SPRÖDE, SPONTAN, SINNLICH

■ „Werner Stötzer, seine Lehrer, seine Schüler“ im Körnerpark

Worauf wartet West-Berlin? Gewiß nicht auf „Werner Stötzer, seine Lehrer, seine Schüler“. So ist eine der abwechslungsreichsten Sommer-Ausstellungen in der Stadt überschrieben. Von der darf West-Berlin einiges erwarten. Zunächst und fast ausnahmslos realistische Kunst. Viel Stein, nicht wenig Bronze, ein bißchen Beton und Polyester. Skulpturen also! Des weiteren Dutzende Graphiken sowie einige mittel- bis großformatige Gemälde, einschließlich der informellen Bilder von Joachim Böttcher. Um alles sehen zu können, muß man kreuz und quer durch die Bezirke. Von der Schöneberger Nollendorfstraße, wo die mittelbeteiligte Galerie Messer-Ladwig residiert, in den Neuköllner Körnerpark, in dessen Gelände und Galerie die größeren (und meisten) Skulpturen, Graphiken und Gemälde zu besichtigen sind. In Art und Umfang ist die Schau eine der bislang unvergleichbaren Ausstellungen von DDR-Kunst in Berlin (West). Nach der Präsentation von Malerei und Metallkunst ist sie die dritte aufwendige Darbietung binnen eines Jahres. Die Schau ist die Anstrengungen der Galerie Messer -Ladwig, des Kunstamtes Neukölln, des Staatlichen Kunsthandels der DDR wert.

Unvergleichlich ist die Exposition auch für Werner Stötzer. Erstmals wird sein bildhauerisches wie graphisches Werk in Beziehungen zu den Kollegen gezeigt, die ihm vorausgingen, nachfolgen und nah sind. Eines ist sicher, eine Überbewertung Stötzers wird in der Schau vermieden. Eingeordnet in die „Gruppe“ der übrigen 16 Künstler kommen die Eigenständigkeit und der Eigenwert seiner Arbeiten ohnehin gut zur Geltung. Trotz der Bindungen der Schüler zum Lehrer kann von einer Stötzer-Schule gesprochen werden. Die Gemeinsamkeit der drei teilhabenden Generationen ist ihr beharrliches Vermögen, realistische Gestaltungsmöglichkeiten vielfach zu variieren. Die Ausstellung wäre nicht gut gemacht, würde sie nichts über die Annäherung der Künstler untereinander sagen. Daß sich Stötzer die spielerisch -schwungvollen Formen so exzellenter Holzbildhauer wie Walter Arnold und Eugen Hoffmann aneignete, ist sichtbar. Daß er von den Bronzen eines Waldemar Grzimek und Gustav Seitz vor allem für seine Reliefs nahm, was er brauchte, um es zu modifizieren, macht ihn nicht geringer. Und es ist keine Schande für Stötzer, daß das Plastische in den Graphiken von Hans Breker eine suggestive Wirkung auf ihn ausübte. Abhängigkeit von den geschätzten Lehrern ist dem Künstler nicht nachzuweisen. Die Arbeiten der Lehrer, darunter die Bronzebüste „Gerhard Marcks“ von Grzimek, sind eine willkommene Ergänzung zur riesigen Marcks-Retrospektive in der Nationalgalerie an der Potsdamer Straße.

Direkter ist die Nähe, also auch die Anhänglichkeit, der Schüler zu Stötzer. Dennoch wäre es unangebracht, das Wort Nachahmung ins Gespräch zu bringen. Wird jedoch Sylvia Hagens „Liegende“ mit der von Stötzer verglichen, wäre es unverzeihlich, nicht auf das Verwandte (sie ist seine Ehefrau, Anm. d. Red.) zu achten. Was Ein-Vernehmen, was widerstreitende Korrespondenz, was Unvergleichbarkeit im Vergleichbaren ist, bringen am ehesten die stark expressiven Arbeiten von Berndt Wilde zum Ausdruck. Seine „Trauernde“ sowie die Relieftafel „Höllensturz“ - ein Memorial für Heinrich Schütz - sind in Idee und Gestaltung von Stötzers Stamm und doch nicht nur von ihm gestützt. Auffällig ist die entwickelte, entwickelbare Selbständigkeit von Horst Engelhardt, Jahrgang 1951. Er hat im Plastischen wie Graphischen eine Übereinstimmung erreicht, die auch Rückschlüsse auf andere Vor-Bilder zuläßt. Auf Rodin, zum Beispiel, und auch Wieland Förster. Arbeiten, die Stötzers Kunst-Sinn entsprechen, also keine rein realistischen Ausführungen sind, die alle Phantasie drosseln.

Werner Stötzer selbst ist ein versierter An-Deuter. Er liebt den Stein. Und der Stein bleibt ihm Stein. Er spürt dessen Strukturen, dessen Kraft, dessen Widerstand. Er stört die Strukturen nicht, ringt die Kraft nicht nieder und überwindet auch nicht den Widerstand. Stötzer ist, in des Wortes Sinne, der derzeit beste Bild-Hauer in der DDR. Gestalterische Erwägungen, Spontaneität im Gestalterischen, hat er ins Gleichgewicht gebracht und gibt es nur zugunsten der Spontaneität auf. Das bedeutet, daß alles Aus-Gedachte nicht werden muß und so fragmentarische Elemente in den Arbeiten setzen, die über ausgeführte Formen hinausweisen. Stötzers Plastiken provozieren, plakatieren, propagieren keine Phantasie. Sie produzieren sie auf neue Weise für jeden Betrachter neu. Oder nicht! Die Gemüter und Geister scheiden sich schnell pro oder contra, selten für den Streit um Stötzer.

Konsequenter An-Deuter, der er ist, hat der Bildhauer eine Vorliebe für das Relief. Figürliches mit dem Meißel eher anzuzeigen, statt es plastisch zu modellieren, ist mit der Haltung des Künstlers identisch, im Graphischen nicht den realen Körper, sondern die plastische Idee vom Körperlichen vorzuführen wie einst Michelangelo. Was Stötzer auch tut, er bleibt am besten er selbst, wenn er die voluminös-barocken Formen ermöglicht und sich von den gestreckt-gotischen a la Gicometti fernhält, die er in „Der stürzende Engel“ manifestiert. Der Gegensatz, den die schroffe und spröde Gestaltung der voluminösen Formen erzeugt, ist nicht nur eine Frage der Beschäftigung mit dem Material. Es ist die Art, wie Werner Stötzer an-deutet, kraftvoll zupackt, um seine spröden, sperrigen, glatten Formspuren im Material zu hinterlassen.

Eine Hauptarbeit vergangener Jahre, die Mamorsäule „Für Bobrowski“, summiert Stötzers Gestaltungswillen, seinen sinnlichen Spaß am Spontanen und die Achtung vor dem Material. In der ursprünglichen und unzerstörten Säule sind das Verbindende und Trennende des weiblichen und männlichen Körpers, die Eingeschlossenheit und der Ausbruch des Menschen bildplastische Gestalt geworden. Das ist ganz die bildhauerische, künstlerische Sprache Werner Stötzers, die er sich in den letzten zwei Jahrzehnten aneignete. Erschaubar ist sie und auch des Erschauens wert, um Stötzer zu verstehen, seine Lehrer und seine Schüler, die der Kunst -Sprache ganz neue Vokabeln hinzufügten.

Bernd Heimberger