„Aus den Löchern kommen“

Die italienische Todesstaffel „Frecce Tricolori“ wiederholte am Sonntag in Belgien die Flugfigur „Cardioide“, die in Ramstein zur Katastrophe führte  ■  Von Thomas Krumenacker

Charleroi (taz) - 364 Tage nach dem Ramstein-Inferno heben sie wieder ab: In zwei Formationen rasen neun Airmacchi-MB -339-Militärflugzeuge dicht über der Rollbahn aufeinander zu. Erst in allerletzter Sekunde zieht einer der beiden Trupps hoch und verhindert einen Zusammenstoß, keine hundert Meter vom begeisterten Publikum entfernt: Die italienische Todesstaffel „Frecce Tricolori“ zeigte am vergangenen Sonntag beim Flugtag im belgischen Charleroi, welche Konsequenzen sie aus der Ramstein-Katastrophe gezogen hat: keine. Am Boden blieb bei diesem ersten öffentlichen Auftritt der italienischen Todesschwadrone seit Ramstein nur die Maschine des Solisten. Sein Part bei der berüchtigten Flugfigur „Cardioide“, die das Ramsteiner Inferno ausgelöst hatte, wurde aus Sicherheitsgründen ausgespart. Damit erschöpften sich die Sicherheitsmaßnahmen der kommerziellen Veranstalter dann aber auch schon. Einmal wieder in der Luft, gebärden sich die Frecce-Leute, die vor dem Start noch nervös und ziemlich kleinlaut wirkten, als hätten sie mit ihren halsbrecherischen Kunststücken nicht 70 Tote und 450 Verletzte in Ramstein verschuldet: Von dem vor der Veranstaltung erwarteten 450 Meter großen Sicherheitsabstand zum Publikum blieben maximal 150 Meter, und bei manchen Figuren machte das Team seinem Ruf als Draufgängertruppe auch schon mal im - streng verbotenen - direkten An- und Überflug des Publikums alle Ehre. Einigen ging schon der Verzicht auf die Solisten-Maschine zu weit. Frecce-Pilot Capitano Maurizio Guzzelli hält nichts davon. Er wäre die riskante Nummer gerne geflogen, sagte er der taz. Besondere Gefühle am Vorabend des Jahrestages der Ramstein -Katastrophe, bei der er als Flieger dabei war, habe er nicht. „Hoffentlich wird das Wetter besser“, fällt ihm schließlich doch noch ein.

Das Publikum - statt der erhofften 25.000 kamen nur rund 5.000, offenbar wegen des schlechten Wetters - ist begeistert. Die Frecce-Leute sind die mit Abstand begehrtesten Objekte der Autogrammjäger.

Ungewöhlich viele Deutsche tummeln sich auf dem Flugfeld. Zwei Jugendliche, die eigens aus Aachen angereist kamen, reagieren auf die Absage der Fallschirmspringer-Vorführungen gelassen. „Macht nichts, wir wollen was mit Krach“, meint der eine.

Es ist aber nicht nur die reine Sensationsgier, die sich in Beifallsstürmen für die Frecce Tricolori äußert, die ein solches Spektakel am Vorabend des ersten Jahrestages von Ramstein möglich macht. Die Veranstalter des Flugtages, eine „Gesellschaft zur Förderung des Flughafens Charleroi“, wollen mit ihrer aufsehenerregenden Einladung an die Italiener Publicity für ihren Provinzflughafen vor den Toren Brüssels schaffen. Die offizielle Rechtfertigung lautete im Vorfeld des Flugtages jedoch anders: „Wir tun es für die vielen Italiener, die wir hier in der Gegend wohnen haben“, meinte einer der Organisatoren im Ernst. Aber auch das Ansehen der durch Ramstein in Verruf geratenen Frecce-Truppe sollte wohl mit der Air-Show wieder aufpoliert werden. „Es wird höchste Zeit, wieder aus den Löchern zu kommen“, meint ein Mitglied der Truppe. In der Tat wird hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen, daß der Absatz der Frecce-Maschinen „schon mal besser war“. Die Unglücksmaschinen werden von verschiedenen Luftwaffen als Ausbildungsmaschinen benutzt. So geriet der Flugtag in Charleroi zu einer Public-Relations-Veranstaltung.