Nach Abzug von Schmiergeldern noch satte Gewinne

Aber Kolumbiens Kokainbarone verdienen nicht so viel, wie angenommen wird / Investitionen in den Großgrundbesitz / Könnte synthetische Ware Gewalt beenden?  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Sie ermorden Bauern, Politiker, Arbeiter und Generalstaatsanwälte - die kolumbianischen Kokainbarone scheinen übermächtig. Die Mafiosi besorgen 75 Prozent des Kokainvertriebs in den USA und Europa. Sie sind mächtig, und doch nicht so mächtig, als daß sie auf dem US-amerikanischen Markt durch eine Drosselung des Angebots einen seit Jahren anhaltenden Preisverfall aufhalten könnten. Sie sind reich, und doch nicht so reich, als daß sie alleine die kolumbianische Wirtschaft bestimmten. Trotz der unsicheren Daten dürfte der wirtschaftliche Einfluß des „Reichs des Bösen“ längst nicht so hoch sein, wie von Weltpresse und Behörden angenommen wird.

Rund 750 Dollar kostet den kolumbianischen Mafioso in Bolivien, Peru oder Kolumbien das Kilo Coca-Paste, ein Vorprodukt des Kokains. Drei Kilo braucht er, um ein Kilo Kokain herzustellen. Er zahlt also etwa 2.250 Dollar. Der Großhandelspreis für das Kilo Kokain beträgt dann auf dem US -Markt zwischen 10.000 und 20.000 Dollar. Für Labor- und Transportkosten, Killer- und Schmiergelder muß die Mafia zwischen 40 und 60 Prozent des Erlöses investieren. Es bleibt im ungünstigsten Fall eine Gewinnspanne von 40 Prozent.

Wieviel Kokain jährlich in den USA und Europa abgesetzt wird, ist schwer zu bestimmen. Die Schätzungen jedoch rangieren zwischen 100 und 300 Tonnen. Bei 300 Tonnen Gesamtumsatz und einem mittleren Großhandelspreis von 15.000 Dollar pro Kilo dürfte der Erlös der gesamten Kokainmafia „höchstens“ 4,5 Milliarden Dollar pro Jahr betragen. Bei einer günstigen Gewinnspanne von 60 Prozent bedeutete das einen Nettogewinn von 2,7 Milliarden Dollar.

Nur ein kleiner Teil des Nettogewinns aber fließt wieder in die heimische Witschaft. Der größere Batzen wird auf ausländischen Konten gehortet oder gleich in den USA oder Europa investiert. Damit dürften die jährlichen Deviseneinnahmen durch den Kokainhandel in Kolumbien bei unter einer Milliarde liegen. Das ist weniger als die Exporterlöse aus Erdöl und Kohle (zusammen etwa 2,2 Milliarden Dollar) und dem Kaffee (etwa 1,5 Milliarden Dollar). Tragender Faktor ist die Kokainökonomie in der kolumbianischen Wirtschaft also ganz sicher nicht. Und doch steuert sie ihren Teil zu einer relativ stabilen Wirtschaft bei: Sowohl 1986 als auch 1987 lag das Wirtschaftswachstum über 5 Prozent, 1988 immerhin noch bei 3,8 Prozent. Im Vergleich zu krisengeschüttelten Nachbarländern ist das, genauso wie die relativ niedrige Auslandsverschuldung von 17 Milliarden Dollar, kein schlechtes Ergebnis.

Ernsthaft hat sich denn auch in Kolumbien noch keiner gegen den ständigen Fluß von Kokadevisen gewehrt. Im Gegenteil, an der „ventanilla siniestra“, dem „dunklen Schalter“ der Zentralbank, tauscht der Staat selber die anrüchigen ausländischen Devisen. Im ersten Halbjahr 1989 waren es 354 Millionen Dollar, die am „dunklen Schalter“ in kolumbianische Pesos verwandelt wurden, 50 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Wenngleich diese Gelder nicht alle vom Drogenhandel stammen - auch die Touristen tauschen in der Zentralbank -, bezeugt die Gesamtsumme doch, daß trotz Preisverfalls in den USA das Kokaingeschäft prächtig läuft. Zudem fließt das Geld auch auf anderen Wegen nach Kolumbien zurück: etwa durch Schmuggelware, die im Ausland gekauft und in Kolumbien wieder verkauft wird. Oder dadurch, daß beim Export anderer, legaler Güter die Rechnungen zu hoch ausgestellt werden - die Mafia zahlt die Differenz, und die Kokaindollars kommen legal ins Land.

