High End - die volle Klangpotenz

■ Von Lautsprecheranlagen in Schrankwandgröße bis zum Bio-Kopfhörer HiFi-Industrie wirbt mit Kompromißlosigkeit

HDTV, die audiovisuelle Revolution der neunziger Jahre, die Fernsehen in gestochen scharfen Kinobildern und CD -Klangreinheit verspricht, gehört zweifellos zu den Hauptattraktionen der diesjährigen Funkausstellung - auch wenn das deutsche Fernsehpublikum darauf noch ungefähr drei Jahre warten muß. Aber was macht das schon? Die Unterhaltungsbranche ist guten Mutes, bereits mit dem lieferbaren Angebot an elektronischem Spielzeug ihren Jahresumsatz anno 1989 auf über 18 Milliarden Mark steigern zu können.

Zum Beispiel, indem sie unser Ohr verwöhnt. Das Ohr, dieses komplizierte Ding, das Töne in Form von Schallschwingungen nach einem langen Marsch durch Trommelfell, Gehörknöchelchen und Ohrschnecke in einen Sinnesreiz für den Gehörnerv umwandelt, auf daß sich im Großhirn am Ende eine Klangempfindung einstellt.

Die immer weitere Verfeinerung unseres Hörerlebnisses ist die Profession von 50 „High-End„-Firmen, die sich in diesem Jahr auf dem Berliner Messegelände präsentieren. Auch wer bislang in HiFi-Angelegenheiten zu den Ahnungslosen gehörte, dem wird schon nach einem kurzen Rundgang klar: Bei High-End handelt es sich nicht nur um die profane Verbesserung von Gerätschaften zur Musikreproduktion, sondern um eine Lebenseinstellung.

Sphärische Hörner

und andere Extravaganzen

Wie sonst ist es zu erklären, wenn sich einer freiwillig eine Lautsprecheranlage von sieben Meter Breite und 2,45 Meter Höhe ins Wohnzimmer stellt? Mit der Entwicklung des „Vollhorn-Systems“ eines Duisburger Lautsprecherproduzenten, das aus einem Baßhorn in der Größe einer Schlafzimmerschrankwand und zwei Lautsprecherskulpturen mit sphärischen Hörnern für den Mittel- und Hochtonbereich besteht, sei man letztlich nur den „akustischen Notwendigkeiten“ gefolgt. Die Notwendigkeit, erläutert Stephan Krautsdorfer, 27jähriger Autodidakt und Mitarbeiter der Herstellerfirma, bestand im Falle der „Späron“ getauften Anlage darin, einen Frequenzbereich von 14 bis 40.000 Hertz „dynamisch linear“ abdecken zu müssen. Weitere Notwendigkeiten bestehen darin, für diese akustische Extravaganz 80.000 Mark berappen zu können und zur Entfaltung ihrer vollen Klangpotenz über ein Wohnstudio von wenigstens 60 Quadratmetern verfügen zu müssen. Ein Grund für die „A Capella„-Leute, auf der IFA mit einem „ohrraumtauglicheren“, kleineren Bruder von „Sphäron“, dem „Triolon“, zu erscheinen. Über dessen Wiedergabebereich von immerhin 24 bis 40.000 Schwingungen pro Sekunde können sich auch anspruchsvolle Ohren wahrhaftig nicht beschweren.

Zumal der Mensch - genauer: der junge Mensch bis zum 20. Lebensjahr, danach geht's rapide bergab - ohnedies nur Frequenzen im Bereich von minimal 16 bis maximal 20.000 Hertz zu „hören“ in der Lage ist. Alles, was darüber hinaus geht, kann bestenfalls in den Bereich des Unbewußten verwiesen werden. Zahlen Leute, die sich solche Anlagen kaufen, also „nur für ihre Selbstüberschätzung“, wie unlängst die 'Frankfurter Rundschau‘ unkte?

Zwischen Erdbeben

und Ultraschall

40.000 Hertz, das sei eben die „Reserve“, die man brauche, um im Normalbereich ein optimales Klangerlebnis zu erzielen, versucht Krautsdorfer das Prinzip der Frequenzverschwendung auf dem Boden der Vernunft zu veranschaulichen. Wie bei einem Wagen, der mehr PS hat als er braucht. Das leuchtet ein. „Langfristig arbeiten wir darauf hin, alles - vom unteren Erdbebenbereich bis zum hohen Ultraschallbereich reproduzieren zu können und nicht an irgendeinem Punkt schlapp zu machen“, philosophiert der junge Mann über den „harten“, aber „konsequenten Weg“ des Herstellers hin zur Ermöglichung eines so „kompromißlosen, ehrlichen und lebendigen“ Musikerlebens wie nur möglich.

