudorevolutionären Losungen“.

Ausreisewillige hingegen werden als „Abgeworbene“ u.a. aus dem Bereich des Gesundheitswesens, der Volksbildung und bestimmter wichtiger Wirtschaftszweige bezeichnet. Unterstützt durch „reaktionäre Kreise der Kirche“ wollten sie vor allem das Interesse der BRD-Medien wecken. Besondere Kennzeichen: „Ein 'A‘ für Ausreiser auf der Kleidung, Antennenbänder am Auto“ oder das „Tragen des Bluttropfens für Blutspender der DDR“. Die Schaltzentrale für all diese gegen die Existenz der DDR gerichteten Umtriebe haben die Autoren des Lehrmaterials, die alle der Volkspolizei angehören, auch ausgemacht: „Radio Glasnost“, die DDR -Sendung des Alternativradios „Radio100“.

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