Zu allererst profitieren von den Reichtümern der Kokainbarone diejenigen Handelsunternehmen, die mit Luxusgütern ihr Geschäft machen: Für die meisten aus der unteren Mittelschicht stammenden Mafiosi ist es wichtig, ihr Geld zur Schau zu stellen. Um so mehr Goldketten, reinrassige Pferde, westdeutsche Limousinen und Kunstschätze sie vorzeigen können, um so wohler fühlen sie sich. Aber auch ein eigenes Häuschen, sprich mehrere eigene Paläste müssen sein. Da ist der Nutznießer das Baugewerbe, das in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erfuhr. Viele Mafiosi schlagen auch Investitionen in der Industrie und im Handel nicht aus. Paradebeispiel hierfür sind die Kokainbarone aus Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, die mit viel unternehmerischem Geschick eine große Apothekenkette aufbauten, in der billig Medikamente aus dem Ostblock verkauft werden. Verbrechen allerdings verpflichtet: Die Konkurrenten aus der Zweimillionenstadt Medellin, mit denen Cali im Clinch um die Aufteilung des US -Markts liegt, haben in den letzten Monaten reihenweise Apotheken in die Luft gesprengt.

Vor allem die massiven Landkäufe der Kokainbarone erregen Besorgnis. Eine „Gegen-Agrarreform“ ist im Gange, die von der Wochenzeitschrift 'Semana‘ auf den Ankauf von einer Million Hektar, vom Agrarinstitut „Incora“ immerhin auf 400.000 Hektar geschätzt wird. In ihrem Landbesitz tätigen die frischgebackenen Großgrundbesitzer große Investitionen und gehen mit brachial-kapitalistischer Gewalt gegen mögliche Unruhestifter wie landlose Kleinbauern, Sympathisanten der Guerilla oder linke Politiker vor. Mit dem Wohlwollen und der Unterstützung der traditionellen Landbesitzer sowie vieler Militärs haben die Kokainbarone jene Todesschwadrone aufgebaut, die heutzutage auch Widersacher im Establishment ermorden. Der teilweise von der Mafia infiltrierte und historisch schwache kolumbianische Staat ist weitgehend machtlos dagegen.

Wie der Kokainökonomie beizukommen ist, weiß in Kolumbien keiner so recht. Die Wirtschaft könnte wahrscheinlich ohne die Kokaindollar auskommen - zu verachten sind sie trotzdem nicht. Für das gesellschaftliche Zusammenleben aber ist die Kokainökonomie mit ihrem Gewaltpotential fatal. In den USA und Europa, so fordern die Kolumbianer, müsse die Nachfrage eingestellt werden, damit das Angebot und somit der Kokainhandel verschwinden. Ein solch drastischer Konsumrückgang scheint jedoch trotz Antidrogenkampagnen nicht wahrscheinlich. Die repressive Politik - riesige Beschlagnahmungen der Infrastruktur und des Kokain sowie massive Verhaftungen - ist angesichts der Macht der Drogenmafia nicht nur gefährlich und schwierig, sondern könnte auch einen gegenteiligen Effekt bewirken: Die Großhandelspreise könnten durch den Kokainmangel wieder ansteigen, dadurch könnten sich die Großen zu noch mächtigeren Kartellen zusammentun.

Vielleicht kann nur eine ganz andere Entwicklung dem Spuk des Drogenhandels in Kolumbien - wohlgemerkt nicht den bereits zu einer wirtschaftlich mächtigen Schicht herangewachsenen Mafiosi - den Garaus machen: in US-Labors hergestelltes synthetisches Kokain.

Und wie US-Drogenexperten melden, scheint es so etwas bereits zu geben. Der ganz neue Stoff nennt sich „Crank“, ist einfach herzustellen und noch wirksamer als Kokain. Sollte sich eine Droge wie „Crank“ durchsetzen, könnte die erste Welt in absehbarer Zeit auf einen Großteil der Rauschgifte der Dritten verzichten. Das Geschäft würde in den Industriestaaten gemacht. Länder wie Kolumbien haben ja bereits die Toten gestellt.