Als „Neger“ an Süditaliens Stränden

Als „farbiger“ Händler erlebte der taz-Korrespondent alltäglichen Rassismus und Camorra-ähnliche Arbeitsstrukturen bei den illegal nach Italien eingewanderten Afrikanern / Die Ausländerfeindlichkeit führte bereits zu tödlichen Folgen  ■  Aus Castelvolturno W. Raith

Die Idee, sagt Ali, habe ihn schon lange bewegt: „Statt immer nur über uns Marocchini zu schreiben, sollte mal einer versuchen, mit uns zu gehen, als einer von uns.“ „Marocchini“ ist Italiens Sammelbezeichnung für farbige Händler, die am Strand und in den Fremdenverkehrszentren allerlei Tand verhökern, von nachgemachten Lacoste-Hemden über Billiguhren bis zu „original afrikanischen“ Schnitzereien made in Hongkong. Aus Marokko selbst, wie Ali, kommen nur mehr wenige, das Gros stammt aus Somalia, Äthiopien, Zentralafrika.

Also etwas Tönungscreme, Haare und Bart noch mehr verwuscheln, Kleider über den Arm. Einsatzort: die Küste von San Felice Circeo bis Neapel. „Wenn dich einer von uns anredet“, bleut mir Ali ein, „dann sag, du arbeitest für den 'Schnauzbart‘. Kommt ein Polizist, hau ab, so schnell du kannst.“ Die ersten zwei Stunden bringen wenig Erkenntnise: „Um diese Zeit“, sagt Ali, „kauft noch kein Aas. Aber man muß dasein, sonst ist schwuppdiwupp einer an deiner Stelle.“

Die „Capi“

quotieren die Arbeitsplätze

Die „Marocchini“ marschieren hier in einem Abstand von etwa 400 bis 500 Meter voneinander - weiter südlich kommen sie oft im Zweiminutentakt: „Dort haben sie bereits Quotierungen“, sagt Ali, „da muß ein Neuer oft Wochen warten, bis einer ausscheidet, erst dann geben ihm die Capi die Lizenz.“ Die „Capi“ sind die angesehensten, oft schlichtweg die stärksten, meist aber auch organisatorisch besonders cleveren Farbigen, die in manchen Zonen - wie etwa Neapel oder Salerno - Camorra-ähnliche Strukturen geschaffen haben, mit genauen Maßgaben über Art, Umfang und Einkauf der zu verhökernden (mitunter gestohlenen) Waren - auch über die zusätzlich zur „Arbeitsgenehmigung“ an die örtlichen italienischen Camorra-Bosse abzuführenden „Schutzgelder“ für unbehelligte Gewerbeausübung. Da die meisten illegal eingewandert sind, „genügt ein Tip an die Polizei, und die Saison ist für dich gelaufen“. Zwar kommt man nach der Abschiebung mit einem der Menschenhandelskutter sofort wieder zurück - aber: „Das kostet wieder Geld, und außerdem stehst du dann erneut um Arbeitserlaubnis bei den capi an.“ Viele „Zurückgekehrte“ mußten so den ein- und erträglichen Strandverkauf mit der mörderischen Arbeit auf den Tomaten und Paprikafeldern tauschen, manche in die sizilianischen Steinbrüche gehen oder auf brüchigen Fischkuttern anheuern, für allenfalls acht bis zehn Mark pro 16-Stunden-Tag.

„Hol den Ball,

mach bloß keinen Scheiß!“

Am Strand vor Formia gibt es einen Zwischenfall. Einer Gruppe junger Männer fällt der Fußball ins Wasser. „Hol ihn“, zischt Ali, „mach bloß keinen Scheiß.“ Ich spüre, wie ich meine Fäuste balle: Alles widerstrebt in mir zu gehorchen; aber ich sehe Alis Blick, ein Gemisch aus Angst und Drohung, Drohung gegen mich. Also hole ich den Ball, kicke ihn aber weit genug zurück, um außer Reichweite zu kommen, ehe sie wieder anfangen.

Kurz danach: Ali stößt mich mit dem Ellbogen an: „Da vorne, das wird was... Den kenn ich schon, grauenhaft.“ „Den“ lerne ich auch sofort kennen: ein Teutone von altem Schrot und Korn, „seit 30 Jahren jedes Jahr da“, aus Dortmund und hocherfreut, daß er „einen Neuen“ findet, dem er seine Geschichte erzählen kann: Selbstverständlich war er, damals 23, „da hinten in Montecassino dabei“, wo 1944 die Entscheidungsschlacht mit den Alliierten ausgetragen wurde; ansonsten beteuert er ungefragt, daß er „überhaupt nichts gegen Farbige hat, vor allem nicht gegen die, die so bescheiden sind wie Ali“. Seine Frau hat auch schon „viel bei euch gekauft“, aber „irgendwann ist Schluß, ihr beutet einen ja regelrecht aus, hahaha“. Ali entwindet sich dem Teutonen, ich tätige mein erstes Geschäft: drei Tücher, zwei Kleider. Erlös: 95.000 Lire, etwa 120 Mark. Der Gewinn ist freilich schmal: Knappe sieben Mark wären es, rechnet Ali aus.