Das Bestreben, das jeweils technisch Machbare auch zu realisieren, gehört untrennbar zur Philosophie eines jeden echten High-Enders. „Irgendwann hört man auf, Kompromisse zu machen“, wirbt auch die High-End-Firma „H + P Consequenze“ für sich. In ihrer schalldichten Vorführkabine kann man sich auf vibrierendem Teppichboden der Wucht Bachscher Orgelwerke hingeben und sich von der Kompromißlosigkeit zweier achteckiger Boxen mit „Aktivweiche“ für schlappe 22.500 Mark überzeugen.

Doch geht es bei High-End nicht nur um Funktionalität und hochwertige Technik. „Anmut, Wertigkeit und Exklusivität spielen eine ebenso große Rolle“, preist Grundig seine Edel -Kollektion „Fine Arts“ an. Zwischen grobem Felsgestein auf zarter Glasplatte thront ein 5.000 Mark teurer CD -Röhrenverstärker aus 24 Karat-hauchvergoldetem Messing. Abgesehen von seinem exquisiten Innenleben ist er mit seinen wenigen und eher klobigen Schaltern und Reglern im Design klar und einfach, fast primitiv, möchte man meinen. „Back to the basics“, schwärmt Dr. Schwäbl, Vater von „Fine Arts“, vom Geist der High-End-Bewegung. Programmierbare Fernbedienung zum Beispiel seien unter echten High-Endern verpönt.

Hauptsache Superlative

Wer so etwas kauft? Neureiche Snobs? Aber nein, „leidenschaftliche Musikliebhaber“, ist die Antwort, die man fast von allen High-End-Herstellern auf diese beinah als ketzerisch empfundene Frage bekommt. Und angeblich Frauen, für die, wie Dr. Schwäbl weiß, die „schwarzen unzugänglichen Fronten“ gewöhlicher HiFi-Geräte immer ein „Horror“ gewesen seien - eine Behauptung freilich, die angesichts der sich um die Ausstellertische drängenden Männerscharen unbewiesen im Raum stehen bleibt. Die Existenz eines überwiegend elitären Kundenkreises von der Mittelklasse an aufwärts streiten Dr. Schwäbl und sein Kollege jedenfalls ab. Und führen sofort das Beispiel von dem Fensterputzer aus der grauen Vorstadt an, der all sein bescheidenes Einkommen dafür hergäbe, sich mit High-End den Genuß von Big-Band-Musik zu veredeln.

Hauptsache Superlative. Der teuerste Plattenspieler der Welt steht unscheinbar am Eingang von Halle 8. Er besteht zunächst aus einem bis zum heutigen Tag „definitiven“ Präzisionslaufwerk aus Chrom, Edelstahl und Gold mit zwei Motoren, das zu nichts anderem gut ist, als eine Schallplatte mit 33 Umdrehungen auf einem 20 Kilo schweren Teller kreisen zu lassen, und - logisch - auf den Namen „Quintessenz“ getauft wurde. Das alles für 30.000 Mark, Tonarmsysteme kosten extra. Wie bei vielen High-End-Artikeln war die Auflage von „Quintessenz“ von Beginn an limitiert: In zweieinhalb Jahren wurden bloß 40 Stück verkauft.

Wer sich in Luxuskategorien dieser Art bewegt, braucht gewöhnlich auch in kleinen Dingen nicht zu geizen. Er kann sich beispielsweise für 8.000 Mark den Öko-Porsche unter den Kopfhörern leisten. Vorausgesetzt, er gehört zu den Glücklichen, die einen der weltweit pro Jahr nur 500 produzierten Exemplare ergattern. Besonderheiten des Sony -„King“: eine neu entwickelte Bio-Zellulose-Membran, ein Klangkörper aus 200 Jahre alten Zelkova-Hölzern und Ohrenpolster von griechischer Schafshaut. Fehlen eigentlich bloß noch mit Schlangenhaut umwickelte Anschlußkabel.

Was schließlich dem Genossen Gorbatschow billig ist, soll auch dem verwöhnten HiFi-Westler nur recht sein. Getreu dem Shakespeare-Motto: „Wenn Musik der Liebe dient, gebt ihm volles Maß“, schenkte Bundespräsident von Weizsäcker Gorbi zu dessen Staatsbesuch im Frühjahr eine deutsche High-End -Anlage für 18.000 Mark.

Beate Schulz