„Wir helfen das Chaos zu lichten“

■ Brauns Chefdesigner Dieter Rams über die „Braun-Philosophie“

Dieter Rams ist von Haus aus Architekt. 1954/55 begann er zusammen mit anderen die „Umgestaltung“ der Braun-Produkte. Das Braun-Team arbeitete eng mit der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung zusammen, dem bundesrepublikanischen Nachfolgeinstitut des Bauhauses, das in den sechziger Jahren Opfer der Filbingerschen Hochschulpolitik wurde: Der Erzreaktionär ließ die Design -Hochschule aus politischen Gründen schließen. Zur Zeit sitzt Rams, der so gut wie alle Braun-Produkte (mit -)gestaltet hat, an der Überarbeitung einer Uhrenserie. Rams, der immer schon die „Rückkehr zum Einfachen“ predigte: „Gutes Design ist möglichst wenig Design.“

taz: Was ist die „Braun-Philosophie?“

Rams: Wir gehen ökonomisch mit Formen und Farben um, bevorzugen einfache Grundgestalten, vermeiden unnötige Komplexität, verzichten auf Zierde. Statt dessen mehr ordnen und klären. Wir messen jedes Detail an der Frage, ob es der Funktion dient und die Handhabung eines Geräts erleichtert.

Das Äußere dient nur der Funktion?

Ja. Wobei wir in die Funktion, ob nun Rühren, Kneten oder Kaffeemachen auch psychologische Funktionen einschließen, also, ein sehr erweiterter Begriff der Funktion. Dabei erzielen wir eine bestimmte ästhetische Wirkung, nicht durch Ausschmückung, sondern durch Ausgewogenheit der Form. Durch klare Proportionen, Ruhe und Zurückhaltung. Wir wollen dadurch auch ein bißchen dazu beitragen, das Chaos, in dem wir heute zu leben gezwungen sind, zu lichten. Es geht heute ja nicht nur um materielle Umweltverschmutzung, ebenso gravierend ist die visuelle Umweltverschmutzung. Durch die formale und technische Langlebigkeit unserer Produkte tragen wir jedoch auch zum materiellen Umweltschutz bei.

Nun gibt es von Braun neue Geräte zum Beispiel Toaster, Kaffeemaschinen, Uhren, da sagen Braun-Freaks: zu viel optischer Ballast.

Die Meinung kann ich nicht teilen. Man kann das nicht vergleichen mit, wenn man so will, puristischeren Geräten wie dem ersten Langschlitztoaster. Heute kann man einfach keinen Toaster mehr machen, an dem man sich die Finger verbrennen, sich Kinder daran verbrennen könnten. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Form. Ich würde das keinesfalls als Ballast bezeichnen.

Also keine postmodernen Entwicklungen bei Braun?

Nein, nein, nein. Bei der Kaffeemaschine zum Beispiel haben mir Leute versucht nachzusagen, die Strukturierung des hinteren Teils sei der Postmoderne entliehen. Das stimmt aber nicht. Die Riffelung ist notwendig, denn diese großen, feinen Kunststoffteile haben nach innen Wände. Die würden sich sonst nach außen abzeichnen, markieren. Die Struktur überdeckt diese Dinge. Das hat also alles seinen Grund, es ist keine Verzierung.

Welches ist das außergewöhnlichste Gerät, das Sie entworfen haben?

Das kann ich nicht sagen, denn ich habe zusammen mit meinen Kollegen so viele Geräte entworfen. Aber das Herz hängt natürlich immer am ersten Entwurf, den man gemacht hat.

Und zwar?

Der Phonosuper SK 4. Der bekam dann im Volksmund den Namen „Schneewittchensarg“. Zusammen mit Hans Gugelot, das bleibt hängen. Schließlich war es das erste Gerät mit einem Plexiglasdeckel. Später konnte man sich gar keinen Plattenspieler mehr vorstellen, der keinen Plexiglasdeckel hatte. Es gibt für sowas eine Reihe von Beispielen, auch bei neueren Geräten, zum Beispiel der Kaffeemaschine. Die wird ja inzwischen von fast allen Konkurrenten in ähnlicher Bauform gemacht. Entscheidend daran ist ihre Kompaktheit, die dadurch erreicht wird, daß man den Zylinder des Filterteils und den Wasserbehälter ineinander verschiebt.

Welche anderen Entwicklungen haben ähnlichen Stellenwert? Sachen, die man sich nicht mehr wegdenken kann?

Nehmen sie die Küchenmaschine, die wurde im wesentlichen 1957 gestaltet und ist bis heute unverändert auf dem Markt. Ebenso die Saftpressen. Außerdem eine Menge Details, zum Beispiel Gumminoppen an den Haartrocknern, damit die nicht rumklappern, wenn sie die irgendwo ablegen. Oder die Schrägstellung des Griffes, die die Handhabung hinter dem Kopf wesentlich erleichtert.

Mit welchem Design läßt sich Braun am ehesten vergleichen?

Wir bemühen uns, durch die Design-Grundsätze eine Familienähnlichkeit in unserer sehr heterogenen Produktpalette zu erzeugen, so daß die Erkennbarkeit als Braun-Gerät immer gegeben ist.

Welches Nicht-Braun-Design gefällt Ihnen persönlich am besten?

Das ist schwer zu beantworten, aber alles ist ja - das klingt jetzt vielleicht impertinent - ein bißchen von Braun beeinflußt. Damit will ich nicht sagen, daß das keine eigenständige Sachen sind, aber es steckt dieselbe Design -Philosophie dahinter.

Und was sagen Sie zu den Sammlern?

Idealisten.

Interview: Hans-Hermann Kotte