„Die hauen zu,

eh du was erklären kannst“

Dann hat Ali es plötzlich ziemlich eilig: Den Strand von Gaeta und Scauri müssen wir auslassen - da herrscht eine andere Gruppe, „und die hauen schon zu, ehe du erklärst, daß du hier gar nicht verkaufen willst“. Hinter Mondragone, schon in der Provinz Caserta, verlassen wir den Bus und laufen Richtung Castelvolturno: Castelvolturno ist ein heruntergekommenes Städtchen am Meer mit einer riesenlangen Hauptstraße, an der mehr als 200 notdürftig fertiggestellte oder im Rohbau verbliebene Bauten von der vergangenen Hoffnung auf eine touristische Blüte künden. Die verfallenden Häuser wurden inzwischen von zahlreichen Farbigen besetzt, die sich allmorgendlich als Tagelöhner auf den riesigen Feldern ringsum verdingen oder, als Schläger oder Prostituierte, in Camorra-Fänge geraten sind. 1975 noch hatte die Stadt 6.500 Einwohner, ales Italiener, heute sind es 12.000, doch davon 7.500 Schwarzafrikaner. Ein Bürgerkomitee im noch weitgehend italienisch-dominierten Altstadtkern wirbt für die Zwangsausweisung aller Schwarzen.

Ali steuert auf eines der verfallenden Bauernhäuser zu. Auf merkwürdige Weise verlangsamt er dabei in der Dämmerung seinen Schritt. „Niemanden nervös machen“, sagt er; dann: „Weitergehen, bis sie was sagen.“ Wer „sie“ sind, kann ich nicht ausmachen, wahrscheinlich spürt Ali „sie“ mehr, als daß er sie sieht. Dann ein harter Anruf, den ich nicht verstehe, Ali antwortet, offenbar mit einem Namen. Ein Stoß im Rücken zeigt mir, daß „die“ nun da sind. Augen aus zwei tiefschwarzen Gesichtern, kaum zu erkennen, schauen mich prüfend an, eine Frage, Ali antwortet offenbar wahrheitsgemäß, das Wort „giornalista“ kann ich jedenfalls heraushören.

Nachtwachen

nach einem Mord

Ali verhandelt, dann informiert er mich: „Wir können bleiben, aber jeder von uns muß mit Wache schieben.“

Kurze Zeit später höre ich über mein Radio, warum: In Villa Literno, knappe 20 Kilometer weiter, hat vergangene Nacht ein nach Ku-Klux-Klan-Manier verkleidetes Kommando einen soeben aus dem Rassistenstaat Südafrika (wo seine Tochter und sein Vater ermordet worden waren) geflohenen, als politischen Flüchtling anerkannten jungen Mann erschossen und zwei seiner Freunde schwer verletzt. „Viele von uns sind Hals über Kopf nach Norden ausgebüchst“, sagt der Mann, der uns mit einer Schrotflinte im Arm ins Haus geleitet, „aber da werden sie's auch nicht besser haben“. In Rimini machen die örtlichen Händler mit Deportationsanzeigen oder Schlägertrupps Jagd auf die unerwünschte Händler-Konkurrenz, in Florenz fordern aufgebrachte Bürger Konzentrationslager für illegale Farbige, „elf Morde, 337 Verletzte in zwei Jahren“, zählt der Mann mit der Flinte auf. Er ist so etwas wie ein Sekretär der Illegalen, der Anwälte organisiert, wenn es Schwierigkeiten gibt.

Und die gibt es: Frühmorgens zum Beispiel erscheinen Carabinieri. „Routinekontrolle“, sagt der Streifenführer. Sieht ganz danach aus: alle an die Wand, Durchsuchung. Drei sind bereits ausgesondert zum Abtransport, da bin ich dran. Sie finden meinen Presseausweis, und das Bild ändert sich. „Wir müssen das leider tun“, sagt der Streifenführer und bedeutet seinem Kollegen, die „Ausgesonderten“ wieder loszulassen, „besonders seit dem Mord gestern.“ Ob man da nicht eher bei den Nicht-Schwarzen suchen müßte? frage ich. Er hebt die Schultern. „Könnte ja sein, daß die ihn selbst umgebracht haben, wer weiß. Bekanntlich sind die sehr gewalttätig.“

Und dann zwinkert er mir, so von Weißem zu Weißem, zu: Wir wissen ja beide, daß es nicht so ist. Aber, will er mir mit seinem Blick sagen, wäre nicht alles viel einfacher, wenn „die“ Schwarzen ihn umgebracht hätten?