Unsicherheit unter Flüchtlingen

Noch kein Friede für Kambodscha / Seit Freitag haben Thai-Marines und US-Kollegen an der thailändisch-kambodschanischen Grenze beim gemeinsamen Manöver / An der Grenze wird wieder gekämpft  ■  Aus Bangkok Ingo Günther

Bangkok - Während die Pariser Verhandlungen keine sichtbaren Fortschritte manchen, wird in den kambodschanischen Provinzen, nahe der thailändischen Grenze wieder heftiger gekämpft. Die Kämpfe waren zwar vorübergehend eingestellt worden, solange die von der Pariser Konferenz beauftragte UN -Untersuchungskommission vor Ort inspizierte. Doch in den Bangkoker Zeitungen erschienen in der vergangnen Woche wieder Berichte von einer unmittelbar bevorstehenden „endgültigen Offensive der Truppen Phnom Penhs in Form eines umfassenden einmonatigen Manövers“. Seit Anfang Juli hätten groß angelegte Truppenbewegungen die vietnamesischen Infantriedivisionen nahe der Thai-Grenze verstärkt. Auf diese Weise soll der rege Austausch und die Unterstützung zwischen den Khmer-Rouge-Basen tief innerhalb Kambodschas und ihren Lagern entlang der thailändischen Grenze abgeschnitten werden. Im Juli konzentrierten sich die Kampfhandlungen auf die Widerstandspositionen in den Provinzen Battambang und Bantheeay Meanchey. Nun geht es in Kambodscha um die Kontrolle des zwischen ein- und fünfzehn Kilometer breiten strategisch wichtigen Gebirgskamms, der sich parallel zur 400 Kilometer langen thailändisch -kambodschanischen Grenze erstreckt, erklärt Kommandeur Narodol der thailändischen Grenztruppe. Einige tausend Artillerie- und Raketengeschosse hätten in letzter Zeit 200 Tote und Verletzte gefordert.

Derweil behaupten offizielle Angaben aus Hanoi, daß die 26.ooo vietnamesischen Soldaten, die sich seit dem 15. August aus den Kämpfen zurückgezogen haben, ihre Bündel packen oder bereits auf dem Rückmarsch sind. Nichtsdestotrotz demonstrieren die Thai-Truppen ihre Einsatzbereitschaft: Seit Freitag proben 5.500 Thai Marines gemeinsam mit 13.000 US-Kollegen unter dem Kodenamen „Thalay Thai 89“ in unmittelbarer Nähe der kambodschanischen Grenze Luft-, See- und amphibische Kriegsführung sowie „special warfare operations“.

In den Flüchtlingslagern ist die Situation gespannt. In Erwartung weiterer Beschießungen sind am vergangenen Freitag morgen etwa 3.000 Flüchtlinge aus einem der KPLNF-Lager ausquartiert worden. Zwei Sektionen im Lager Sok Sann, das ebenfalls der nationalistischen Sonn-Sann -Widerstandsfraktion untersteht, mußten in besser geschützte Teile verlegt werden. Die 12.000 Kämpfer zählende KPLNF -Guerilla hat seit Bekanntwerden des Pariser Konferenztermins die kambodschanischen Truppen heftig attakiert, um sich für die Verhandlungen, neben der berüchtigten Fraktion der Roten Khmer und der international anerkannten Sihanouk-Partei, in eine besser Ausgangsposition zu schießen und muß seither mit Vergeltungsschlägen rechnen. Obwohl inzwischen fast alle Lager provisorische selbstgebaute Erdbunker besitzen, fühlen sich die Insassen keineswegs sicher. Die primitiven „Einfamilienbunker“, oft nur aus Kanalrohren bestehend, sind nicht dafür ausgelegt, einen ungünstigen Treffer zu überstehen. Auch die Thai -Bevölkerung entlang der Grenze wird zunehmend in Mitleidenschaft gezogen: Fast täglich gibt es Verletzte und Tote. Und die Thai-Armee verhält sich gegenwärtig in Abkehr von ihrer bisherigen Praxis demonstrativ neutral. Selbst wenn Thai-Gebiet unter Beschuß kommt, wird nicht zurükgeschossen. Man wartet ab, solange in Paris noch nichts entschieden ist. „Die sitzen bloß da und zählen die Geschosse“, meint ein westlicher Beobachter.

An eine politische Lösung des Konflikts glaubt selbst Thailands Premier General Chativhai nicht mehr, der sich, wie kein anderer, im Vorfeld engagiert hatte. Aber der optimistische Premier geht davon aus, daß die Guerillaarmeen bald kampfesmüde werden und einem blühenden Handel mit Kambodscha nicht mehr im Wege stehen. Die Thais setzen auf eine kontinuierliche Remigration der Flüchtlinge in ein ökonomisch und politisch immer attraktiver werdendes Kambodscha. Wenn die Vietnamesen abgezogen sind, versprach der Premier kürzlich, werden gleich mehrere Grenzübergänge geöffnet werden. Seit April diesen Jahres sind bereits etliche tausend Flüchtlinge aus dem KPLNF Lager, Site 2, durch die Minenfelder in die grenznahen kambodschanischen Provinzen zurückgekehrt. Eine jüngste „Kopfzählung“ ergab, daß nur 140.000 von den erwarteten 180.000 im Lager waren. Ein Großteil der Vermißten 40.000 hat vermutlich nie existiert, sondern ist vielmehr die Schöpfung korrupter Lageradministranten, die sich auf diese Weise an größeren Zuteilungen bereicherten. Sollte sich der Trend von 100 RückkehrerInnen pro Tag fortsetzen, sind die Lager in ein paar Jahren leer. Mit gezielter Propaganda versuchen die jeweiligen politisch-militärischen Lageradministrationen die Insassen von diesem Schritt noch abzuhalten, denn mit der Anzahl der kontrollierten Flüchtlinge verlieren sie auch politisch an Gewicht.